Rebsorten im Klimawandel
Um die Folgen des Klimawandels auf Rebsorten zu diskutieren, sollte man zunächst die phänologischen Veränderungen der heimischen Rebsorten über einen ausreichend langen Zeitraum betrachten. Dieser Meinung ist Volker Jörger, der ehemalige Abteilungsleiter des Staatlichen Weinbauinstituts Freiburg, und er kommt dabei zu wegweisenden Erkenntnissen.
Nicht zuletzt aufgrund der letzten Jahre rückt immer mehr die Frage in den Fokus, welche Traubensorten dank ihrer Phänologie in Zeiten des Klimawandels bestehen können und wo man Alternativen suchen sollte. Die Veränderungen der Entwicklungsstadien, des Austriebs, der Blüte, des Färbens und Weichwerdens sind deutlich. Die Durchschnittswerte von 1954 bis 1989 (Mittel vor 1990) und die Durchschnittswerte von 1990 bis 2014 (Mittel ab 1990) zeigen, dass sich die Verfrühung des Eintritts der verschiedenen Entwicklungsstadien zum Teil dramatisch beschleunigt und, betrachtet man die mathematisch berechnete Standardabweichung (StdAbw), auch signifikant ist. Um dies darzustellen folgender Vergleich: Während der Mittelwert des Reifebeginns für den Blauen Spätburgunder/Pinot noir (Abb. 1) vor 1990 beim 235. Kalendertag (= 23. August) lag, rückte er im Mittel ab 1990 um 14 Tage nach vorne auf den 219. Kalendertag (= 7. August).
Vergleichsweise beträgt diese Verfrühung beim Riesling sogar 17 Tage, nämlich vom 243. Kalendertag (= 31. August) auf den 226. Kalendertag (= 14. August). Noch deutlicher wird die Verfrühung bei den Lesedaten (Tab. 2).
Tab. 2: Lesebeginn im Vergleich.
Die Sorte Riesling wurde in den Jahren 1990-2014 im südlichen Oberrheintal im Schnitt bereits 37 Tage früher geernetet als in den Jahren zwischen 1954 und 1989. Auch die anderen Traubensorten belegen eindrücklich, dass der Prozess der Verfrühung immer rascher voranschreitet. Es gilt: Je später eine Rebsorte reift, desto grösser ist der Effekt der Verfrühung. Es handelt sich um die Reaktionen von Rebsorten als biologische Organismen und nicht lediglich um die Veränderung von physikalischen Messwerten wie der Temperatur.
Zukunftsträchtige Sorten
Anhand der zur Verfügung stehenden Daten ist gut ersichtlich, in welchen Regionen der Welt Weinbau von Natur aus möglich und sinnvoll ist. Die Bereiche liegen zwischen dem 40. und 50. Grad nördliche Breite und dem 30. bis 40. Grad südlicher Breite. Die oben aufgezeigten Entwicklungen erlauben nun Schlüsse, mit welchen Rebsorten in der Zukunft erfolgreich Weinbau in unseren Anbaugebieten betrieben werden kann. In Tabelle 1 wird dazu ein Überblick über in den Fokus rückende Rebsorten aus den südlicher gelegenen Anbaugebieten Europas gegeben, unterteilt in Anbauumfang und Veränderung in den letzten Jahrzehnten, Reifeunterschied zu Blauem Spätburgunder, Weinstilistik und klimatischer Relevanz für unsere Anbaugebiete.
Dabei wurden auch verschiedene Bewertungen zu Krankheitsverhalten, weinbauliche und önologische Eigenschaften und Anspruch an die Flächenqualität berücksichtigt, die jedoch in der Tabelle nicht dargestellt sind. Es wird deutlich, dass bei den infrage kommenden Rebsorten jene mit fruchtigem Rotweinstil einen Vorteil hinsichtlich der Akzeptanz ihrer Weine bei unseren traditionellen Spätburgunder-Weinkunden geniessen. Gleichzeitig haben die Rotweinsorten mit der Stilistik fruchtiger Weine auf Standorten mit guter bis sehr guter Energieeinnahme und mit guter bis ausreichender Wasserversorgung einen nur rund vier- bis zehntägigen Rückstand beim Reifezeitpunkt. Dies lässt zuallererst die Verwendungsmöglichkeiten von z. B. Syrah, Petit Verdot, Tempranillo, Tinta caiada und bedingt Sangiovese in den Fokus rücken. Pinotage, Teroldego und Lagrein haben bei vielversprechenden Anbaubedingungen offensichtlich nur geringere Bedeutung für eine Verwendung unter den Klimafolgen, da sie, wie auch der Blaue Spätburgunder/Pinot noir selbst, in die gleiche Klimakrise geraten werden. Überdies stellen sie am Markt keine Weinalternative zum Blauen Spätburgunder dar. Bei Sangiovese und ganz besonders bei Barbera scheinen die Möglichkeiten für einen Wechsel äusserst begrenzt, was z. B. durch Beerenhautstabilität, Botrytisanfälligkeit und Reifeeigenschaften bedingt ist.
Bei den Rotweinsorten mit romanischem Weinstil kommen vor allem Cabernet Sauvignon, Merlot, Nebbiolo, aber auch die bisher weniger bekannten bzw. wenig genutzten Sorten Marselan, Touriga nacional, Malbec und Tinto cao in Betracht. Diese haben zwar alle einen deutlich späteren Reifezeitpunkt als unsere heimische Vergleichssorte Blauer Spätburgunder/Pinot noir, können aber mithilfe von weinbaulichen Massnahmen auf Standorten mit guter bis sehr guter Qualität zur Reife gebracht werden. Grössere Bedeutung bei einer Sortenanpassung haben dabei natürlich solche Rebsorten, die nicht schon mit sortenreinem Anbau eine grosse Marktnische sicher und erfolgreich besetzt haben.
