Editorial

Verschollen

Artikel von:
Markus Matzner
Chefredaktor Obst+Wein
Diesen Artikel finden Sie in der Ausgabe 07 / 2025 , S. 3

Liebe Leserin, lieber Leser

Leibhaftig steht er vor mir. Bislang gab es nur eine Schwarzweiss-Aufnahme und Legenden, die um ihn herum rankten. Die Rede ist vom güldenen Pokal, den Hermann Müller-Thurgau zu seinem Abschied von Geisenheim 1891 erhalten hatte. Jahrzehntelang galt er als verschollen, doch rechtzeitig zum Jubiläumsjahr steht er nun in der Sonderausstellung des Weinbaumuseums Au (offen ab 25. Mai 2025). Der Zustand des Pokals ist gelinde gesagt hervorragend. Zwar hat sein Äusseres etwas Patina angesetzt, doch wenn man vorsichtig den Deckel weghebt, leuchtet es von innen her gülden. Der reich ziselierte Pokal steht auf einem Sockel, der wiederum von schildbewehrten Wächtern getragen wird. Den Deckel verzieren rote Perlen. Alles in allem könnte es auch ein Ehrenpokal aus Herr der Ringe oder aus einer Wagner-Oper sein. Gerade die Verbindung zum Letztgenannten ist auch deshalb interessant, als beide in der Fremde das Gefühl des Heimwehs kannten.

Zurück zum Pokal: Dass Geisenheimer Honoratoren einem nach Hause strebenden Wissenschaftler mehr als nur einen warmen Händedruck schenkten, ist bemerkenswert. Müller, den man hier mit dem Beinamen Thurgau versah, um Verwechslungen zu vermeiden, wurde mit allen Ehren verabschiedet, weil er auch viel hinterliess. Sein reiches Schaffen, seine Vorträge und Forschungsergebnisse und – nicht zuletzt – seine Rebsorte, waren und blieben auch Visitenkarten der Hochschule Geisenheim. In Deutschland hätte der strebsame Thurgauer wohl noch viel erreichen können. Doch er zog es vor, wieder an den Gestaden eines Sees zu leben. Nach dem Bodensee wurde nun der Zürichsee seine neue Heimat. Und da setzte er sein Schaffen umfangreich fort, auch wenn er unter der Arbeitslast wohl manchmal ächzte.

In dieser Ausgabe widmen wir uns vor allem seinem «Baby»: der Müller-Thurgau-Rebe. Es ist erstaunlich, was die akribische Archivarbeit, die derzeit für das Jubiläum geleistet wird, zutage fördert. Tauchen Sie mit uns ein in die Welt des Hermann Müller-Thurgau.

Ihr

Markus Matzner
Chefredaktor Obst+Wein

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert