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«In der ganzen Nachhaltigkeitsdebatte wird zu viel diskutiert und zu wenig gemacht»

SVP-Ständerat Jakob Stark geht nicht nur für den Thurgau ins Stöckli, er amtet als Hobbywinzer auch als Präsident des Branchenverbands Thurgau Weine (BTW). Hier schildert er, wie er diese beiden Ämter unter einen Hut bringt und wo es in Sachen Schweizer Weinproduktion harzt.

Artikel von:
Markus Matzner
Diesen Artikel finden Sie in der Ausgabe 09 / 2023 , S. 22

Obst+Wein: Jakob Stark, Sie sind Ständerat für den Kanton Thurgau, sind von Haus aus Historiker. Wie kommt es, dass Sie auch dem Branchenverband Thurgau Weine (BTW) als Präsident zur Verfügung stehen?
Jakob Stark: Der Branchenverband Thurgau Weine hat jemanden gesucht, der für einen Neuaufbruch sorgt, auch wieder etwas konsolidieren könnte. Aber ich hätte nicht ja gesagt, wenn es sich nicht um eine interessante Aufgabe gehandelt hätte. Hier muss ich vielleicht anfügen: Vor zwanzig Jahren habe ich zusammen mit dem leider verstorbenen Alt-Nationalrat Paul Rutishauser 130 Rebstöcke gepflanzt und seitdem produzieren meine Frau Coni und ich jährlich bis 200 Flaschen Wein. Deshalb ist mir die Branche nicht unbekannt.

 

Sie sagten zuvor, Sie mussten den Verband konsolidieren. Was mussten Sie denn wieder auf die Schiene bringen?
Ich kam ohne Vorbelastungen in den Verband und stellte einige grundsätzliche Fragen. So z.B. was denn die Funktion unseres Verbands sei? Oder wie wir es schaffen, wieder geschlossener aufzutreten? Dann kam die Kontroverse über die beiden Initiativen (Trinkwasser und Pestizid, Anm. d. Red.), die auch in unserer Branche zu Spannungen geführt hat, schliesslich ist mit Roland Lenz ein namhafter Thurgauer Winzer als Befürworter aufgetreten. Mein Ziel war es von Beginn weg, dass der BTW wieder von allen Beteiligten geschätzt werden kann und als Vertretung des gesamten Weinbaus angesehen wird, unabhängig von der Produktionsart.

 

Wie sind Sie vorgegangen?
Als ideale Ausgangslage erwies sich eine Basiskonferenz im November 2021, die vom ehemaligen Rebbaukommissär Markus Leumann (ebenfalls ein Thurgauer, Anm. d. Red.) geleitet wurde. Wir konnten sieben Ziele formulieren, und das Papier nannten wir «Ziele BTW 2023». Darin geht es um Fachliches, Strukturen, die Wirkung nach aussen und um die Stärkung des Zusammenhalts.

 

Wieso war denn der schlecht?
Er war nicht schlecht, aber man wollte mehr machen. Wichtig war auch die Frage, wie wir den Vorstand organisieren. Denn ich habe von Anfang an gesagt, dass ich nur ein Übergangspräsident für zwei bis vier Jahre bin. In dieser Zeit soll der Vorstand personell erneuert und organisatorisch reformiert werden. Wir konnten drei neue Vorstände finden: Nina Wägeli, Urs Hausamman und Corinne Bärtschi. Es freut mich, dass wir junge Kräfte haben. Wir erstellten eine Kompetenzmatrix – ein Verfahren, wie es auch Verwaltungsräte machen – um für alle Themen eine kompetente Person zu haben.

