«Dank Piwi spare ich pro Hektar 500 kg CO2 ein»
Fredi Strasser gilt als Pionier in Sachen Piwi. Die SZOW hat anlässlich seiner Buchveröffentlichung mit ihm über seinen Lebensweg gesprochen.
SZOW: Fredi Strasser, eben ist Ihr Buch «Pilzresistente Traubensorten» erschienen. Wenn Sie nun auf Ihr zwischen Buchdeckeln eingeklemmtes, bisheriges Leben zurückblicken: Worauf sind Sie besonders stolz?
Fredi Strasser: Da kann ich nicht nur einen Punkt nennen. Da ist mal meine Familie, mit der ich diesen Lebensweg gehen konnte, dann, dass es uns gelungen ist, einen konsequent naturschonenden Weg im Rahmen des biologischen und biodynamischen Weinbaues zu gehen. Wir begannen mit wenig Fläche, haben laufend Piwireben gepflanzt und 2010 den Betrieb auf dem Stammerberg dazugekauft, sodass wir nun über zehn Hektaren bewirtschaften.
Nicht unwesentlich in Ihrem Leben war auch, dass Sie sich in den 1980er-Jahren erfolgreich für eine Überwindung der Rebsortenliste eingesetzt haben.
Ja, zusammen mit Pierre Basler und Andrea Hämmerle war ich mutig genug, die Abschaffung der vom Bund vorgeschriebenen, zwingenden Rebsortenliste durchzusetzen. Somit habe ich die Schweizer Winzer von altertümlichen und unnötigen Reglementierungen «befreit». Daneben soll auch erwähnt sein, dass ich seit 1984 über 3000 Menschen fundiert im biologischen Landbau ausbilden konnte.
Sie beschreiben, wie Sie schon in der Mittelschule und auch später im Gymnasium Durchhaltewillen brauchten. War Ihnen dieser Charakterzug schon in die Wiege gelegt?
Wir Strassers gelten als belastbar, zäh, unermüdlich und hartnäckig. Wir sind «Chrampfer», aber auch ideenreich und somit flexibel.
Von Hartnäckigkeit zur Sturheit ist es bisweilen nicht weit. Mussten Sie manchmal stur sein, um den Weg konsequent weiterzugehen?
Wenn ich Sachverhalte nicht verstehen kann, frage ich sehr hartnäckig nach. Wenn dann Scheinargumente oder veraltetes Gedankengut auftauchen, werde ich manchmal knallhart. Man kann das stur nennen: Ich selbst fühle mich eher als frei denkender Mensch und finde, dass ich lediglich versuche, Lösungen zu erarbeiten. Dabei beharre ich nicht einfach auf meiner Meinung, sondern bleibe neugierig und suche immer neue Dinge in den Gedanken der Mitmenschen und in der Natur. Wenn man will, dass wir alle der Natur Sorge tragen, ist das dann stur?
Sie mussten viel kämpfen in Ihrem Leben: gegen herrschende Meinungen, gesetzgeberische Einschränkungen und Vorurteile. Wie oft dachten Sie ans Aufgeben?
Es hat einige Male ganz ernste Situationen gegeben, wo ich mich ausgebrannt gefühlt habe. Mit meinen Teilzeitanstellungen am Strickhof und bei Agroscope, also ausserhalb des Betriebs, waren die Arbeitsbelastung und der Zeitstress in Spitzenzeiten nur mit vielen Nachtarbeitsstunden zu bewältigen. Wenn es kritisch wurde, haben wir intensiv in der Familie und unter Freunden über Lösungen beratschlagt. Das hat uns geholfen, die Situation neu zu betrachten. Oft sind dann zufällig neue Lösungen entstanden. Meine Familie, insbesondere meine Frau Maria als ausgebildete Agrotechnikerin, hat sehr viel im Betrieb übernommen. Meine beiden Söhne sind nach der Erstausbildung auf den Betrieb zurückgekommen.
Sie sind als Bauernsohn in Nussbaumen (TG) aufgewachsen. Sie beschreiben, wie die «chemischen Knechte» (also die Spritzmittel) die Arbeit erleichterten. Wann dämmerte Ihnen, dass ihr Einsatz unerwünschte Nebenwirkungen mit sich brachte?
