Das «Corona-Paradoxon» – Absatz von Schweizer Weinen steigt trotz Krise

Positive Nachrichten aus dem Schweizer Weinmarkt: Herr und Frau Schweizer trinken wieder mehr Schweizer Wein. Dies zeigt eine Analyse des Schweizer Weinmarkts. Erstmals seit 2018 geht der Trend nach oben. Auch die ersten Daten für das krisengeschüttelte 2020 sind vielversprechend und lassen hoffen – zumindest teilweise. Jedoch ist bei der Analyse der Daten Vorsicht geboten. Man läuft leicht Gefahr, sich im Datendschungel zu verlieren.


Autor_Roth Leyla
Leyla Roth-Kahrom
SZOW

Dass Schweizer Wein einen nicht ganz einfachen Stand im Markt hat, ist unbestritten. Zu häufig blickt der Schweizer Konsument über den heimischen «Glasrand» und bevorzugt internationale Weine. Dabei haben Schweizer Weine einiges zu bieten. Grund für die Wahl ausländischer Weine mögen neben dem geringeren Verkaufspreis unter anderem ein höheres Marketingbudget, verstärkte Werbemassnahmen sowie einschlägiges Prestige oder auch Assoziationen mit einem bestimmten Land oder einer Region sein. Die vorherrschende Corona-Krise macht das Ganze zudem nicht leichter. Auch bei hiesigen Produzenten wurden die finanziellen Ressourcen knapper, was zu Budgetkürzungen geführt hat. Als Erstes werden häufig die Marketingausgaben gestrichen. Dabei ist es gerade jetzt wichtig, den eigenen Wein richtig zu positionieren, sodass sich sowohl Absatz als auch Umsatz steigern. Doch: Wie erkennt man Erfolg oder Misserfolg auf dem Markt?

Relevanz von Marktanalysen

Zwar geben die hauseigenen Verkaufszahlen sowie der Umsatz einen gewissen Aufschluss über das Abschneiden auf dem Markt – ein Vergleich mit anderen Weingütern oder gar ausländischen Konkurrenten ist jedoch selten möglich. Objektive Marktanalysen ermöglichen genau das: Mittels Abbildung von Absatz, Umsatz und Marktanteilen werden Vergleiche, längerfristige Veränderungen sowie Erfolge oder Missstände messbar.

Für den Schweizer Weinmarkt gibt es hauptsächlich zwei Datenlieferanten: das BLW (Bundesamt für Landwirtschaft) sowie das OSMV (Schweizer Observatorium des Weinmarktes, mit Sitz in Changins). Beide Anbieter analysieren den Schweizer Weinmarkt und veröffentlichen ihre Daten in eigenen Jahresberichten. Die einzelnen Analysen sind in sich stringent und logisch – Vergleiche zwischen den beiden Studien sind jedoch nur bedingt möglich, da die Analysen auf unterschiedlichen Daten basieren. Die BLW-Daten widerspiegeln die gesamtschweizerischen Verkäufe und beinhalten zusätzlich zu den Verkaufszahlen der Grossisten die Absätze von Weinhändlern, den Horeca-Sektor (Hotels/Restaurants/Cafés bzw. Catering) und den Direktverkauf. Die OSMV-Daten hingegen stellen die Verkaufszahlen von Grosshändlern dar und stammen aus dem Nielsen-Panel (Coop, Denner, Globus, Manor, Migros, Volg, Spar) sowie zusätzlich seit 2019 der Landi (Tab. 1). So fliessen in die OSMV-Analyse etwa 30 % des in der Schweiz verkauften Schweizer Weins ein.