 

Gab es auch Dinge, die man strukturell im Verband ändern musste?
An der Basiskonferenz zeigte sich das verbreitete Anliegen, das Stimmrecht nach der Fläche zu gewichten. Vorher war es so, dass ein Hobbywinzer das gleiche Stimmrecht besass wie ein 10-Hektar-Betrieb. Das war schon etwas stossend. Wir stuften dann ab: Pro Hektar gibt es eine Stimme, ab fünf Hektar bleibt es bei fünf Stimmen. Beim Traubenmost gibt es pro 100 hl eine Stimme, ebenfalls mit dem Maximum von fünf Stimmen. Bei Selbstkelterern, also Betrieben, die Trauben und Wein produzieren, wurde die Stimmzahl auf acht beschränkt. Insgesamt ergibt sich dadurch eine gute Ausgewogenheit der Stimmgewichte und verhindert die Bildung einer Zweiklassengesellschaft im Verband, was wir nicht wollten.

 

Sie haben als Aussenstehender quasi den Puls der Branche gefühlt. Was haben Sie wahrgenommen?
Ich nehme den BTW als engagierten Verband wahr. Immer wieder kommt zum Ausdruck, wie gross die Belastung der Winzer bezüglich der abgeführten Mittel ist. Allein für die Swiss Wine Promotion (SWP) und den Branchenverband Deutschschweizer Wein (BDW) fliesst mit Fr. 230.–/ha viel Geld ab. Ich bin skeptisch, ob das wirklich der beste Weg ist.

 

Stehen Sie denn auch kritisch dem Zusatzkredit des Parlaments gegenüber?
Nein, das natürlich nicht. Dennoch wäre ich dafür gewesen, etwas bescheidener zu agieren, da das Risiko doch beträchtlich ist, dass es bei der einmaligen Grosszügigkeit bleibt. Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) liess damals durchblicken, dass man zwei Millionen aufstocken könnte, ohne allzu viel zu ändern. Ich denke, das wäre auch für die Zukunft eine vernünftige Basis gewesen. In diesem Jahr aber muss die gesamte Branche schauen, dass man die gesprochenen Gelder – 6.2 Mio. Franken – auch sinn­voll einzusetzen weiss. Hier sind auch der Handel und die Gastronomie gefordert, mitzuhelfen.

 

Ein wichtiges Ziel des SWP-Marketings ist es, Westschweizer Weine auch in der Deutschschweiz besser zu vermarkten. Was sagen Sie dazu?
Es ist schön, wenn die Westschweizer Weine hier bei uns Käufer finden. Aber es müsste auch umgekehrt so sein. Entscheidend ist, dass Westschweizer Weine bei uns ausländische verdängen und nicht unsere. Aber man muss tatsächlich auch sehen: In Sachen Wein sind wir Deutschschweizer eine Minorität und wir sollten gut mit den anderen kooperieren. Im Parlament sehe ich, dass die Kontakte gut funktionieren. Wir müssen unsere Deutschschweizer Interessen bewusst wahrnehmen und wir haben auch etwas in der Hand, um das nötige Gewicht zu bekommen.

 

Zurück zum BTW: Wo setzten Sie hier die Hebel zur Änderung an?
Ein Ziel ist, vermehrt auch für die Traubenproduzierenden da zu sein. Sie brauchen gute Preise, und da müssen auch die Abnehmer mitmachen. Der erste Schritt wäre nun, dass man jedes Jahr ein offenes Gespräch über den Traubenpreis zwischen den Produzierenden und Abnehmenden durchführen würde. Das gäbe dann die Basis, vielleicht einen AOC Thurgau oder auch einen AOC Ostschweiz – man muss ja nicht so eng denken – zu lancieren, um den Erlös zu verbessern.

 

 

«Alles muss über den BDW laufen, was die ganze Sache schwerfällig macht.»