Bei den Weissweinsorten rücken neben den aufgrund der Verfrühung der Lesetermine bereits erfolgreich genutzten Rebsorten Sauvignon blanc und vor allem Chardonnay und insbesondere die Rebsorten Souviginier gris (Piwi), Grillo, Arinto und Alvarinho und Verdejo in den Fokus. Diese erbringen auch bei hohen Temperaturen in der Lese bei voller Reife erfreulich hohe Säurewerte und fein ziselierte Fruchtaromen in den Weinen (nicht alle Weissweinsorten sind in Tabelle 1 dargestellt).
Die Rolle der Piwis
Im Gegensatz zu den bisher angesprochenen Standardsorten weisen die in der Tabelle 1 auswahlsweise dargestellten sogenannten Piwi-Rebsorten natürlich den grossen Vorteil auf, dass sie im Hinblick auf ihre geringe Krankheitsanfälligkeit weinbaulich weit unproblematischer und damit wesentlich nachhaltiger kultiviert werden können. Dadurch lassen sie sich aufgrund der für sie noch nicht besetzten Marktnischen für entsprechende Anbaubetriebe leichter am Weinmarkt platzieren als z. B. ein Nebbiolo am Barolo-Markt oder ein Cabernet Sauvignon im Gedränge des Bordeaux-Weinmarktes. Die klimatische Relevanz der Piwi-Rebsorten ist daher sehr hoch einzuschätzen, wenn auch auffallen muss, dass diese hauptsächlich durch die Pilzwiderstandsfähigkeit in einem zunehmend von Witterungsextremen und exzessiven Infektionsereignissen durch Peronospora und/oder Oidium gegeben ist. Hinsichtlich der Reifefenster der Piwi-Sorten muss daher für die Zukunft des Weinbaus nach später reifenden Piwi-Rebsorten gesucht werden. Gleichzeitig haben die neueren Piwi-Kreuzungen, in denen seit etwa zwanzig Jahren zusätzlich zu den früheren Resistenzkreuzungen von amerikanischen und asiatischen Genotypen auch Resistenzeigenschaften der Rebenart Vitis muscadinia eingekreuzt werden, (vgl. z. B. Carillon oder FR 631-2005), eine für die Zukunft weitaus grössere klimatische Relevanz. Ein weiterer grosser Vorteil der Piwis liegt in ihrer noch sehr kurzen Nutzungsdauer. Daher ist ihre Abhängigkeit vom jahreszyklischen Wechsel der Tageslänge nicht so stark ausgeprägt. Im Gegensatz dazu ist diese Reaktion für einige Standardrebsorten bei der Veränderung des Breitengrads ihrer Anbaustandorte festzustellen.
Abhängigkeit zur Tageslänge
In Abbildung 2 wird dieser Sachverhalt, der in extremer Form in den Jahren 2000 bis 2014 bei der Rebsorte Barbera, aber auch bei Nebbiolo, Sangiovese und Cabernet Sauvignon festgestellt werden konnte, schematisch dargestellt.
Unterschreiten die hohen sommerlichen Tageslängen z. B. ab der zweiten Septemberdekade die etwa 12.8 Stunden (vgl. grüne und rote Tageslängen-/Temperaturlinien), dann ist für eine in unseren Breitengraden über Jahrhunderte angebaute Rebsorte wie der Blaue Spätburgunder (grüner Linienverlauf) die ultimative Reifeinduktion erreicht, da nur noch wenige Wochen bei rasch abnehmender Temperatur für die restliche Reifezeit verbleiben. Die Säure, insbesondere die Apfelsäure, wird in dieser Periode deutlich abgebaut. Für eine Rebsorte, die über Jahrhunderte in südlicheren Anbauregionen kultiviert wurde (roter Linienverlauf), verbleibt dagegen weiter südlich eine wesentlich längere Reifezeit mit höreren Temperaturen. Deutlich weiter nördlich kultiviert, hat eine solche Rebsorte nicht die Induktion zur Endreife mit dem rascheren Abbau der Apfelsäure, da sie bei der gleichen Tageslänge von ca. 12.8 Stunden auf höhere Temperaturen, vor allem Nachttemperaturen in der Endreifezeit konditioniert ist. Die dazugehörenden Säuremesswerte für die untersuchten Rebsorten sind in Abbildung 3 mit Gesamtsäuremessungen und Abbildung 4 mit getrennt erfasster Messung von Apfelsäure und Weinsäure während des Zeitverlaufs im Jahr 2008 dargestellt.
Diese Messergebnisse lassen deutlich werden, dass sich der Weinbau an die klimabedingten Veränderungen anpassen muss und anpassen kann. Allerdings sorgt die Verlagerung der Anbaugebiete von Rebsorten über grössere Breitengrade von Süd nach Nord durch den breitengradabhängigen jahreszyklischen Wechsel der Tageslängen auch für Folgen in verschiedenen Parametern der Reifephysiologie. So muss z. B. der Abbau der Mostsäuren genauer erforscht und durchschaut werden.
Sortenforum
Dieser Vortrag sowie jener von Jochen Hamatschek über die «Auswirkungen des Klimawandels auf den Weinbau» wurde im Rahmen des Sortenforums an der Rebschule Andreas Meier Ende November 2024 in Würenlingen gehalten.