Stickstoffdüngung im Weinbau: Bedarf und Notwendigkeit
Ergänzend zum «Terroir»-Thema anlässlich der Wädenswiler Weintage (SZOW 02/22) bietet Oswald Walg einen Überblick über die Stickstoffproblematik aus Sicht des Weinbaus. Er thematisiert insbesondere die Zusammenhänge zwischen einer Bodenbearbeitung und dem Stickstoffbedarf der Reben.
Stickstoff gilt als Motor des Wachstums und ist mit der wichtigste Nährstoff in der Pflanzenernährung. Er wird vor allem für das Wachstum im Bildungsgewebe (Meristem) des Sprosses und in den Wurzelspitzen benötigt und ist unter anderem Baustein von Aminosäuren, Eiweiss und Chlorophyll. Damit hat er den stärksten Effekt auf das vegetative Wachstum, da er für die Zellentwicklung ausschlaggebend ist.
Die Pflanzenwurzeln nehmen Stickstoff aus dem Boden in Form von Ammonium und Nitrat auf. Allerdings wird hauptsächlich Nitrat (NO3-) aufgenommen, da es aufgrund seiner negativen Ladung im Boden beweglich ist und mit dem Bodenwasser passiv an die Pflanzenwurzeln herangetragen wird. Deshalb ist Nitrat schnell wirksam.
Im Gegensatz dazu ist Ammonium (NH4+) aufgrund seiner positiven Ladung im Boden wenig beweglich. Es bindet sich leicht an Bodenteilchen und verteilt sich durch Diffusionsvorgänge bis zu den Wurzeln bzw. die Wurzeln müssen in Richtung des Ammoniums wachsen.
Unter natürlichen Bedingungen wird der grösste Teil des Ammoniums durch nitrifizierende Bakterien relativ schnell zu Nitrat umgewandelt (Nitrifikation), weshalb der mineralische Stickstoff (Nmin) grösstenteils als Nitrat-N im Boden vorliegt. Mit einer ammoniumbetonten Düngung wird also nicht automatisch eine ammoniumbetonte Ernährung der Pflanzen erreicht. Dies gilt es für die Düngungspraxis zu berücksichtigen.
Nitratbelastung im Grundwasser – ein grosses Problem im Weinbau
Die gute Beweglichkeit von Nitrat und das fehlende Bindungsvermögen im Boden führen allerdings auch zu einer schnellen Verlagerung und Auswaschung, was gravierende ökologische Konsequenzen mit sich bringt.
In der Schweiz wie auch in Deutschland, besonders in landwirtschaftlich genutzten Zonen, weisen die Trinkwassergewinnungsanlagen relativ hohe Nitratgehalte aus. Während in Deutschland der EU-Grenzwert von 50 mg Nitrat/L im Trinkwasser gilt, ist gemäss Schweizer Gewässerschutzverordnung (GSchV) nur ein Grenzwert von 25 mg/L erlaubt. Hier wurde gemäss Bundesamt für Umwelt (BAFU) der Grenzwert in den letzten Jahren um 12 bis 15 %, in landwirtschaftlich genutzten Messstellen sogar um mehr als 40 % überschritten.
Nur durch Ausweitung der Wasserschutzzonen, der Neuerschliessung von Brunnen oder dem Verschneiden mit wenig nitratbelastetem Wasser ist es in vielen Gemeinden möglich, den EU- bzw. CH-Grenzwert einzuhalten. Vereinzelt mussten in Deutschland sogar schon Brunnen wegen ihrer zu hohen Nitratkonzentration geschlossen werden. Diese Problematik hat zu einer Verschärfung der Düngeverordnung geführt.
Stickstoffdynamik dem Bedarfsrhythmus der Reben anpassen
Die Stickstoffdynamik weinbaulich genutzter Areale unterscheidet sich wesentlich von der in ackerbaulicher Nutzung befindlichen Flächen. Eine weitgehende Entleerung des Bodenprofils von Nitratstickstoff nach der Vegetation, wie es in landwirtschaftlichen Kulturen meist der Fall ist, tritt im Weinbau nicht unbedingt ein. Der geringe Stickstoffentzug, die gängigen Bodenpflegemassnahmen und mitunter auch eine nicht bedarfsgerechte Düngepraxis führen dazu, dass im Herbst und Winter noch recht hohe Nitratgehalte im Boden vorhanden sein können. Diese sind bis zum Frühjahr extrem auswaschungsgefährdet. Es gilt deshalb, den Anbau von Reben so zu gestalten, dass die Nitratauswaschung auf ein Minimum reduziert wird. Dies kann nur gelingen, wenn die Böden zu Vegetationsende weitgehend frei von Nitrat sind und auch über Winter frei bleiben bzw. noch vorhandener Nitrat-Stickstoff durch Begrünungen gebunden wird. Um dieses Ziel zu erreichen, sind Kenntnisse über den N-Entzug, den N-Bedarfsrhythmus der Reben, der N-Mobilisierung aus dem Boden und den Einfluss des Bodenpflegesystems unerlässlich. Nur dann können unproduktive Stickstoffverluste vermieden oder aber zumindest auf einem niedrigen Niveau gehalten werden.