 

Dass jeder Kanton für sich schaut, ist augenfällig. Kann da der BDW die nötige Klammer bilden?
Der BDW ist meines Erachtens gut als Gegengewicht zur Westschweiz, aber er kann nur wenig für die Identität der einzelnen Kantone, für deren Vermarktung tun. Für die SWP gilt die Deutschschweiz als eine Region, somit kann ich nicht als Thurgauer Verband direkt dorthin gelangen, um für Projekte Geld zu bekommen. Alles muss über den BDW laufen, was die ganze Sache schwerfällig macht. In Bezug auf Förderung und Marketing wäre es besser, man würde die Deutschschweiz kleiner strukturieren. So könnte man z.B. die Kernostschweiz (TG, SG, AI, AR) zusammennehmen oder die grössere Ostschweiz zusammen mit Schaffhausen und Zürich für ein Projekt promoten. Eine schlagkräftige Absatzförderung für die Weine aus unseren Regionen kann kaum über den BDW und die SWP laufen. Speziell die Projekte der SWP sind meines Erachtens oft eine Schuhnummer zu gross für uns. Hier sollte man teilweise regionaler denken.

 

Zu Beginn Ihrer Präsidentschaft gab es zwischen Ihrem Kantonalverband und dem BDW auch in Sachen Engagement für das Weinbauzentrum Wädenswil (WBZW) Differenzen. Konnten die ausgeräumt werden?
Wir haben nun einen Zusammenarbeitsvertrag als Rahmenabkommen. Die konkrete Umsetzung passiert über sogenannte Module, über die jährlich entschieden wird. Nun hat bei uns die Umsetzung des Projekts «Nachhaltigkeitsstrategie Thurgauer Wein» begonnen, das nach längerer Vorbereitungszeit von der BTW-Mitgliederversammlung genehmigt wurde. Darin sind elf Ziele formuliert, wobei die Prämisse gilt, dass der Thurgau die nationale Nachhaltigkeitsstrategie unterstützt. Für die Umsetzung unseres Projekts ist es wichtig, dass wir die richtige Unterstützung bekommen. Hier ist das WBZW gefragt, was auch den kantonalen Weinbaubetrieb Arenenberg einschliesst. Wir möchten den ökologischen Wandel selbstbestimmt und mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten gestalten. Dank den Erfahrungen von Pilotbetrieben sollen die geeigneten Massnahmen bis 2027 definiert und umgesetzt sein.

 

Im Kanton Thurgau gibt es Winzerbetriebe wie jenen von Roland und Karin Lenz, die schon viel weiter sind. Kann Ihnen da eine gesamtintegrierende Abwicklung gelingen?
Ja, weil auch Roland und Karin Lenz erkennen werden, dass sich die Branche bewegt. Für die Branche und deren Entwicklung wäre es hervorragend, wenn alle Produzentinnen und Produzenten Mitglied wären und wir mit einer guten Diskussionskultur und gegenseitigem Respekt Fortschritte erzielten.

 

Einerseits die Flexibilität und dann doch das definierte Jahr 2027 – ein Widerspruch?
Mein persönlicher Eindruck ist: Es wird in der ganzen Nachhaltigkeitsdebatte zu viel diskutiert und zu wenig gemacht. Man behindert sich gegenseitig, auch national. Das trifft auch auf das nationale Projekt zu. Aus diesem Grund finde ich es richtig, dass wir Thurgauer einen Konsens haben und ihn umsetzen. Wenn die Schweizer Strategie mal geboren ist, können wir uns wieder anpassen.

 

Sprechen wir zum Schluss über Hermann Müller-Thurgau, dem Vater der gleichnamigen Sorte, die in der Schweiz zumeist Riesling-Silvaner genannt wird. Wieso wird diesem Thurgauer Nationalheld kein entsprechender Stellenwert beigemessen?
Tatsächlich wäre es wichtig, Hermann Müller-Thurgau im Thurgau stärker bekannt zu machen. Immerhin ist sein Geburtshaus in Tägerwilen gut erhalten und wird auch entsprechend gepflegt. Wenn man jedoch bedenkt, dass der im Jahre 1882 gezüchtete «Müller-Thurgau» mit zeitweise 23 000 ha Anbaufläche bis heute die weltweit erfolgreichste Weissweinneuzüchtung darstellt, müsste man mehr daraus machen.

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