Editorial

Vorwärts ins Vergangene?

Artikel von:
Markus Matzner
Chefredaktor O+W
Diesen Artikel finden Sie in der Ausgabe 13 / 2024 , S. 3

Liebe Leserin, lieber Leser

Was leben wir doch in einer erstaunlichen Welt! Manche nennen sie auch «verrückt» – ganz so, wie die ursprüngliche Bezeichnung es meinte: nämlich weggeschoben vom «Normalen». Jedenfalls wird es uns kaum langweilig. Logisch, dass der Mensch bei den stets neuen Herausforderungen nach Lösungen sucht, die er aus seinem Erfahrungsschatz schöpft. So bekämpft man Pilzkrankheiten nicht unbedingt mit der chemischen Keule, sondern untersucht zuerst die Zusammenhänge, analysiert, wo das System in ein Ungleichgewicht geraten ist. Das eben publizierte Programm der Wädenswiler Weintage (S. 29) zeigt das exemplarisch: Agroscope-Forschende gehen der ESCA-Krankheit auf den Grund und schlagen eine Brücke in die Vergangenheit.

Ein anderes Beispiel: Die Renaissance der Biodynamischen Landwirtschaft nach Rudolf Steiner. Ein Blick auf Wikipedia genügt, um über diese schillernde, aber auch umstrittene Persönlichkeit schon so viel zu erfahren, dass der Kopf raucht. Von esoterischen, hellseherischen und anthroposophischen Gedanken ist die Rede, sodass man sich wundert, wie dieses Konglomerat an Ideen noch heute eine Rolle spielen soll. Dennoch neigen immer mehr Menschen dazu, die biodynamische Sichtweise als Option zuzulassen. Die Wissenschaft kann da noch lange von Hokuspokus sprechen. Wir zeigen in diesem Heft, dass durchaus rationale und weltgewandte Weinbauern und Obstleute keinen Widerspruch darin sehen, einen in Wasser homöopathisch verdünnten Kuhmist-Dünger auszubringen, um das Bodensystem zu verbessern. Denn sie sehen sich als Teil in einem System, das als Ganzes «geheilt» werden muss und wegführt von der rein gewinnorientierten Agrarindustrie (s. das Porträt über den Demeterhof «Brachland», S. 8). Dass wir neue Wege und Mittel suchen müssen, um den Herausforderungen zu begegnen, ist unbestritten. Deshalb möchten wir an dieser Stelle ebenfalls eine Person aus dem Hut zaubern, die zu ähnlichen Zeiten wie Steiner gelebt hat und ebenfalls viel für die Verbesserung der Landwirtschaft beitrug: Hermann Müller-Thurgau. Ihm werden wir das kommende Jahr widmen. Mehr dazu schon bald an dieser Stelle. Wir wünschen eine gute Ernte!

Ihr
Markus Matzner
Chefredaktor O+W

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