Es waren die Totenköpfe auf den Insektizidpackungen, die bei mir gemischte Gefühle auslösten. Dennoch haben wir das Zeug einfach so ohne Maske in die Spritze reingeschüttet! Da war mir mehr als mulmig zumute, auch nachher, wenn mir der Spritznebel ins Gesicht flog. Aber da dachte jeder, das muss so sein, sonst ernten wir nichts. An der ETH hab ich eine Arbeit über Nonylphenol als Bestandteil von Spritzmitteln an der EAWAG (das Wasserforschungsinstitut der ETH, Anm. d. Red.) gemacht. Das Mittel wurde zwar von Mikroorganismen in der Kläranlage zerlegt, doch das Abbauprodukt war ein hochgradiges Fischgift und somit eine Gefahr im Klärschlamm. Da ist mir noch viel bewusster geworden, dass wir mit sehr heissen Eisen spielen und Boden und Wasser gefährden, obwohl auf der Packung das Wort «abbaubar» steht.
Ein ausschlaggebender Punkt für Ihren Weg war wohl auch die Krankheit Ihrer Mutter. Die Symptome wurden mutmasslich durch das Spritzen der Reben ausgelöst. Was hat das bei Ihnen ausgelöst?
Die Hautausschläge und das Asthma mei-ner Mutter, wenn sie tagelang in den Reben war, haben mich als Jugendlicher sehr beunruhigt. In Gesprächen mit Berufskollegen und -kolleginnen hat man die Mittel nicht einfach als harmlos wahrgenommen, aber man war überzeugt, die Kulturen schützen zu müssen, mit dem was Forschung und Industrie gerade zu bieten hatten.
Pioniere werden bisweilen von den Mitmenschen scheel betrachtet, gleichsam auch als Störenfriede verurteilt. Wie gingen Sie damit um?
Anfangs ist mir das gar nicht so aufgefallen. Immerhin fühlte ich mich als Lehrer und erster Bioberater an der Landwirtschaftsschule Strickhof sozusagen amtlich eingesetzt dafür, dass ich diese Arbeit machen durfte. Als ich dann auf dem eigenen Land mit Bioweinbau begann, sah ich, wie meine Parzellen regelmässig beobachtet wurden. Bald gab es auch die ersten unangenehmen Diskussionen und Ärger. Anfangs ging ich noch an die Branchenversammlungen. Als Freigeist habe ich mich dummerweise zu Wort gemeldet, wenn mir etwas nicht passte. Als dann auf meine fachlichen Argumente mit unsachlichen Angriffen gekontert wurde, bin ich der Branche fern geblieben. Ich habe meinen Ideenreichtum und meine Schaffenskraft innerhalb der Biobewegung der Schweiz eingebracht, wo mir Respekt und Freundschaft entgegengebracht wurde.
Fredi Strasser wuchs als Bauernbub im Kanton Thurgau auf und studierte an der ETH Agronomie. Seit über vierzig Jahren hat er sich dem Biolandbau verschrieben und betreibt mit seiner Familie ein Bioweingut in Stammheim (ZH). Daneben machte er sich auch als Dozent und Lehrer einen Namen. In seinem jüngst erschienen Buch «Pilzresistente Traubensorten – Reben biologisch pflegen, naturreinen Wein geniessen» (Haupt-Verlag) engagiert er sich für Piwisorten, erklärt den Anbau basierend auf seinen eigenen Erfahrungen und bietet gleichzeitig einen Überblick über den Stand der Forschung.
Das Problem von chemischen Rückständen im Wein haben Sie selbst erlebt. Auch wenn Sie nichts dafür konnten, einer Ihrer Weine war kontaminiert. Die Folgen waren einschneidend: Sie wurden sogar in der Sendung «Kassensturz» des Schweizer Fernsehens erwähnt, was dazu führte, dass eine namhafte Bioweinhandlung Ihre Weine aus dem Sortiment kippte. Wie lässt sich das in der engräumigen Schweiz verhindern und was raten Sie jungen Winzerinnen und Winzern, die umstellen möchten?
