«Wichtig ist uns die ganzheitliche Sicht»
3000 ha Rebfläche sind mittlerweile in der Schweiz und in Europa von Delinat zertifiziert worden. Rund 3.5 Millionen Flaschen werden verkauft, über den Umsatz wird jedoch geschwiegen. Dennoch ist Delinat nicht nur im Segment Biowein eine Marktmacht, auch in Sachen Label verlangt es viel. Wir haben bei Daniel Wyss nachgefragt.
Daniel Wyss, was waren die Gründe, dass Delinat ein eigenes Label kreiert hat?
Daniel Wyss: 1983 hat Delinat-Gründer Karl Schefer zusammen mit sieben charismatischen Persönlichkeiten die ersten Weinbaurichtlinien, die den Anbau und die Weinbereitung umfassten, definiert. Delinat ist diesbezüglich Pionier. Damals gab es keine Richtlinien für Biowein, nur allgemeine für Landwirtschaft. Wichtig ist uns die ganzheitliche Sicht. Eine hohe Biodiversität vermindert den Krankheits- und Schädlingsbefall deutlich und macht das Ökosystem Rebberg resilienter. Eine grosse Vielfalt an Mikroorganismen und Pilzen vermindert den Druck von Schadorganismen. Das Bodenleben spielt eine zentrale Rolle und deshalb füttern wir dieses mit einer vielfältigen Begrünung, hochwertigem Kompost und Mulch.
Was sind die Vorteile für ein Weingut, Ihrem Label beizutreten?
Delinat ist Label-Geber und Weinhändler, der in der Schweiz und in Deutschland aktiv ist. Wir können somit gemeinsam mit Kunden und ausgewählten Winzern entscheiden, wie hoch unsere Anforderungen sein sollen. Wenn wir ein Weingut aufnehmen, gehört das schon zu den Besten. Und wenn es bereit ist, unsere Entwicklung mitzumachen, kann es langjährig mit uns zusammenarbeiten. Das geht so lange gut, als die Preis-Leistung der Produkte stimmt und die Innovation mit dem Takt unserer Entwicklung mitkommt.
Wie viele Delinat-Weine erfüllen die Labelvorschriften ganz bzw. nur teilweise?
Von 100 Flaschen Wein, die wir verkaufen, erfüllen 97 die Delinat-Standards. Die restlichen dienen dazu, das Sortiment zu vervollständigen. Darunter sind vor allem Schweizer Bioweine, weil es in der Schweiz erst ein Delinat-Weingut gibt.
Sie sagen es: Im Moment führen Sie gerade fünf Weine von vier Schweizer Produzenten. Warum nur so wenige, wo Sie doch auf Nachhaltigkeit setzen?
In der Ökobilanz spielt der Transport von Italien, Frankreich oder Spanien kaum eine Rolle. Schon allein wenn der Winzer jährlich zweimal weniger mit dem Traktor durch die Weinberge fährt, spart das mehr CO2 als ein 1000 km LKW-Transport benötigt. Das Schweizer Klima ist schwierig für Europäer-Reben – da ist viel Pflanzenschutz notwendig. Nach unserer Einschätzung können Pinot und Müller-Thurgau in der Nordschweiz nicht konsequent ökologisch erzeugt werden. Nur resistente Sorten machen Sinn, davon gibt es allerdings viel zu wenig. Gleichwohl suchen wir in der Westschweiz ein Weingut für eine Zusammenarbeit. Vorteilhaft wäre, wenn schon Piwi-Sorten angepflanzt wären.
Daniel Wyss, 1966 in Dornach (SO) geboren, ist dipl. Landwirt und Ökologe, arbeitete beim FiBL, danach als Kontrolleur bei der Kontroll- und Zertifizierungsstelle Bio.inspecta AG, ehe er vor zwanzig Jahren zu Delinat wechselte und einerseits als Winzer- und Permakulturberater tätig, andererseits auch beim Verfassen der Delinat-Richtlinien beteiligt ist.
Zurück zum Label. Neben den Hauptkriterien gibt es noch weitere Vorschriften. So muss auch in trockenen Gebieten begrünt und auf künstliche Bewässerung soll verzichtet werden. Was sind die Gründe hierfür?
Es geht in erster Linie darum, nackte Böden zu vermeiden. Ob Mulch oder lebendige Begrünung, die bei Trockenheit gewalzt wird – beides verhindert das Austrocknen und Verhärten der obersten Bodenschicht. Bedeckte Böden können Starkregen besser aufnehmen, weil sie porös bleiben.
Die Bewässerung aus Grundwasser ist nicht nachhaltig und soll die Ausnahme bei Jungpflanzen sein. Bewässern mit Regenwasser ist eine gute Alternative. Mit dem Pflanzen von Bäumen und dem Schaffen von Retentionsflächen speisen wir den Grundwasserstrom. Wegen des Klimawandels regnet es seltener und dafür heftiger. Mit gestalterischen Massnahmen (Permakultur) verhindern wir auch bei solchen Ereignissen das Abfliessen von Regenwasser.