 

Tab. 1: Unterschiede zwischen den OSMV- und BLW-Daten: Während die OSMV die Verkaufszahlen für die total acht Grossisten ausgibt, widerspiegeln die BLW-Daten den Konsum (berechnet auf Basis der Lagerbestände zu Beginn und Ende eines Jahres). Zudem fasst das BLW die Rot- und Roséweine zusammen, deshalb wurden für diese Tabelle die OSMV-Daten für Rot- und Roséweine ebenfalls zusammengefasst. (Quellen: OSMV und BLW)

 

Vergleicht man die OSMV- und BLW-Daten direkt miteinander, so wäre es, wie wenn man Äpfel mit Birnen vergleicht – es geht um das gleiche Hauptthema, jedoch sind die Datengrundlagen und Kennzahlen unterschiedlich. Die OSMV-Daten basieren auf den Verkaufszahlen der Grossisten, die BLW-Daten hingegen weisen den Konsum aus, der auf Basis der Jahresanfang- und Jahresendlagerbestände berechnet wird (Tab. 1). So sind auch die Werte zu den Weinverkäufen unterschiedlich. Die beiden Publikationen können jedoch als einander ergänzend betrachtet werden.

Schweizer Wein: Trend geht nach oben

Trotz dieser Unterschiede zeigen die BLW- und OSMV-Daten ein ähnliches Bild: Der Absatz von Schweizer Wein steigt. Gemäss BLW ist im Jahr 2019 der gesamte Weinkonsum (sowohl Schweizer als auch ausländischer Wein) im Vergleich zum Vorjahr um 4.7 % resp. 11 Millionen Liter gestiegen. Insgesamt wurden gut 255 Millionen Liter konsumiert, dies entspricht knapp 46 Flaschen Wein pro Person. Der Marktanteil der Schweizer Weine liegt hier bei 37.5 %. Der Jahresbericht 2019 des OSMV liefert zwar leicht andere, aber doch ähnliche Zahlen. So hat sich anhand der OSMV der Marktanteil von Schweizer Wein im Jahr 2019 um 1.1 % steigern können und lag bei 27.5 %. Bei den sieben Grossisten des Nielsen-Panels plus Landi stammt also einer von vier verkauften Weinen aus der Schweiz.

Auch wenn die BLW- und OSMV-Daten ähnlich sind, driften die beiden Analysen beim Marktanteil um gut 10 % auseinander. Gemäss BLW stammt gut eine von drei verkauften Weinflaschen aus der Schweiz, bei den Grossisten nur jede vierte. Dieser Unterschied basiert wie eingangs erwähnt auf der Datengrundlage. Es kann davon ausgegangen werden, dass abseits der Grossisten – also beim Direktverkauf oder besonders im Horeca-Sektor – noch mehr Schweizer Weine verkauft werden als bei den Grosshändlern. Dies verdeutlicht die besondere Relevanz des Empfehlungsmarketing (also der Beratung z.B. im Restaurant, im Hofladen oder beim spezialisierten Weinhändler).

Zudem zeigt auch die Analyse der verkauften Weinarten, weshalb die beiden Analysen nur bedingt miteinander verglichen werden können. Gemäss OSMV-Daten haben besonders Weissweine an Marktanteil zulegen können. Während der Verkauf von Roséweinen ebenfalls nach oben ging, nahm der Verkauf von Rotweinen ab. So sind bei den Grosshändlern besonders Weissweine (häufig aus der Westschweiz) beliebt. Die BLW-Daten zeigen ein anderes Bild. Demnach verzeichneten auch Schweizer Rotweine einen Anstieg, so wurde 2019 insgesamt mehr Rot- als Weisswein verkauft (Rotweine: 474 748 hl / Weissweine: 470 837 hl). Dies lässt Spekulationen über Weinfavoriten je nach Verkaufskanal zu – möglicherweise werden unter anderem im Horeca-Sektor häufiger Rotweine bestellt.

Zurück zu den generellen Datenanalysen. Es sind nicht nur Entwicklungen während eines Jahres, sondern zwischen mehreren Jahren möglich. So zeigen die OSMV- und BLW-Daten eine Trendwende (wobei bei der Analyse der Daten Vorsicht geboten ist. Denn bei den OSMV-Daten wurden zusätzlich zum Nielsen-Panel auch die Daten der Landi-Gruppe integriert, weshalb die Jahre 2018 und 2019 nur bedingt vergleichbar sind). Während der Verkauf von Schweizer Weinen in den letzten Jahren stetig abgenommen hat, stellt das Jahr 2018 einen Wendepunkt dar. Der Negativtrend wurde gebrochen, die Verkaufszahlen für 2019 gingen wieder nach oben – zum ersten Mal seit 2015 (Tab. 1). Und der Trend hält in gewisser Weise auch im Jahr 2020 an. Wie ist dies trotz Pandemie  möglich?