Tatsächlich war es bis vor Kurzem für Biobauern schwierig, die Ansprüche gegenüber konventionell arbeitenden Nachbarn durchzusetzten. Bruno Martin in Ligerz musste bis vor Gericht erleben, dass Helikopterspritzabdrift auf eine seiner Parzellen toleriert werden musste. Auch ich musste kontaminierte Trauben in den konventionellen Kanal abliefern. Heute hat sich die Interpretation von «guter bäuerlicher Praxis» dahingehend gewandelt, dass Gerichte vermehrt anerkennen, dass der Verursacher der Abdrift für den Schaden geradestehen muss. Ich habe zusammen mit dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL), den Kantonen TG und ZH eine Studie gemacht und wir haben Folgendes gesehen: Wenn man das Entlauben auf der Seite des Nachbarn unterlässt und wenn der Nachbar seine zwei Randreihen nur von aussen her spritzt, können die Rückstände minimiert werden. Neuerdings habe ich festgestellt, dass die dichten KEF-Abwehrnetze den Sprühnebel zwar auf der Seite der Spritze reinlassen, aber fast nichts mehr auf der anderen Seite der Laubwand herauskommt. Wir haben nun bereits Parzellen, wo wir unsere Randreihen so eingenetzt haben, aber eigentlich muss das der Nachbar auch machen. Besser wäre allerdings, wenn die Nachbarn Piwisorten pflanzten und auf Bio umstellen würden.
Das Biosegment boomt. In der Folge stehen auch Bioweine hoch im Kurs. Was der Weinkonsument häufig nicht weiss: Bio heisst im Bereich des Weinbaus, dass man in unseren Breiten die Reben teilweise über zehnmal mit dem Schwermetall Kupfer und mit Schwefel behandeln muss. Ist somit der Begriff Bio im Weinbau nicht verfälschend oder sogar irreführend?
Gemäss den geltenden Biorichtlinien ist es so, dass wir im heutigen Bioanbau unsere Kulturen mit natürlichen Spritzmitteln schützen können. Diese Entwicklung hat dazu geführt, das wir heute viel mehr natürliche Möglichkeiten haben, gute Erträge mit viel weniger Risiko als noch vor dreissig Jahren sicherzustellen. Aber bei genauerer Betrachtung muss man insbesondere im Weinbau differenzieren zwischen Piwisorten und anfälligen Sorten und zwischen sehr trockenen Lagen und feuchteren Gebieten. Ich bin der Meinung, dass meine Bioweinbaukollegen und -kolleginnen, die besonders in ungünstigen Gebieten immer noch das Jubellied auf die Weinqualität der anfälligen Sorten singen, einfach zu wenig über die Schonung der Natur nachdenken. Erstens gewinnen Piwisorten laufend erste Preise an nationalen und internationalen Weinprämierungen. Zweitens ist es einfach nicht in Ordnung, wenn man so viele Male mit der Spritze durch die Reben fährt, nur um den Weingeniessenden in ihrer traditionalistischen Haltung die bisherigen Sorten in Bioqualität liefern zu können. Wein gehört zwar zum Leben, aber zum Überleben auf diesem blauen Planeten muss es nicht Biowein aus anfälligen (=europäischen) Sorten sein. Das Land braucht Piwisorten! Ich habe hochgerechnet, dass wir auf unserem Betrieb etwa 500 kg CO2 pro Hektare und Jahr dank Piwisorten einsparen. Ähnliches wurde auch in wissenschaftlichen Studien erarbeitet. Würde die Schweizer Rebfläche auf Piwisorten umgestellt, könnten wir vermutlich die gewaltige Menge von etwa 220 Spritzmittel und sogar etwa 4000 t CO2 pro Jahr einsparen.
Sie beschreiben eindrücklich, wie die Piwireben Moleküle gegen den Pilzbefall bilden können (Resveratrol, Viniferin, Quercentin). Was bewirken diese Moleküle und wieso lässt sich diese Fähigkeit nicht auch in europäische Sorte «einkreuzen»?
Piwi-Sorten sind Kreuzungen von amerikanischen, asiatischen und weiteren pilzresistenten Wildarten der Rebe mit Europäersorten. So gesehen wird also ganz normal agronomisch eingekreuzt, aber das Produkt ist nicht mehr z.B. Pinot noir, sondern eine neue Sorte mit eigenem, agronomischem und geschmacklichem Profil. Die angesprochenen Schutzstoffe werden bei einer ersten Wahrnehmung des Falschen Mehltaupilzes durch die Rebe im Stoffwechsel in ihren Zellen hergestellt, vergleichbar mit einem Immunsystem. Diese Stoffe werden mit dem Saftstrom in der Pflanze verbreitet und töten den Pilz ab. Modern gesagt sind es pflanzeneigene, systemische Fungizide. Es hängt nun vom Zufall der genetischen Neukombination bei einer Kreuzung ab, ob diese Abwehrgene in die neuen Sämlinge weitergegeben wurden. Darum ist es wichtig, dass bei solchen Kreuzungen auch all die andern Abwehreigenschaften, wie beispielsweise dicke Zellhäute mit starker Wachsschicht oder Nekrose- und Kallusbildung, auch weitergegeben werden. Das Wunderbare an der Sache ist, dass diese Stoffe für uns Menschen mehrere ganz beachtliche positive Eigenschaften in unserem Stoffwechsel auslösen, die zur Gesundheit beitragen können. Humorvoll gesagt, sollten wir den Traubensaft und Wein aus Piwisorten bald nur noch in Apotheken verkaufen.