Strikt ist auch das Verbot von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln. Allerdings bleibt der eingeschränkte Gebrauch von Kupfer und Schwefel erlaubt. Zeigt das nicht das Dilemma der Definition «synthetisch» (gemäss Bundesrat und Agroscope sind auch Kupfersulfate synthetisch) und wäre es eventuell nicht zielführender, ein gut abbaubares, synthetisches Mittel zu benutzten, anstatt den Boden langfristig mit Kupfer zu belasten?
Da liegen manche Einschätzungen völlig schief! Es ist ein himmelweiter Unterschied zwischen dem anorganischen, einfachen Molekül Kupfersulfat und den komplexen organischen Pestizidverbindungen. Weder gibt es bei CuSO4 gefährliche Stoffwechselprodukte noch wirkt es systemisch. Organische Pestizide aber zerfallen in gefährliche Metaboliten, die zum Teil giftiger wirken als das ursprüngliche Gift. Inzwischen ist nachgewiesen, dass verschiedene Pestizide und deren Zerfallsprodukte im Boden und Wasser interagieren können und dass die dadurch entstehenden Moleküle gefährlich sein können.
Natürlich sollte das Schwermetall Kupfer möglichst zurückhaltend verwendet werden. Dank immer ausgefeilteren Techniken und vor allem robusten neuen Rebsorten liegt der Durchschnitt bei Delinat-Weinen heute schon deutlich unter 2 kg pro Hektar und Jahr. Unser Ziel ist aber, ganz darauf verzichten zu können. Resistente Sorten spielen dafür die zentrale Rolle. Wir investieren viel in die Förderung solcher Sorten und vermarkten diese auch.
Auch in Sachen Düngung gibt es Vorschriften. So darf kein Mineraldünger eingesetzt werden und auch Magnesium und Kalium nur bedingt. Dafür soll Kompost oder Viehmist benutzt werden. Somit braucht es wie bei Bio-Winzer Fredi Strasser einen kleinen Zoo mit Pferden, Schafen, Enten etc., um das zu bewerkstelligen. Stellt das für Deutschschweizer Winzer nicht schon fast eine unüberwindbare Hürde dar?
Die Wirkung von Tieren in den Reben ist bezüglich Biodiversität und Förderung der Bodenfruchtbarkeit phänomenal. Dies ging im Weinbau völlig vergessen, obwohl dies eine alte Tradition ist. Wir tauschen uns eng aus mit Forschern aus Freiburg i. Br., die die ganzjährige Weidehaltung im Weinbau erforschen und bald ein Handlungsmerkblatt veröffentlichen wollen. Die Kooperation mit Schafhirten ist zielführend. Im Minimum sollte jeder Weinberg zwischen Herbst und Frühjahr kurz und intensiv beweidet werden. Das ist wirksamer und deutlich einfacher als Kompost herzustellen und auszubringen.
Auch bei der Kelterung gelten strikte Regeln: u.a. dürfen keine Reinzuchthefen eingesetzt werden. Was ist der Grund hierfür?
Reinzuchthefen sind nur in der höchsten Delinat-Stufe (3 Schnecken) untersagt. Somit können Winzer selbst entscheiden, welchen Weg sie gehen wollen. In guten Jahren mag eine Spontangärung der bessere Weg zu einem Spitzenwein sein, bei schwierigem Erntegut kann es sicherer sein, Reinzuchthefen zu verwenden. Bei Reinzuchthefen ist wichtig, dass keine petrochemischen Produkte zur Vermehrung eingesetzt wurden (die Delinat-Richtlinien sind zu finden auf www.delinat.com/richtlinien).
Wie häufig kontrollieren Sie die Produzenten und inwiefern steht Delinat beim Umstellungsprozess zur Seite?
Delinat-Winzer werden regelmässig von unseren Einkäufern und mir als Winzerberater besucht. Es finden auch jährliche Winzerseminare in den Ländern statt. Wegen Corona mussten wir vorübergehend auf Onlinekurse umstellen, was uns aber die Möglichkeit gab, mehr Themen zu behandeln. Aktuelle Kurse sind: Wasserretention, Permakultur, Agroforst, Bodenfruchtbarkeit, Schafe im Weinberg und erneuerbare Energie. Um bei Delinat einsteigen zu können, müssen die Betriebe schon bio-zertifiziert sein. Wir beraten unsere Winzer nur für die weitreichenden Zusatzanforderungen unserer Richtlinien.
In Ihrem Blog haben Sie kürzlich das «perfekte Weingut» skizziert. Worin unterscheidet es sich im Wesentlichen von «herkömmlich-mangelhaften» Betrieben?
Wir verlangen ein Weinberg-Ökosystem mit hoher Biodiversität, lebendigen Böden, Bäumen, Sträuchern und einer Mischkultur. Schafe weiden kurz und intensiv. Das ideale Weingut setzt auf resistente Rebsorten, arbeitet zu 100 % mit erneuerbarer Energie und weist eine positive Ökobilanz auf. Natürlich gelten ausserdem alle Anforderungen analog zu Biobetrieben.