Horeca: Umsatzeinbussen erwartet

Alles in allem dürfte das Corona-Jahr 2020 absatztechnisch ein «happiges» werden, denn lange Wochen lebten wir im Lockdown. Gastrobetriebe, Bars und Tanzlokale waren geschlossen, Grossveranstaltungen wurden abgesagt. Die Hotellerie litt zusätzlich unter den zeitweise herrschenden Reisebeschränkungen. Der gesamte Horeca-Sektor muss also mit einem bedeutenden Rückgang rechnen. Im Sommer hat sich die Corona-Situation etwas stabilisiert, sodass durch die Öffnungen im Horeca-Sektor der Weinverkauf wieder angekurbelt wurde. Doch nun stehen die Zeichen wieder auf Sturm – Weihnachtsveranstaltungen und -märkte, Weinausstellungen, Familienfeiern, Geschäftsweihnachtsessen fallen dieses Jahr mehrheitlich aus. Somit wird wieder ein massiver Einschnitt bei den Einnahmen im vierten Quartal erwartet. Auch wenn die Hoffnung zuletzt stirbt: Der private Mehrkonsum wird die Verluste in Restauration und Gastronomie wohl nicht auffangen können.

Grossisten: Absatzsteigerung trotz Corona

Dennoch ist ein gewisser Optimismus hinsichtlich der Verkäufe angebracht. Erste OSMV-Zahlen für 2020 bestätigen die vorgängig beschriebene positive Verkaufsentwicklung, denn der Absatz von Schweizer Wein hat sich bei den Grossisten weiter gesteigert. In allen Schweizer Weinregionen stieg der Verkauf, so ist der Absatz im 1. Halbjahr 2020 im Vergleich zur gleichen Periode 2019 um satte 10.4 % gestiegen – dies entspricht einem Plus von 1.2 Millionenverkauften Litern (Tab. 2). Das Niveau der Verkäufe von Schweizer Wein nähert sich gar jenem von 2015 an – je nach weiterer Entwicklung im 2. Halbjahr könnte dieses Niveau allenfalls sogar übertroffen werden. Klarheit darüber wird jedoch erst im 1. Quartal 2021 herrschen, wenn die Gesamtzahlen für 2020 verfügbar sind.

 

Tab. 2: Verkaufszahlen von Schweizer Wein im 1. Semester von 2015 bis 2020 (Grundlage: Nielsen-Panel). Die Daten zeigen: Die Verkäufe von Schweizer Wein gehen trotz Corona-Krise im 1. Halbjahr 2020 nach oben und nähern sich dem Niveau von 2015 an. (Quelle: OSMV)
 

Gründe für die Absatzsteigerung

Dass im ersten Halbjahr Ausgangsbeschränkungen diktiert wurden, hat die Schweizer nicht vom Weingenuss abgehalten – im Gegenteil. Durch Homeoffice und fast ausschliesslichem «Home Living» hat sich der Weinkonsum in den eigenen vier Wänden gesteigert. Es liegt nahe, dass deshalb häufiger zu einem Glas Wein gegriffen wurde – sei es zum Geniessen, Entspannen, zur Ablenkung oder zum Verdrängen der Situation. Vergleicht man bei den Verkaufszahlen der Grosshändler die monatlichen Schwankungen, wird deutlich, dass während der Schweizer Lockdown-Phase im Frühjahr mehr Wein gekauft wurde als vor dem Lockdown.

Eine Konsumentenumfrage von Changins und der Ecole Hôtelière de Lausanne (EHL) bestätigt diese Annahme. Knapp 1000 Befragte gaben Auskunft über ihren Weinkonsum, und es zeigt sich, dass der Konsum von Wein seit dem Lockdown zugenommen hat, besonders bei den von der Pandemie direkt betroffenen Personen. Interessant ist, dass sich neue Konsummuster zeigen, so ist der Konsum «alleine» und «bei digitalen Treffen» gestiegen. Die Weine wurden nicht nur im Detailhandel und bei Grosshändlern, sondern auch direkt beim Weinproduzenten gekauft. Der Direktvertrieb stellt in Krisenzeiten eine Stärke von Winzern und Weinhändlern dar: Durch den direkten Kontakt kann die Loyalität bei den Konsumenten erhöht und gefestigt werden.

