Stress – sofort auf die Bremse treten

Rund ums Jahr gibt es im Obst- und Weinbau Situationen, die als stressig erlebt werden. Stress ist generell nichts Schlechtes, er weckt Leistungsreserven, man läuft zur Höchstleistung auf. Wenn Stress als unangenehm erlebt wird und die Hektik belastet, entstehen selbst bei einfachen Arbeiten Fehler. Das sind Alarmzeichen, die eine vorgesetzte Person nicht ignorieren sollte.


Autor_Leicher Rolf
Rolf Leicher
Dipl. Betriebsökonom, Heidelberg (D)
Diesen Artikel finden Sie in der Ausgabe 04/2022 , S. 28

Effektive Stressbewältigung erfordert zunächst eine Inventur. Einzelne Stressauslöser werden differenziert und bewertet. Damit entsteht Klarheit über Ursachen, die man einzeln angehen kann. Wer weiss, wo der Schuh drückt, kann gezielt dagegen angehen. 

Eine niedrige Zahl in der Spalte «Stressintensität» (Tab. 1) bedeutet, dass der Stressor leichter zu beeinflussen ist, der Stress-Level sich insgesamt aber nur geringfügig verbessert. Man hat die Wahl, welches Thema man durch gezielte Massnahmen verändern will. Änderungen bei einem Thema mit einer hohen Punktzahl schaffen eine spürbare Verbesserung, ist aber mit hoher Anstrengung verbunden. Es kommt darauf an, extreme Ansprüche anderer abzulehnen, einmal «Nein» zu sagen. Wer immer nur «Ja» sagt, ändert nichts am Stressor. 

 

 

Tab. 1: Unterschiedliche Stressoren und ihre Bewertung.

 

 

Die Stresstypen: Tempoholiker und Perfektionist

Um die Arbeitsmenge termingerecht zu schaffen, wird das Arbeitstempo erhöht und damit auch das Risiko der Fehler. Jüngere finden das okay und sie entwickeln sich dabei zum «Tempoholiker». Bei einem Arbeitsfehler kommt dann die Erkenntnis, sich mehr Zeit zu lassen, oft zu spät. Bei einfachen Arbeiten lässt sich die Tempoerhöhung vorrübergehend rechtfertigen. Hohes Tempo sollte die Ausnahme bleiben. Ein normales Arbeitstempo darf nicht automatisch mit Unfähigkeit, Trägheit oder Inkompetenz gleichgesetzt werden. «Das Gras wächst nicht schneller, wenn du daran ziehst», sagt ein afrikanisches Sprichwort. Man wird nicht nur von aussen unter Druck gesetzt, Druck entsteht auch eigenbestimmt durch hohe Zielsetzung. Wer immer mehr, immer besser, immer schneller werden will, fördert den Stress. 

Zu den Stresstypen gehört auch der «Perfektionist». Er ist nicht mit 100 Prozent zufrieden, er will 120 Prozent. Typische Meinung des Perfektionisten: «Wenn ich nicht immer mein Bestes gebe, bin ich mit meinem Betrieb nicht wettbewerbsfähig.» Es beginnt eine Spirale des «Immer-besser-Werdens», beruflich wie privat. Wer dauerhaft powert, ist schnell ausgepowert. Endstation ist der Burnout. 

Arbeitsunterbrechungen sind stressig

Zu unterscheiden sind externe, also von anderen ausgelöste Arbeitsunterbrechungen und die internen, wobei man sich selbst unterbricht, weil gerade ein anderer Gedanke aufkommt. Wenn man mitten in der Arbeit plötzlich einen anderen Gedanken hat, wenn einem etwas anderes einfällt und durch den Kopf geht, handelt es sich um eine interne Unterbrechung. Darunter leidet die Konzentration, man arbeitet zwar weiter, ist aber mit dem Kopf woanders, ein Ausflug in die Region «Multitasking». Sich während einer Tätigkeit gedanklich mit einer anderen zu beschäftigen ist eine «Eigen-Unterbrechung», man ist abgelenkt und erlebt Stress. Man trainiert sich eine Aufmerksamkeitsstörung an und kann sich auf Dauer nicht mehr voll auf das konzentrieren, was man gerade tut. Unterbrechungen und Multitasking werden auch als Energieräuber bezeichnet.

Resilienz – die innere Widerstandskraft verbessern

Der Begriff Resilienz stammt aus dem Lateinischen «resilire» und bedeutet «abprallen». Damit werden die inneren Kräfte bezeichnet, die helfen, nach den starken Arbeitsbelastungen an einem langen Tag wieder den normalen Modus zu finden. Es geht dabei nicht um die Reduzierung von Stress selbst, sondern wie man nach der Belastung schnell wieder das Gleichgewicht findet. 