Stickstoffbedarf und -aufnahme
Die N-Aufnahme der Reben aus dem Boden beginnt erst nach dem Austrieb, wenn fünf bis sechs Blätter entfaltet sind. Bis zu diesem Zeitpunkt erfolgt das Wachstum im Wesentlichen durch die Nutzung von Stickstoffreserven im Holzkörper. Erst kurz vor der Blüte wird in grösserem Umfang Stickstoff über die Wurzeln aufgenommen. Nach der Blüte in der Phase des Hauptbeerenwachstums (Schrotkorn- bis Erbsengrösse) wird die grösste Stickstoffmenge eingelagert. Mit Ende der Zellteilungsphase in den Beeren geht die N-Aufnahme vorübergehend zurück. Der Rückgang wird zusätzlich durch den Laubschnitt, mit dem der Verbraucher «Triebspitze» entfernt wird, verstärkt. Ein nochmaliger kurzfristiger Anstieg der N-Aufnahme erfolgt mit der zunehmenden Geiztriebentwicklung und der Volumenvergrösserung der Beeren nach dem Weichwerden. Danach geht die N-Aufnahme wieder zurück und ist bei Erreichen eines Mostgewichts von ca. 50 °Oe weitgehend abgeschlossen. In der Reifephase bis zum Laubfall erfolgt die N-Einlagerung in den Holzkörper.
Der jährliche N-Bedarf der Reben liegt bei rund 60 bis 80 kg/ha. Davon werden in Blätter und Gipfellaub etwa 25 bis 30 kg, in das Holz und die Wurzeln etwa 15 bis 20 kg eingelagert. Durch die Traubenernte werden der Rebanlage 25 bis 30 kg N entzogen, wovon der überwiegende Teil (ca. 75 bis 80 %) auf die Trester (Kämme, Kerne und Häute) entfällt. Der Saft enthält nur wenig Stickstoff.
Stickstoffvorräte im Boden
Eine umweltbewusste und bedarfsgerechte Stickstoffversorgung muss das N-Angebot des Bodens mitberücksichtigen. Dies setzt sich zusammen aus dem mineralischen Stickstoff (Nitrat und Ammonium = Nmin) und dem organisch gebundenen Stickstoff (Norg). Der organisch gebundene Stickstoff umfasst etwa 95 bis 99 % des im Boden befindlichen Stickstoffs, der mineralische Anteil liegt demnach nur bei 1 bis 5 %. Damit kommt dem organisch gebundenen Stickstoff eine besonders grosse Bedeutung zu. Allerdings wird dieser Stickstoff erst über den Vorgang der Mineralisation, d.h. die Umsetzung durch die Bodenmikroorganismen, pflanzenverfügbar, wobei die N-Verbindungen (z.B. Eiweisse und Aminosäuren) aus der organischen Substanz zunächst in Ammonium (NH4+) und anschliessend in Nitrat (NO3-) umgewandelt werden. Die Mineralisationsrate ist von vielen Faktoren abhängig wie dem pH-Wert, der Bodenfeuchte, der Bodentemperatur, der Bodendurchlüftung und der Art und Intensität der Bodenpflege (Abb. 1).
Abb. 1: Stickstoffaufnahme der Rebe im Jahresverlauf. (© O. Löhnertz)
Bodenpflege und Stickstofffreisetzung
Bei der Stickstofffreisetzung im Boden kommt der Bodenpflege eine sehr grosse Bedeutung zu. Sie kann in Abhängigkeit vom Bodenpflegesystem, dem Pflegetermin und der Pflegeintensität sowohl die Bevorratung im Boden verringern als auch zu hohem Überschuss führen. Deshalb ist die Bodenpflege so zu gestalten, dass sie dem N–Bedarfsrhythmus der Rebe weitgehend entspricht (Abb. 2). Das heisst, es ist für eine ausreichende N-Freisetzung während der Zeit des Hauptbedarfs (Mai bis Juli) zu sorgen und zu Beginn von Auswaschungsperioden (Herbst und Winter) muss die Nitratmenge möglichst gering sein.