Ein wichtiges Ziel ist: Keinen Abfall produzieren. Das klingt schön, aber wie machbar ist das? Selbst die Flaschenlieferung ins Weingut bringt Abfall mit sich (Plastik, Holzreste), ganz zu schweigen vom allgemeinen Verpackungsabfall, von Restanzen, Behältnissen, vom Flaschenabfall, der sich bei den Kunden bildet und bestenfalls entsorgt wird etc. Wie also sieht Ihr Lösungsvorschlag konkret aus?
Erste Priorität hat die Wiederverwendung und dann das Recycling. Ziel ist, die Kreislaufwirtschaft auf allen Ebenen zu erreichen. Karton wird reduziert, wiederverwendet oder recycelt, Kunststoffe, Metall usw. werden recycelt. Plastik im Weinberg wollen wir verbieten. Wir sind dabei, ein System für die Wiederverwendung von Glasflaschen zu entwickeln. Die Versandkartons werden bereits gesammelt und mehrfach verwendet. Die Grosstransporte finden mit Stapelpaletten statt, also ohne Weinkartons. Das erspart etwa 85 % des Kartonage-Mülls.
Dennoch: Auch ein Bio-Winzer braucht einen dieselbetriebenen Traktor. Und gerade in feuchten Klimazonen oder Jahren braucht es teilweise mehr Pflanzenschutzfahrten als bei konventionellen Betrieben. Wie soll da Ihr Ziel der Emissionsfreiheit erreicht werden?
Erstens mit robusten Sorten für feuchte Zonen und zweitens mit einer Elektrifizierung von Traktoren. Auch im Maschinenbau ist noch einiges drin. Wahrscheinlich wird es schon in einem Jahrzehnt autonome, leichte Robotergeräte geben, die vorbeugend und viel gezielter gegen Krankheiten vorgehen können. Da ist viel Innovation absehbar und man wird schon bald über unsere heutigen Methoden mit brachialen Traktoren lächeln. Unsere Winzer verpflichten wir zur Produktion der eigenen Energie im Verhältnis zum Gesamtverbrauch.
Pestizidfreie Produktion. (© weinweltfoto.ch)
Elektrifizierung in Ehren: Auch Batterien sind ökologisch nicht unbedenklich.
Das stimmt, aber wir sind überzeugt, dass es schon bald innovative neue Lösungen geben wird, zum Beispiel Batterien auf Carbonbasis statt Lithium.
Wie hoch ist bei Delinat der Anteil von Piwi-Sorten?
Leider noch viel zu gering. Je nach Jahr erreicht er etwa 4 bis 5 %. Doch die neuesten Züchtungen von Valentin Blatter stimmen uns optimistisch, dass es bald auch für Italien (Veneto, Piemont), Frankreich (Bordeaux) und auch manche spanische Region sehr gute Lösungen geben wird.
Als Weinhändler möchte man den eingekauften Wein auch verkaufen. Sehen Sie bei den Piwi-Sorten schon ein genügendes Marktpotenzial?
Ja, überhaupt kein Problem. Man muss den Kunden die Hintergründe und spannende Geschichten erzählen und nicht mit unaussprechlichen Namen wie «VB 6-04» verunsichern. In den vielen Blinddegustationen, die wir mit Kunden durchgeführt hatten, kamen die Resistenten immer sehr gut an. Allerdings sind wir im Einkauf kritisch – es gibt viele Piwi-Weine auf dem Markt, die unsere Qualitätsanforderungen nicht erfüllen.
Der von ökologischer Seite gefeierte Aufschwung von Bio und Piwi geht stets damit einher, dass die altehrwürdigen, europäischen Sorten geopfert werden (müssen). Verfechter dieses Gedankens ist z.B. der Thurgauer Bio-Winzer Roland Lenz. Ist das wirklich zwingend oder sehen Sie allenfalls einen Kompromiss, zumal auch Delinat vornehmlich europäische Sorten anbietet?
Ja, wir sehen einen Kompromiss. Einerseits gehen die Züchtungen immer weiter und es gelingt zunehmend, die wichtigen Resistenzgene in die europäischen Sorten zu importieren. Die zuvor beschriebenen neuen Sorten enthalten zum Teil über 90 % europäische Genetik und haben somit auch sehr ähnliche Eigenschaften. Piwi-Weine werden sich den Europäern immer mehr annähern, sodass sie kaum mehr zu unterscheiden sind. Andererseits ist es für Winzer einfach, neben einem Hauptanteil Piwi kleine Flächen Europäer zu bewirtschaften. Es reduziert ganz einfach den Stress und die Hektik, die bei Mehltaudruck alles andere lahmlegt. Ausserdem wird es interessant sein zu beobachten, wie sich kleine Flächen von Europäerreben inmitten von Piwis verhalten. Möglicherweise nimmt der Mehltaudruck dann generell ab.
Selbst Piwi-Züchter wie Valentin Blattner mahnen aber, dass auch Piwi-Sorten mindestens zweimal pro Jahr pflanzenschutzmässig behandelt werden müssen, da sonst Resistenzdurchbrüche drohen. Wie soll man das den Kunden erklären?
Backpulver und Tonerde genügen in der Regel für diese Präventivbehandlungen, da braucht es weder Kupfer noch Schwefel.