
«Die Rote» – der Weg zu den Praktikern
Die «Schweizer Zeitschrift für Obst- und Weinbau» gibt es seit 1891. Dennoch verweist sie noch heute auf das Jahr 1865 als Gründungsjahr. Woher das kommt und wie seit bald 160 Jahren das Credo der Zeitschrift lautet, lesen Sie im Folgenden.
Als Hermann Müller-Thurgau 1891 seine Direktorenstelle an der Versuchsanstalt in Wädenswil antrat, erbte er gleichsam als Nebenschauplatz auch die Redaktionsleitung der Schweizer Zeitschrift für Obst- und Weinbau. Gleich zu Beginn führte er – wie man heute modern sagen würde – einen Relaunch des 1865 gegründeten Organs des Schweizerischen Obst- und Weinbauvereins durch. Das Ziel war schon damals der Transfer von der Wissenschaft zur Praxis. Den nach wie vor liebevoll gemeinten Namen «Die Rote» erhielt die Zeitschrift aufgrund des roten Umschlags in den 1950er-Jahren (Einstiegsbild) und auch als Abgrenzung von «der Grünen», die die anderen landwirtschaftlichen Bereiche abdeckte. Beide Farben haben also nichts mit politischen Gesinnungen zu tun.
In einem Vorwort von 1896 schrieb Müller-Thurgau: «Wir sind nicht reich genug, unsern Boden kranken und unfruchtbaren Pflanzen zu überlassen. Aber mit der Erzielung reicher Erträge ist es noch nicht getan, man muss auch die Früchte richtig und möglichst nutzbringend zu verwerten wissen.» Damit hat er das Credo ausgesprochen, das bis heute gilt.
Beratung als Kernkompetenz
Ein nicht zu unterschätzender Teil der Zeitschrift und der Arbeit der Redaktoren galt seit je der Beratung. In Zeiten, als die Post die Geschwindigkeit von Nachrichten bestimmte, war es naheliegend, eine Art Briefkasten für Fragen aller Art einzurichten. Die Antworten folgten – natürlich – in einer der nächsten Nummern. Ab und an trafen auch Fragen ein, die weit von der Kernkompetenz der Fachleute wegführte oder Fingerspitzengefühl verlangten, um den Fragenden aufgrund seines fachlichen Niveaus nicht zu kränken. Nichtsdestotrotz versuchte man stets, eine sinnstiftende Antwort zu geben.
Hier ein paar Beispiele:
Ist das sogenannte «Totenührli», das man dann und wann nachts im wurmstichigen Holzwerk der Häuser wie das Tiktak einer Uhr pochen hört, nicht ein Borkenkäferchen, ähnlich denen, die in Obstbäumen so verderblich hausen? (1903 M. W. in W.)
Der Klopfkäfer – Anobium pertinax – (wörtlich übersetzt: widerspenstiger Wiederaufleber) ist ein 5 mm langes, schwarzbraunes, fast walzenförmiges Käferchen aus der Familie der Bohrkäfer (Byrrhidae). Die Borkenkäfer gehören zu einer anderen Käferfamilie (zu den Scolytidae).
Anfangs Sommer findet man das Käferchen oft an den von der Sonne beschienen Fenstern herumkriechen. Ein merkwürdig halsstarriges Tierchen, das bei der geringsten Berührung sich tot stellt und nicht dazu zu bringen ist, dass es ein Lebenszeichen von sich gibt. Lässt man den Käfer aber still liegen, so fängt er nach geraumer Zeit an, sich wieder zu bewegen.
Ich möchte gerne alkoholfreien Apfelsaft herstellen und möchte fragen, ob man dazu auch vergorenen Apfelsaft verwenden kann oder ob der Saft stets von der Presse weg zu pasteurisieren ist? (1913, Z. J. in O.)
Da bei der Gärung der Zucker in Alkohol und Kohlensäure zerlegt wird, enthält jeder vergorene Apfelsaft eine ziemlich grosse Menge Alkohol, 4–7 Prozent. Diesen Alkohol zu entfernen, bietet grosse Schwierigkeiten und ist viel zu teuer, also unrationell. Zudem besitzt die zurückbleibende Flüssigkeit einen unangenehmen Geschmack. Alkoholfreier Apfelsaft kann demnach nur aus ganz unvergorenem Saft hergestellt werde, der gleich von der Kelter weg zu pasteurisieren ist.
Ist der hierzulande «Eie» [Eibe] genannte kleine Nadelholzbaum giftig? Ich habe zwei solche in meinem Hausgarten. (1903 H. H. in W.)
Ja, für Menschen und Haustiere. ½ Pfund Taxussprossen genügt, um ein Pferd zu töten.
Ich hatte einen Versuch gemacht, einen Wein mit Milch zu schönen. Der Vorversuch mit einem Liter gelang gut, aber als ich dann das Quantum behandelte, da zeigte sich nachher, dass der Wein nicht hell werden wollte. Wo liegt nun die Schuld? (1902 A. B. in W.)
Wir raten aufgrund gemachter Erfahrungen von der Anwendung von Milch zum Schönen der Weine ab. Der Käsestoff der Milch wirkt zwar schönend, aber es kommen mit der Milch auch andere Stoffe, so namentlich auch Milchzucker, in den Wein und können dann zu nachträglichen Erkrankungen Anlass geben.
Dieser Aufruf gilt heute wie gestern!
«Über alle Fortschritte auf den Gebieten Obst und Wein hält uns die Zeitschrift wohl auch künftig auf dem Laufenden. Also abonniere, im eigenem Interesse, wer mit der Zeit Schritt halten und sich die gebotenen Vorteile sichern will.»