Mit Resilienz ist es wie im Sport. Wer Muskeln und Kreislauf nicht regelmässig trainiert, gerät schon bei kleineren Anstrengungen aus der Puste. Die eigene Widerstandkraft bei Stress zu stärken, erfordert zwei Grundhaltungen: die Akzeptanz der Situation und einen den Belastungen trotzenden Optimismus. Man soll sich nicht gegen Umstände auflehnen, die nicht änderbar sind, z.B. dass Patienten umständlich sind, sich nicht am Telefon für einen Termin entscheiden können, zu viel fragen. Carsten Maschmeyer: «Stress ist kein Schicksalsschlag, sondern die innere Aufforderung, richtig damit umzugehen. Wer Belastungen meistert, empfindet am Tagesende Stolz, Genugtuung, vielleicht sogar ein angenehmes Gefühl.» (C. Maschmeyer «Selfmade, die Erfolgsformel», Verlag Ariston 2018). Wenn Arbeit als sinnstiftend erlebt wird, wenn es untereinander auch Anerkennung nach Stress gibt, herrscht eine resiliente Atmosphäre. Wo «Work in» ist, muss auch mal «Work out» sein. Wer immer nur powert, ist bald ausgepowert. Pausen sind für Dr. med. Eckart von Hirschhausen «konzentrierte geistige Abwesenheit von der Arbeit auf dem Feld oder im Weinberg, aktive Passivität, mal nichts zu tun.» (Quelle: «Glück kommt selten allein», Rowolth Taschenbuch, 2019)

Mit der Höhe und Dauer der Arbeitsbelastung nehmen Stress und Erschöpfung zu. Typische Warnsignale, die gerne verdrängt werden: Gereiztheit, Ungeduld, Nervosität, nachlassende Konzentration. Pausen erhöhen die Stressresistenz, die Leistungskraft bleibt erhalten. Die Pause soll einen Kontrast zur Arbeit darstellen. Nur schnell einen Kaffee trinken und einen Müsliriegel knabbern zählt nicht als offizielle Arbeitspause. Arbeitsmediziner empfehlen in der Pause aufs Handy zu verzichten und auf stumm zu schalten. Bewährt hat sich die Konzentration auf schöne Ereignisse, die «Daily Uplifts». Im Fachjargon heisst das Wahrnehmungslenkung oder «Kopf-Kino». Hauptsache die Gedanken kreisen nicht wieder um die Arbeit, um Kunden und Termine (Literaturempfehlung: Ingo Froböse, «Power durch Pause». Gräfe und Unzer Verlag, München 2017, 158 Seiten).

Negative Selbstaussagen nicht zulassen

Stress baut sich oft schon im Vorfeld auf, wenn man über eine bevorstehende Belastung nachdenkt. Meist stellt man sich dann negativ darauf ein. Besser ist, die mentale Energie dafür zu nutzen, unabänderliche Gegebenheiten mit einer positiven Haltung zu verarbeiten. Negative Sichtweisen beunruhigen und schränken die Wahrnehmung für Chancen ein. Idealerweise nutzt man seine mentale und emotionale Energie dafür, unabänderliche Gegebenheiten mit einer positiven Haltung konstruktiv zu verarbeiten. Mit positiven Gedanken schafft der Organismus eine «Schutzschicht gegen Stress». Je belastbarer, desto weniger erregungsbereit ist er und desto weniger werden Anforderungen als Stress empfunden (Tab. 2).

 

Tab. 2: Selbstaussagen verändern Stressoren.

 

Das hohe Anspruchsniveau 

Häufig kommt es zu einem unbemerkten Anstieg des Anspruchsniveaus, entweder durch steigende Erwartungen der Kunden oder durch die Maximierung der eigenen Ziele. Höchstleistungen können meist noch über einige Zeit mit Mühe aufrechterhalten werden. Wenn grosse Anforderungen länger anhalten, nimmt die Belastbarkeit rapide ab und es kommt zu einem allmählichen Leistungsabfall. 

Den Ausgleich zwischen Arbeit und Ruhe bezeichnet man als «Work-Life-Balance». Wenn es nur noch Stress bei der Arbeit gibt, sind keine Ruhe-Reserven vorhanden. Die Befürchtung, einen Auftrag zu verpassen, treibt an und lässt das Prinzip der «Work-Life-Balance» vergessen. So wird gegen das Harmonieprinzip Anspannung-Entspannung verstossen. Die innere Einstellung erzeugt Druck und damit Stress: Ich muss mehr leisten …, Ich muss meine Kosten auf jeden Fall senken …, Ich muss meinen Kunden noch mehr anbieten …, Ich muss besser sein als andere. Die Gedanken «Ich muss … und ich darf keinesfalls …» erzeugen den Stress. Wer den Anfang dieser Spirale erkennt, kann rechtzeitig Gegenmassnahmen treffen und verhindert mit mehr Achtsamkeit das Burnout. 

Zuerst muss also das eigene Anspruchsniveau gesenkt werden. Arbeitsziele und Termine sind realistisch zu definieren. Man muss sich die langfristigen Folgen und die negativen Konsequenzen bei Dauerstress überlegen. Im schlimmsten Fall kommt es zu Fehlern bei der Arbeit und zu Kundenbeschwerden. Betroffene müssen ihrem Ehrgeiz Grenzen setzen. Wer sich immer nach den besten Betrieben in der Branche richtet, setzt sich hohe Ziele, die nicht immer realistisch sind. Geht es denn um die Weltmeisterschaft? Wer achtsam mit sich und seinem Personal umgeht, erkennt das Anfangsstadium von «Workaholic» und kann die weitere Entwicklung bremsen sowie das Betriebsklima verbessern. 

Auf den Punkt gebracht

S    Stress-Inventur vornehmen
T    Termindruck vermeiden oder reduzieren
R    Resilienz, die geistige Widerstandskraft trainieren
E    Energieräubern den Nährboden entziehen
S    Selbstmanagement durch optimale Zeitplanung
S    Stressreduzierung durch Senken der eigenen Ansprüche

Titelbild

© Pexels/Energepic.com


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