Abb. 2: Stickstoffeinlagerung der Rebe. (© O. Löhnertz)
Regelmässige und intensive Bodenbearbeitungen führen zu einer besseren Belüftung und Erwärmung der Böden, was eine höhere biologische Aktivität und damit höhere N-Freisetzungen durch Mineralisation zur Folge hat. Deshalb ist es wichtig, die Terminierung der Bodenbearbeitung an den N-Entzug anzupassen. Mit einer ersten Bearbeitung zum oder kurz nach dem Austrieb kann die Stickstofffreisetzung angekurbelt werden und wesentlich zur N-Versorgung bis in den Nachblütebereich beitragen. Eine zweite Bearbeitung nach der Blüte bringt einen weiteren N-Schub, der den zusätzlichen Bedarf in der Vegetation abdecken kann. Ein hohes N-Angebot in der Reifephase ist unbedingt zu vermeiden. Es kann grösstenteils nicht mehr aufgenommen werden und ist somit stark auswaschungsgefährdet. Zudem wird die Fäulnisgefahr an den Trauben dadurch stark erhöht. Deshalb ist eine Bearbeitung nach Traubenschluss sehr riskant und nicht zu empfehlen. Ab etwa Mitte Juli sollte man deshalb die Spontanbegrünung wachsen lassen oder alternativ eine Herbst- oder Winterbegrünung einsäen, wobei die Saatbettbereitung nur flach zu erfolgen hat, um die Mineralisation nicht unnötig anzuregen. In sehr wüchsigen Anlagen sollte man zurückhaltend mit der Bodenbearbeitung sein und der Spontanbegrünung mehr Raum lassen, um das Fäulnisrisiko nicht unnötig zu erhöhen. Unbedingt zu unterlassen sind Herbst- oder Winterbodenbearbeitungen (Abb. 3). Sie fördern nicht nur die Erosion, sondern bedingt durch die milderen und feuchteren Winter im Zug der Klimaerwärmung werden auch die Mineralisation und damit die N-Freisetzungen verstärkt. Da in diesem Zeitraum auf offenen Flächen keine N-Aufnahme durch Pflanzen erfolgen kann, sind höhere Auswaschungsverluste in Form von Nitrat vorprogrammiert. Diese belasten dann unser Grundwasser. Zudem erfolgt ein unproduktiver Humusabbau, was auch einen Verlust an Bodenfruchtbarkeit zur Folge hat.
Abb. 3: Herbstbearbeitung Grubber. (© Oswald Walg)
Eine wichtige und unverzichtbare Massnahme zur Minimierung von Nitratverlusten sind deshalb begrünte Rebanlagen über Winter (Abb. 4 und Einstiegsbild). Neben natürlichen Begrünungen (Spontanbegrünungen) können eingesäte Herbst- oder Winterbegrünungen die Auswaschung von Nitrat erheblich reduzieren. Sie nehmen im Zeitraum Herbst bis Frühjahr sehr viel Stickstoff auf und senken damit den Austrag von Nitrat. Nach dem Mulchen und Einarbeiten der Begrünungspflanzen im Frühjahr wird der organisch gebundene Stickstoff über den Vorgang der Mineralisierung wieder freigesetzt.
Abb. 4: Naturbegrünung im Winter. (© Oswald Walg)
N-Düngung oft mehr Gewissensberuhigung als Notwendigkeit
Nicht wenige Winzerinnen und Winzer düngen seit vielen Jahren keinen Stickstoff mehr in ihren Anlagen, ohne Ertrags- oder Qualitätsverluste zu haben. In vielen Weinbergen ist dies problemlos möglich, denn der N-Entzug durch die Trauben ist recht gering. Werden die Trester zurückgeführt, so liegt er nur bei rund 6 bis 8 kg/ha (Most plus Trub). Werden die N-Verluste, die vorwiegend über Verlagerung und Auswaschung entstehen, minimiert, so ist nur eine moderate Stickstoffnachlieferung erforderlich, die häufig problemlos über die Mineralisation bewerkstelligt werden kann.