Selbst Piwisorten sollten zwei- bis dreimal gespritzt werden (mit Kupfer und Schwefel), um Resistenzdurchbrüche zu verhindern. Wie ein namhafter Piwizüchter hinter vorgehaltener Hand erklärte, gäbe es mit der aktuellen CRISPR/CAS-Methode interessante Anwendungsmöglichkeiten, um das Problem zu lösen. Natürlich ist die Gentechnik als Ganzes umstritten. Aber wäre hier ein Weg, den man mindestens prüfen sollte? Auch für die europäischen Sorten?
Der grosse Vorteil der Gentechnikfor-schung ist, dass wir heute sehr viel über die Mechanismen der Vererbung wissen. Jedoch kann ich mir bei der Komplexität der Natur nicht vorstellen, dass es uns gelingen wird, mit ein paar wenigen transferierten Genen die Resistenz der Pflanze gegenüber den Schaderregern sicherzustellen. Schauen Sie, eine gute Abwehrkraft der Rebe ist auf über 200 Genen lokalisiert. Der Falsche Mehltaupilz seinerseits macht in einem Sommer im Rebberg mehr Generationen durch als es Menschengenerationen seit Christi Geburt gibt. Wer ist also schneller in der Anpassung: die Rebenzüchter oder der Pilz? Wenn er nur wenige Hindernisse, sprich Abwehrgene, überwinden muss, schafft er das in wenigen Jahren. Wenn er eine Vielzahl von Hindernissen im Weg hat, wird er eher daran gehindert, eine verheerende Epidemie zu entwickeln. Das ist auch bei den Wildreben so. Diese werden auch ein wenig vom Pilz befallen, aber er schafft es nicht, sich zerstörerisch zu etablieren. Ein guter Züchter ist sich bewusst, dass er nicht nur Pflanzen züchtet, sondern mit jeder neuen Sorte auch die natureigene «Züchtung» der Schaderreger in Gang setzt.
Der Begriff Piwi – als Abkürzung für pilzwiderstandsfähig – ist Konsumenten recht schwer zu erklären. In der heutigen Zeit braucht es kurze und griffige Argumente, um landen zu können. Müsste man für Piwi also eine andere Bezeichnung suchen?
Wir haben vor zwanzig Jahren Piwi International gegründet und vor Kurzem auch die Sektion Piwi-Schweiz. Die Diskussion rund um den Namen Piwi verfolgt uns, aber ich finde, er hat sich in der Branche eingebürgert. Bei den Weingeniessenden ist Piwi ungeeignet, ja sogar unschön. Für die Gründung unserer Vermarktungsfirma für Bio-Piwi-Weine bin ich auf eine andere Idee gekommen, nämlich Naturtalent-Biowein GmbH. So stehen nun in den Regalen neu die Weine «Naturtalent Solaris» und «Naturtalent Cabernet Jura». Wir sind überzeugt, dass andere folgen werden, denn wir sind offen für weitere Lieferanten.
Rund um die anstehenden Initiativen (Trinkwasser- und Pestizidinitiative) haben sich schon einige Winzer klar positioniert. Werden Sie sich auch im Abstimmungkampf engagieren?
Ich habe immer gesagt, dass unsere Intelligenz dazu gebraucht werden muss, natureigene Lebensprozesse, Kräfte und Mechanismen zu erkunden, zu erforschen und nutzbar zu machen, um den Weg des Biolandbaus erfolgreicher und effizienter zu machen. Da bin ich ganz klar Ingenieur Agronom. Und das lasse ich auch auf einschlägigen Plattformen verlauten, denn ich bin ein klarer Gegner der naturfremden, künstlich-synthetischen Spritzmittel. Seit über 36 Jahren spritze ich keine Herbizide mehr, säe zur Ernährung der Reben Luzerne ein und baue Piwisorten an, um Spritzfahrten und Biospritzmittel zu minimieren. Und es funktioniert! Deshalb bin ich voller Hoffnung: «Träumt einer allein, ist es ein Traum, träumen es viele gemeinsam, ist es der Anfang von etwas Neuem» (aus Brasilien).