 

Abb. 1: In Krisenzeiten stellt der Direktvertrieb von Händlern und Winzern einen Vorteil dar. (Foto: Adrien Olichon, Pexels).

 

Corona-unabhängig, aber nicht unwesentlich für die Steigerung der Absätze sind zudem die intensivierten Kommunikationsbestrebungen. So hat die Swiss Wine Promotion (SWP) im Herbst 2019 verstärkte Kommunikationsmassnahmen ergriffen und Aktionen lanciert, um die Wahrnehmung der Schweizer Weine im Detailhandel zu erhöhen. Es wurde offensiv mit dem Slogan «Swiss Wine» kommuniziert, um auf die Swissness hinzuweisen. Offenbar mit Erfolg.

«Think local, drink local»

Von diesem lokalen Bewusstsein profitieren die regionalen Produzenten, denn die fast schon weltoffene, nomadische Bevölkerung ist aufgrund von Corona wieder ein Stück sesshaft geworden. Zum einen wurde die Reiseaktivität stark eingeschränkt, weshalb der Bezug zur Heimat gestärkt wurde. Andererseits war es für viele Konsumenten selbstverständlich, heimische Produzenten in dieser kritischen Zeit zu unterstützen und deren Existenz so zu sichern. Es wurde wieder vermehrt «national gedacht», ganz gemäss dem Solidaritätsprinzip. So ist auch erklärbar, dass die Schweizer im Weinregal vermehrt zu einheimischen Weinen gegriffen haben (Abb. 2). Die Changins- und EHL-Umfrage belegt, dass 54 % der Befragten häufiger lokalen Wein kauften, um lokale Produzenten zu unterstützen.

 

Abb. 2: Die Zahlen zeigen: In der Corona-Krise wurde und wird vermehrt einheimischer Wein gekauft.
 

Wie weiter?

Auch wenn die Zahlen für 2020 bislang positiv scheinen: Man darf sich keinesfalls auf den Lorbeeren ausruhen. Die gemäss OSMV «nach wie vor alarmierende Situation» ist nicht zu verharmlosen. Die Krise ist drohender denn je und dürfte uns in den kommenden Monaten weiter begleiten. Das übergeordnete Ziel muss nach wie vor lauten, die Marktanteile der Schweizer Weine weiter zu erhöhen, damit ein gewisses Absatzgleichgewicht von inländischen und ausländischen Weinen im Sinne einer Parität entsteht. Wie Nicolas Joss, Präsident der Swiss Wine Promotion, an den Wädenswiler Weintagen 2020 erläuterte, könnte dies erreicht werden, wenn jede/r Schweizer/in pro Jahr zusätzlich zwei Flaschen Schweizer Wein kauft. Bricht man die Absatzzahlen der OSMV fürs 1. Halbjahr 2020 auf den Konsum pro Schweizer/in herunter, hat sich der Absatz im Vergleich zu 2019 um gut 0.2 Flaschen pro Person gesteigert – was noch deutlich unter dem gewünschten Wert von zwei Flaschen liegt. Deshalb sind weitere Massnahmen zur Absatzsteigerung dringend und zwingend nötig.

Die Regionalität muss optimaler genutzt werden, beispielsweise können sich Weinproduzenten überlegen, für ihren Direktvertrieb innovative Wege zu bestreiten. Konsumenten müssen direkt angesprochen und mit Spezialangeboten an Bord geholt werden. So kann eine enge Kundenbindung entstehen. Diese Bindung ist es letztlich, die wiederholte Käufe begünstigt – und sich positiv auf die Verkaufszahlen auswirkt. Man darf auf die weitere Entwicklung im 2. Halbjahr 2020 sowie die gesamte Jahresbilanz gespannt sein. Es bleibt die Hoffnung, dass sich der Horeca-Sektor erholt und die Umsatzentwicklung der Grossisten weiterhin positiv bleibt. Die Jahresberichte des BLW und des OSMV dürften im Frühjahr 2021 erscheinen und Licht in dieses Dunkel bringen.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert