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KEINE AUSREDE FÜR PSM-RÜCKSTÄNDE.»

«SCHWÜL-HEISSES WETTER IST

Die Reduzierung von Pflanzenschutzmittel (PSM) und rückstandsfreie Produkte sind heutzutage das Mass der Dinge in der Landwirtschaft. Die Tessiner Winzer gehen hier einen eigenen und auch für nördliche Anbaugebiete ­interessanten Weg. Wir haben bei Alfred De Martin, Önologe bei Gialdi, nachgefragt.


Autor_Markus-Matzner
MARKUS MATZNER
Chefredaktor SZOW

SZOW: Herr De Martin: Seit dem Jahr 2012 engagieren sich namhafte Weinbaubetriebe im Tessin in einem Projekt, um Pflanzenmittelrückstände in den Weinen zu minimieren oder gar zum Verschwinden zu bringen. Was wurde erreicht?
Alfred de Martin: Wir haben einen Spritzmittelplan entwickelt, bei dem herkömmliche Produkte verwendet werden und mit 8 bis 10 Behandlungen der abfüllfertige Wein maximal noch einen bis zwei Rückstände aufweist.

 

Was waren die Gründe für das Projekt und wie begann es?
Während einer Kontrollkampagne des kantonalen Labors im Jahre 2012 stellte man in mehreren Tessiner Weinen einen zu hohen Fenpropidingehalt fest. Auch weitere Spritzmittelrückstände wurden gefunden, die aber alle deutlich unterhalb der gesetzlichen Höchstwerte lagen. Mit anderen Tes­si­ner Kollegen wurde eine Kommission gegründet, mit dem Ziel, rückstandsfreie Weine zu erzeugen. Auch das kantonale Labor unterstützte uns bei diesem Unternehmen.

 

Was waren wichtige Etappen im Projekt und welche Erkenntnisse waren wegweisend?
Zuerst versuchten wir, die Spritzmittelrückstände im Keller durch verschiedene Schönungen und/oder Filtrationen aus dem Wein zu entfernen. Einige dieser Eingriffe führten zur Reduzierung der Rückstände, nicht aber zur Elimination. «Vorbeugen statt heilen» lau­tete die Devise, und so tasteten wir uns an optimale Spritzmittelpläne heran. Auch hier stand uns das kantonale Labor mit vergünstigten Analysen und technischem Know-how zur Seite.

 

Spritzmittelpläne optimieren, das tönt auf dem Papier simpel und wird sicher auch von vielen anderen Winzern versucht. Was aber taten Sie und Ihre Mitstreiter konkret anders?
Wir haben viele verschiedene Spritzpläne entwickelt, getestet und dann die Weine analysiert. So haben wir eine Liste von Spritzmitteln erstellen können, die unter spezifischen Bedingungen (z.B. das Datum der letzten Behandlung vor der geplanten Ernte) die Erzeugung von rückstandsfreien Weinen ermöglichen. Jeder Winzer, der mitmachen wollte, war willkommen und hat eine Variante getestet. In der Zwischenzeit hat die Zahl der «freiwilligen» Winzer zugenommen.

 

Und wie muss man sich das nun in der Praxis vorstellen: Wer entscheidet letztlich, welches Mittel wann gespritzt wird?
Wir haben eine Liste mit den verschiedenen Wirkstoffen erstellt und dabei notiert, bis wann sie spätestens verwendet werden dürfen, um PSM-­Rück­stän­de im Wein zu vermeiden.
Während der Gebrauch einiger Pflanzenschutzmittel auf bestimmte phänologische Entwicklungsstadien ­begrenzt ist, dürfen andere mehrmals verwendet werden, obschon auch ihre opti­male Wirkung limitiert ist. Letztendlich entscheidet aber der Winzer, welchen Wirkstoff er wann anwenden möchte.

Der gebürtige Thurgauer Alfred De Martin kam auf Umwegen zum Weinbau. Als gelernter Radio /TV-­Elektroniker mit kaufmännischer Weiterbildung sattelte er 1994 um und machte ein Stage im Rebberg und Keller bei Uvavins im Waadtland. Danach folgten ein Studium an der ETS in Changins und ein Auslandsaufenthalt in Australien. Seit 2001 arbeitet er bei Gialdi Vini und Brivio Vini im Tessin und ist zuständig für die Produktion. Nebst Einsitz in verschiedenen Kommissionen ist er auch im Verwaltungsrat des Weinbauzentrums Wädens­wil (WBZW).


Optimal wäre es natürlich, gar keine Spritzmittel zu verwenden, dann gäbe es auch keine Rückstände. Jedoch ist das illusorisch. Wie also findet man die Balance zwischen nötigem und hinreichendem Spritzen, zumal die Natur und das Klima stets ein entscheidendes Wörtchen mitreden?
Perfekte Wetterbedingungen mit null oder nur geringem Krankheitsrisiko während der ganzen Saison treten leider nur sehr selten auf, da haben Sie recht. Die Winzer wissen, dass sie nur bei einem reellen Risiko spritzen sollten und dass Massnahmen wie z. B. Entblättern dieses Risiko teilweise sehr stark li­mi­­tieren können. Wann welches Produkt oder besser welcher Wirkstoff angewendet werden muss, liegt in der Erfahrung und Intuition des Winzers. Nebst seinem profunden Fachwissen ist aber auch im Umgang mit der Rebe gesunder Menschenverstand gefragt.

 

Gab es Rückschläge und wie wurden sie überwunden?
Leider waren nicht alle Versuche erfolgreich, aber dieses Risiko mussten wir eingehen. Ein allfälliger Ernteverlust bei unseren Winzern wurde von uns (Gialdi Vini) kompensiert.

 

Wahrscheinlich weisen jene Spritzmittel am ehesten Rückstände auf, die als letztes gespritzt wurden. Also zum Beispiel gegen Botrytis cinerea. Ist das so oder gab es andere Mittelgruppen, die länger messbar waren?
Es ist schon so: Je später ein Spritzmittel verwendet wird, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht komplett abgebaut wird. Nebst den erwähnten Anti-­Grauschimmelmitteln, die eine sehr lange Abbauzeit haben und die praktisch immer als Rückstand im Wein zu finden sind, gibt es aber auch andere Wirkstoffe wie das Mandipropamid (Fungizid gegen Falschen Mehltau), das eine sehr hohe Persistenz aufweist und häufig im Wein zu finden war. Andere Wirkstoffe werden hingegen sehr schnell abgebaut und können auch zu einem späteren Zeitpunkt benutzt werden. Hier können wir als Beispiel das Penconazol (Fungizid gegen Echten Mehltau) nennen.

 

2018 war wohl auch im Tessin ein aussergewöhnliches Jahr. Ansonsten herrscht in der «Sonnenstube» eher Waschmaschinenwetter mit viel Feuchtigkeit. Kann Ihr Projekt auch funktionieren, wenn es meh­rere Monate hindurch regelmässig schwül-heiss ist?
Ja, ich sehe keinen Grund, warum es nicht funktionieren sollte. Schwül-heisses Wetter ist keine Ausrede für PSM-Rückstände. Die Wirkung der Spritzmittel, die wir verwendet haben, ist seit Jahren bekannt. Wir haben im Prinzip nur herausgefunden, ob und bis wann vor der Ernte sie verwendet werden können, damit keine Rückstände im Wein gefunden werden. Daneben haben wir selbstverständlich auch die Erntequalität und -menge betrachtet. In den betrachteten Jahrgängen (2013 bis 2018) sind keine Ernteverluste oder Qualitätsmängel festgestellt worden, die auf den Spritzplan zurückzuführen waren.  

 

Am Projekt beteiligt sind auch zwei Bio-Betriebe. Was müssen diese anders machen oder beachten?
Da sie sich an die Bio-Richtlinien halten müssen, ist es für sie nicht einfach, im Tessin «nur» mit Kontaktmitteln wie Kupfer und Schwefel die Reben zu schützen. Eine gewisse Sensibilität und sehr viel Flexibilität sind gefragt, denn man muss zweimal so oft spritzen wie der konventionelle Winzer.

 

Was empfehlen Sie Ihren Winzerkollegen in der Deutschschweiz und wie können diese von Ihren Erkenntnissen profitieren?
Wir empfehlen auch unseren Deutschschweizer Kollegen, «Kommissionen» zu bilden und verschiedene, an Ihre Bedingungen angepasste Spritzmittelpläne auszuarbeiten und zu testen.


WER STECKT HINTER DEM PROJEKT?

Alfred (Fredi) De Martin hat als Öno­loge bei Gialdi Vini das Projekt mitangeschoben, aber sieht sich nicht in ­einer federführenden Position. Er betont, dass das gemeinsame Ziel viele Kollegen anspornte, um bei der Erfahrungs- und Datensammlung mitzuhelfen. Neben Gialdi Vini arbeiten folgende Akteure und Betriebe in der Kom­mis­sion mit: Matteo Bernasconi (Rebbauberater TI), Mauro Jermini (Agroscope TI), Winzer Daniel Huber, Bio-­Win­zer Michele Conceprio, Bio-Winzer Gabriele Bianchi, Pierluigi Alberio (Tamborini Vini), Daniel Kern (Gialdi Vini). Die Kommission leitet Mirto Ferretti, pensionierter Agro­scope Mitarbeiter.