Jährlich wird etwa 1 bis 3 % des organisch gebundenen Stickstoffs durch die Tätigkeit der Bodenmikroorganismen mineralisiert. Dies ergibt eine Nachlieferung von ca. 40 bis 200 kg N/ha/Jahr. Damit wird die Versorgung der Reben mit Stickstoff sehr stark von dem Mineralisationsgeschehen im Boden bestimmt. Deshalb ist es wichtig, immer die natürliche Nachlieferung aus der Mineralisation des Bodenhumus zu berücksichtigen. Diese deckt auf vielen Standorten den N-Bedarf der Reben ab, was eine zusätzliche N-Düngung überflüssig macht. Nicht selten wird sogar deutlich mehr N aus dem Humus freigesetzt, als die Reben benötigen. Die Mineralisationsrate und damit das Nachlieferungspotenzial sind von mehreren Faktoren abhängig. Neben dem Humusgehalt spielen das C/N-Verhältnis, die Bodenpflege und die Witterung eine wichtige Rolle (SZOW 02/22: Einblicke in die komplexe Dynamik der Stickstoffumsätze im Boden). Bei einem C/N-Verhältnis von 10:1 und 2 % Humus kann der N-Bedarf der Reben (60 bis 80 kg/ha/Jahr) gedeckt werden, sofern die Mineralisation nicht durch extreme Bedingungen, wie beispielsweise extensiv gepflegte Begrünungen oder langanhaltende Trockenheit, stark beeinträchtigt wird. Bei noch höheren Humusgehalten und Mineralisationsraten über 1.5 % wird sogar deutlich mehr N freigesetzt, als die Reben benötigen. Dieser Stickstoff ist besonders auswaschungsgefährdet, sofern kein Bewuchs da ist, der ihn aufnehmen kann. Deshalb kommt dem Bodenpflegesystem bei der Stickstofffreisetzung und -bindung eine entscheidende Rolle zu.
Sachgerechte Bodenpflege
Unerlässlich sind begrünte Weinberge über Winter, die überschüssigen Stickstoff aufnehmen und vor Auswaschung schützen. Bei den Herbst- und Winterbegrünungen sollte nach dem Abmulchen bzw. Absterben der Pflanzen zwischen Anfang Mai und Mitte Juni eine flache Einarbeitung erfolgen. Günstig ist es, die abgestorbene strohige Mulchdecke für eine gewisse Zeit noch zum Zweck des Erosions- und Verdunstungsschutzes und der besseren Aufnahme von Niederschlägen als Abdeckung zu belassen (Abb. 5). In erosionsgefährdeten Anlagen sollte nach der flachen Einarbeitung noch ein gewisser Anteil «strohiger» Pflanzenreste an der Oberfläche verbleiben, um Erosion zu mindern. Ideal dafür ist die Kreiselegge. Nach der Einarbeitung in den Boden beginnt die Mineralisation und der organisch gebundene Stickstoff wird als mineralischer Stickstoff freigesetzt und ist somit pflanzenverfügbar. Diese Freisetzung entspricht idealerweise dem N-Bedarfsrhythmus der Reben (Abb. 6) und deckt in aller Regel den N-Bedarf der Reben vollkommen ab, sodass keine zusätzliche N-Düngung mehr erforderlich ist.
Abb. 5: Winterbegrünung Roggen nach Mulchen. (© Oswald Walg)
Abb. 6: Stickstoffbereitstellung Begrünung. (© O. Löhnertz)
Visuelle Kontrollen sind hilfreich
Wenn man sich unsicher ist, ob die N-Versorgung der Reben ausreichend ist, sind visuelle Kontrollen hilfreich. Haben die Anlagen einen «normalen» Wuchs, sind Blattgrösse und -farbe typisch für die Rebsorte und ist genügend Gipfellaub vorhanden bzw. muss mindestens zweimal Laub geschnitten werden, so deutet dies auf eine ausreichende Stickstoffversorgung hin. Dickes, mastiges Holz sowie grosse, dunkelgrüne Blätter und ein mehr als dreimaliger Laubschnitt sind dagegen deutliche Zeichen für eine Überversorgung mit Stickstoff. In diesem Fall sollte die bisherige Praxis der N-Düngung bzw. Bodenpflege überdacht werden.
Fazit
Das Problem von hohen Nitratkonzentrationen im Trinkwasser resultiert zum Grossteil aus unzureichenden Fachkenntnissen. Eine bedarfsgerechte N-Versorgung muss sich in erster Linie am Aufnahmerhythmus der Reben orientieren. In vielen Fällen genügt eine richtige Steuerung der Bodenpflege (Bearbeitungszeitpunkt, Winterbegrünungsumbruch), um den N-Bedarf der Reben zu decken. Dort, wo eine mineralische N-Düngung erforderlich erscheint, kann das Auswaschungsrisiko durch die Düngerform, die Höhe und den Zeitpunkt der Düngung sowie die Technik der Ausbringung und Ablage minimiert werden. Massnahmen, die zu hohen Nitratgehalten im Herbst führen, wie späte Bodenbearbeitungen, müssen unbedingt unterbleiben. Es ist eine bedarfsgerechte N-Versorgung über die gesamte Vegetation anzustreben. Im zweiten Teil des Beitrags (SZOW 05/22, erscheint am 8. April) werden deshalb Möglichkeiten einer effizienteren und umweltfreundlicheren N-Düngung vorgestellt.
Titelbild
Winterbegrünung Raps. (© Oswald Walg)