Hermann Schwarzenbach, 1895, Heft 1
Um dem unbemittelten Familienvater in einem obstreichen Herbst zu einem billigen Dörrobst zu verhelfen, würde ich für vorteilhaft finden, wenn von Genossenschaften oder Gemeindevorständen praktische Dörrapparate in gemeinnützigem Sinne angeschafft würden. Habe in Ihren Lokalitäten bei Anlass des Mostklärungskurses zwei solche Dörrapparate gesehen. Sind sie zweckmässig und was kostet jeder einzelne? (1894 J. Z. in T.)
Die bisher konstruierten Dörrapparate leisten noch nicht, was man sollte verlangen können. Der Bedarf an Brennmaterial ist zu gross. Da die entweichende Wärme sonst keinen Zweck erfüllt, kommt das Dörren etwas teuer zu stehen und rentiert sich nur bei sehr niedrigen Obstpreisen.
Habe schon öfters disputieren hören über das «Schönen» von Rotwein mit Eiern. Einer sagt, man dürfe nur Eiweiss verwenden, der andere glaubt, «das ganz Ei ohne Schale» und der dritte sagt «das ganze Ei samt Schale» sei am vorteilhaftesten. Welches ist nun das Beste? (1894 E.H. in Sch.)
Zum Schönen des Rotweins werden häufig Eier benutzt und zwar aus dem Grunde, weil dieses Mittel weniger Farbstoff herausnimmt als Hausenblase (Schwimmblase des Beluga, einer Störart). Bei rationellem Einsatz wird nur das Weisse des Eies verwendet. Nachdem man durch eine Vorprobe genau festgestellt hat, wie viel Eier man braucht, wird das Weisse derselben gesammelt, durch ein Stück ziemlich dichter Leinwand gepresst, mit etwas Weingut gemischt und dann ins Fass zu dem zu schönenden Wein gegeben, wobei man mittelst Rührlatte mischt.
Beifolgend ein Muster von einem Apfel. Er hat einen angenehmen Geschmack und heisst hier am See «Küchliapfel»; man kann ihn auch recht gut zum Küchlimachen gebrauchen. Wie ist der richtige Name der Sorte? (Anonym, 1903)
Das lockere Fleisch und das grosse offene Kernhaus lassen vermuten, dass fraglicher Apfel ein gestreifter Herbstcalville ist, eine alte, in der Ostschweiz ziemlich verbreitete Sorte.
Wollen Sie mir gefälligst mitteilen, ob aufgelöstes Eisen- resp. Kupfervitriol in Jauche gut ist zur Düngung junger Bäume? (1894 L. in B.)
Eisen- und Kupfervitriol haben auf gesunde Bäume keine besondere günstige Einwirkung, im Gegenteil können sie, in zu starkem Masse angewendet, dann nachteilig werden, besonders Kupfervitriol. Bei gelbsüchtigen Bäumen hat man dagegen schon häufig durch Eisenvitriol eine Heilung herbeigeführt.
Ich habe vor zirka drei Wochen einen hiesigen Rotwein, prima Qualität, Jahrgang 1893, in Flaschen abgezogen. Der Wein war beim Abziehen aus vollständig vollem Fass klar und frisch. Nun fängt er an, «lind» zu werden. Die Zahl der abgezogenen Flaschen beträgt zirka 150. Ich stehe nun vollständig ratlos da. Ein rasches Wegtrinken, was wohl das Beste sein dürfte, ist bei meinen kleinen Haushalten nicht möglich. (1894 F. I. in St.)
Rotweine kann man erst auf Flaschen ziehen, wenn sie vollständig ausgebaut sind. Das war bei dem Eurigen offenbar nicht der Fall. Man sollte eben stets, bevor man zum Abfüllen übergeht, eine Vorprobe machen, welche darin besteht, dass man eine Flasche des betreffenden Weines abfüllt und während einigen Wochen in einem wärmeren Raume z. B. im Wohnzimmer oder in der Küche liegend aufbewahrt. Bleibt dieser Wein gesund und hell, so ist vorauszusetzen, dass er flaschenreif ist.
Ich nehme mir die Freiheit, Sie zu fragen, wie man am zweckmässigsten ein Spritfass aus Eichenholz, in dem italienischer Trester, hernach Rotwein und Most abwechslungsweise gelagert war, wieder für die Aufbewahrung von Branntwein (Trester) herstellt? (1900 P.L. in K.)
Eichenfässer sind zur Aufbewahrung von Branntwein nicht geeignet, selbst wenn sie völlig rein sind, da sie stets Gerb- und Farbstoffe an den Branntwein abgeben. Man verwendet hierfür am besten Fichtenfässer.
Durch meinen Küfer liess ich mich verleiten, einen blassroten Wein mittels Caramel dunkler zu machen, um ihn nicht mit fremdem Wein coupieren zu müssen. Der Wein ist nun dunkler, sieht aber beim Einschenken hässlich kupferig aus. Ist es möglich, die Farbe wieder zu entfernen? (1903, F. W. in N.)
Schade um den guten Wein! Da hat Ihnen der Küfer etwas recht Ungeschicktes empfohlen. Die Rotweinfarbe ist umso schöner, je weniger gelben Farbstoff sie enthält. Indem sie dem Wein Caramel zusetzten, haben Sie den gelben Farbton verstärkt und somit gerade das Gegenteil des beabsichtigten Zweckes erreicht.