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20 Jahre danach: Porträtierte Bündner Winzerinnen und Winzer ziehen Bilanz

Im Jahr 2004 porträtierte ein SRF Dokumentarfilm einige «Winzer aus dem Heidiland». Anlässlich des heurigen Malanser Herbstfestes wurde er wieder gezeigt und die Protagonisten um ein Resümee gebeten. Je nach Sicht der Dinge hat sich mehr oder weniger verändert, egal, ob sie Fromm, Flisch oder Gantenbein heissen.

Artikel von:
Markus Matzner
Chefredaktor O+W
Diesen Artikel finden Sie in der Ausgabe 14 / 2024 , S. 6

Es war das letzte heisse Wochenende des Sommers. Als wäre die Sonne nicht kräftig genug, sah sich auch der Föhn genötigt, zusätzlich Gas zu geben. Der warme Wind peitschte durch die Bündner Herrschaft, schoss böig durch die Gassen der Dörfer, spielte mit den hochgeschossenen Trieben, die wie Pendel hin- und herwogten. In Malans lief das Weinfest, Hunderte Leute schlenderten von Torkel zu Torkel. In der Ratsstube wurde ein Dokumentarfilm von SRF gezeigt, der genau vor zwanzig Jahren realisiert wurde (Einstiegsbild). Er hiess «Die Winzer aus dem Heidiland» und porträtierte verschiedene Winzerinnen und Winzer dieser Region (der Autor dieses Films, das bleibe nicht unerwähnt, ist auch der Autor dieses Artikels).

Freimütig gaben die Winzerinnen und Winzer Einblicke in ihre Leben und äusserten ihre Wünsche, Ziele und Befürchtungen. Die Aussagen waren durchaus selbstkritisch und direkt. Die damalige Präsidentin von Graubünden Wein, Elly Süsstrunk, erwartete, dass wohl nicht alle Betriebe überleben werden. Der ehemalige Jungwinzer Peter Flisch meinte grinsend: «Der Kampf ist hier und wir sind ein kleines Gebiet. Der Föhn und der Neid sind die ältestens Bündner.» Weltenbummler Georg Fromm verglich die etwas kleingeistige Schweiz mit den «relaxteren» Neuseeländern. Und Daniel Gantenbein schliesslich meinte im Jahr 2004: «Wir können nicht einfach mit der Schweizer Fahne winken und sagen ‹schaut mal, wie toll wir sind›. Wenn wir weiterkommen wollen, müssen wir parat sein, unsere Weine neben andere hinzustellen.»

 

 


Bei den Dreharbeiten im Jahr 2004 wurde alles gegeben. (© MM)

 

20 Jahre später

Nun hatten die Verantwortlichen der Malanser Kulturkommission die Idee, den Film erneut auszustrahlen und gleichzeitig die Protagonisten von damals zu befragen, wie sie rückblickend die letzten zwanzig Jahre erlebt hatten. Alle genannten Winzerinnen und Winzer sind immer noch am Wirken – nur halt eben zwei Dekaden älter. Klar, die Zeit blieb nicht stehen, aber gleichwohl zeigte sich, dass zwanzig Jahre für eine Weingegend nur eine Etappe sind. Süsstrunk gab zum Beispiel heuer zu Protokoll, dass sogar einige Selbstkelterer hinzugekommen seien, jedoch habe bei den Traubenproduzierenden der Strukturwandel stärker durchgeschlagen. Und Flisch resümiert, dass der Kampf deutlich anstrengender geworden, der Föhn allerdings rückläufig sei. Fromm, der sein Neuseeländer Weingut 2006 verkauft und den Malanser Betrieb seinen blutsverwandten Nachfolgern übergeben hat, findet, dass der Markt deutlich grösser und komplexer geworden sei. Für Daniel Gantenbein hat sich viel verändert, er bilanziert: «Das Schöne ist, dass es Platz für viele Ideen hat.» Platz für Neues? Da klingelt es doch irgendwie! Tatsächlich brodelte in diesem Frühling die Gerüchteküche. Martha und Daniel Gantenbein hätten ihr Weingut für 35 Mio. Franken an die Luxusfirma LVMH (Louis Vuitton, Möet, Hennessy) bzw. an dessen Besitzer Bernard Arnault verkauft. Dieser, man kann es googeln, besitzt so manches im weltweiten Wein- und Spirituosenbereich (Dom Pérignon, Veuve Cliquot, Cheval Blanc, Château d’Yquem, Newton, Cloudy Bay, Glenmorangie, Ardbeg, um nur einige Firmen zu nennen) und warum sollte er nicht Lust verspüren, das Kleinod in der Herrschaft sein Eigen zu nennen? Zumal, und das kolportierten auch einige Tageszeitungen ohne Rückfrage, Gantenbeins sich «überlupft» haben sollen. Andere wiederum knüpften den Verkauf an die Tatsache, dass das Weingut in Fläsch auf der Weinhandelsplattform Liv-ex neu auf Position 53 der weltweit stärksten Weinmarken gestiegen war.

Besuch bei Gantenbeins

Um dem Ganzen auf den Grund zu gehen, besuchten wir das prominente Winzerpaar. Tatsächlich sind die zwanzig Jahre bei ihnen mindestens optisch kaum ins Gewicht gefallen. Auch der feuerrote Deux Chevaux stand noch im akkurat aufgeräumten Innenhof des Weinguts wie einst. Er fahre immer noch am liebsten mit diesem Auto zur Arbeit, witzelte Daniel. «Ich nehme lieber meinen Fiat Cinquecento», erwiderte Martha mit einem Lachen. «Aber für längere Strecken interessieren wir uns für ein Elektroauto, sind jedoch noch in der Findungsphase», ergänzte Daniel. Wenig später sassen wir im Kaffeeraum des Weinguts, um weiter zu plaudern. Bald stand ein Glas (Rhein-)Riesling auf dem Tisch. Der 22er, der eben auf den Markt gekommen ist, spielt in der Nase mit Aromen von Weinbergspfirsichen, schmeckt ausgewogen und rassig bei durchaus moderater Süsse. Auf frühere Jahrgänge angesprochen, die mehr Restsüsse aufwiesen, antwortete Daniel, sie würden seit einigen Jahren die trockene Variante bevorzugen. Ihre Vorbilder seien die Top-Rieslinge von der Mosel und von der Nahe (ein Fluss südlich der Mosel, der ebenfalls in den Rhein mündet).

 

 


Seit 1984 fixe Grössen in der Bündner Weinszene: Martha und Daniel Gantenbein. (©weinweltfoto.ch)

 

Tatsächlich, so ergab ein kürzlicher Augenschein vor Ort, scheinen da parallel zur Klimaerwärmung die Zuckerwerte der Topweine zurückgegangen zu sein. Apropos Klimaerwärmung: Während viele Deutschschweizer Weinbetriebe über dieses Jahr ächzen, weil der Pilzdruck enorm war, sehen Gantenbeins Trauben, die teilweise neben dem Kellergebäude wachsen, ausgezeichnet aus. «Wir sind derzeit in der Erntevorphase», erklärte Martha, «zu sechst gehen wir durch die Reben und entfernen von Hand jede Beere, die qualitativ nicht genügt. Dieser Aufwand ist zwar gross, aber lohnt sich nach unserer Meinung.» Als Erstes wird wohl der Pinot noir in den Keller kommen, deshalb ist Daniel seit Tagen daran, die 19 grossen hölzernen Gärfuder zu wässern. Dennoch durchlaufen die Trauben zuerst eine zweiwöchige Kaltstandzeit, um sortentypische Inhaltsstoffe zu extrahieren. «Danach verwenden wir je nach Jahr Reinzuchthefen oder führen ab und an auch eine Spontangärung durch. Bei den Reinzuchthefen haben wir eine ganze Palette und nicht selten beimpfen wir jedes Fuder mit einer anderen Hefe. Spannend, wie unterschiedlich die Moste herauskommen», meinte Daniel. Als zweites dürfte der Chardonnay folgen, das Schlusslicht bildet immer der Riesling. Dem 24er-Jahrgang sehen die beiden mit Freude entgegen, die Anlagen seien gut im Schuss und die Arbeit habe sich seit Anfang Jahr auf mehrere Schultern verteilt. «So haben wir mehr Zeit für die Familie und das Grosskind», erzählte Daniel mit einem Strahlen im Gesicht.

 

 


Wie eh und je: Gantenbeins Deux Chevaux ist immer noch im Einsatz. (© O+W)

 

Diesem Steilpass kann der Schreibende natürlich nicht widerstehen: Dann stimme es also, dass sie langsam ans Aufhören dächten? «Wenn du die Gerüchte rund um den Verkauf meinst», konterte Martha augenblicklich, «dann ist nichts daran. Wir arbeiten sicher noch einige Jahre weiter und mit Ulrike und Andreas Hütwohl haben wir unser Team erweitert, was uns betrieblich sehr entlastet. Beide sind Abkömmlinge deutscher Winzerfamilien und das Paar verfolgt eine ähnliche Qualitätsphilosophie wie wir. Nun stemmen wir die erste gemeinsame Ernte. Ihre Kinder gehen hier zur Schule und sie haben sich alle schon gut eingelebt.» Aber gab es mal Kontakte zu Arnault und LVMH, stocherte der Schreibende weiter. «Zuerst musste ich googeln, was LVMH überhaupt heisst», gab Martha lachend zu und Daniel ergänzte: «Wir mussten selbst zuerst herausfinden, wer so ein Gerücht in die Welt gesetzt hatte und sind auf einen Winzer gestossen, der es einem Beizer im Oberengadin erzählt hatte. Darauf zog die Geschichte immer weitere Kreise. Unser Freund Wolfram Meister schrieb in der Schweizerischen Weinzeitung ein Editorial zu diesem Thema und wollte das Ganze ad absurdum führen, aber es löste das Gegenteil aus. Immer weitere Zeitungen und Zeitschriften griffen es auf und verbreiteten es», meinte der Winzer mit einem Kopfschütteln. Angesichts der netten Summe von 35 Mio. Franken, die herumgereicht wurde, überrascht das freilich kaum. Somit liegt die Vermutung nahe, dass einmal mehr das alte Sprichwort gilt: «Der Föhn und der Neid sind die ältesten Bündner.» Womit wir letztlich wieder beim eingangs erwähnten Dokumentarfilm wären. Und der geneigte Hobbyphilosoph erkennt zwanzig Jahre danach: Die Zeit vergeht nicht linear, sondern in Kreisen.

Der Dokumentarfilm ist auf Play SRF nach wie vor zu sehen: «Die Winzer aus dem Heidiland»

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