Das Rittener Obstbauseminar
Das Obstbauseminar in Lichtenstern am Ritten (I), das jährlich seit 1991 vom Absolventenverein für Landwirtschaftliche Schulen (ALS) organisiert wird, war auch dieses Jahr Gradmesser für den Zustand der Obstbranche in Südtirol.
Das Seminar ist ein Gradmesser der Probleme, die gegenwärtig den Obstbäuerinnen und -bauern unter den Nägeln brennen. An drei Tagen standen 25 Referate auf dem Seminarprogramm und man kann sich vorstellen, mit welcher Intensität dort in geschlossenem Rahmen bis spät abends diskutiert wurde.
Das Thema, das den Obstbaubetrieben heute am meisten Kopfzerbrechen bereitet, ist der Pflanzenschutz. Und das in dreifacher Weise. Einmal bereiten als Folge des Klimawandels immer wieder neue invasive Schädlinge und Pilzkrankheiten Sorgen, gleichzeitig schwindet von Jahr zu Jahr die Liste der zur Verfügung stehenden Pflanzenschutzmittel (viele Zulassungen guter, umweltfreundlicher Wirkstoffe laufen aus und werden von den Herstellerfirmen nicht wieder registriert), und die EU schiesst aus dem Nichts und teilweise ohne wissenschaftliche Grundlage Restriktionen in den Raum, die weder begründet noch umsetzbar sind. Die Obstanbauenden sind mehr als besorgt.
Farm to fork
Herbert Dorfmann, EU-Parlamentarier, referierte zum aktuellen Stand der EU-Strategie im Rahmen des «Green Deals» und «Farm to Fork». Der Idee der EU-Initiative liegen durchaus positive Aspekte zugrunde, aber gewisse Brüsseler «Schreibtisch-Bestimmungen», wie z. B. das SUR (Sustainable Use Regulation), das alternativlos unausführbare Reduktion der Pflanzenschutzmittel bis 2030 um 50 % vorsah, ist mittlerweile versenkt worden. In der Zwischenzeit steht die EU auch neueren Gen-Techniken nicht mehr negativ gegenüber (z. B. der Gen-Scheren-Technik, CRISPR/Cas).
Betriebswirtschaftliche Themen
Am Obstbauseminar stehen immer wieder betriebswirtschaftliche Themen aus anderen europäischen Obstbaugebieten auf dem Programm. Der Obstbau in der EU steckt in einer Krise, besonders auch in Deutschland. Matthias Görgens, Betriebswirt aus dem Alten Land bei Hamburg (D), durchleuchtete die Betriebswirtschaft der Altländer Obstbaubetriebe. «Schwierige Zeiten erfordern umsichtiges Handeln», war seine Kernaussage. Aber erfolgreich wirtschaften kann man nur, wenn man durch Kalkulationen, Liquiditätsrechnungen und Erfolgsanalysen den Tatsachen ins Auge sieht, diese erkennt und angemessene Reaktionen folgen lässt. Gemäss Görgens stimme es nicht, dass es dem Obstbau generell schlecht geht. Er teilt die Betriebe in drei Drittel. Ein Drittel hat wahrlich Existenzsorgen. Ein Drittel schlägt sich recht und schlecht (mehr schlecht) durch. Ein Drittel ist auch in schlechten Jahren erfolgreich. Vergleichszahlen legen deren Stärken zu Tage. Es gilt zu erkennen, was diese besser machen. Im Endeffekt sind es höhere Erträge, bessere Qualität, eine weitblickende Sortenerneuerung, ein kostenbewusstes Wirtschaften und eine effiziente Vermarktung. Eigentlich nichts Neues, aber man muss es zwingend anstreben.
Klimatische Einflüsse
Der Klimawandel drängt Apfelanbaugebiete in den wärmeren mediterranen Anbaugebieten in immer grössere Schwierigkeiten. Höchsttemperaturen im Sommer, zu geringe Wintertemperaturen und vor allem der Wassermangel erschweren dort den Anbau mehr und mehr (schlechte Farbausbildung, Vorerntefruchtfall, Sonnenbrand, Aufspringen der Früchte u. a. m.). So auch im spanischen Katalonien. Joan Bonany (IRTA) referierte, wie man im südspanischen traditionellen Obstbau mit neuen Strategien reagiert. Einerseits rücken die Apfelanbaugebiete mehr und mehr in mildere, höher gelegene Regionen oder in die Nähe des Meeres und andererseits ist die Sortenzüchtung gezielt auf «Hot-Climate-Sorten» ausgerichtet. Während in den traditionellen früheren Apfelanbaugebieten Pfirsiche, Nektarinen und Mandelkulturen nachrücken.
SOV-Sichtweise
Eduard Hollinger vom Schweizer Obstverband (SOV) schilderte die Bestrebungen für nachhaltigen Obstbau aus Schweizer Sicht. Ähnlich wie in Südtirol das Sustainapple-Projekt, sprechen sich auch in der Schweiz Produzierende und Vermarktende klar und deutlich für einen nachhaltigen Obstbau aus. Aber (aus der Sicht von EU-Produzenten gesehen) nicht von «oben» aufdiktiert, sondern über eine gemeinsame koordinierte nationale Branchenlösung zwischen Produzierenden, Vermarktenden und Konsumierenden. Über zwölf verschiedene Nachhaltigkeitsziele strebt man an unter dem Schirm der Nachhaltigkeit, um Ökologie, Ökonomie und Soziales zu vereinen. Aber nicht zum Nulltarif. Schweizer Obstanbauende fordern, für die weitreichenden Massnahmen von den Konsumierenden, einen angemesseneren höheren Preis. Man spricht von 6 Rappen/kg.
Pflanzenschutz
Einige Vorträge waren aktuellen Problemen im Pflanzenschutz gewidmet. Durch das Wegfallen einiger Wirkstoffe steht man besonders bei der Bekämpfung von Blattläusen immer mehr vor äusserst schwierigen Problemen. Insbesondere der Blutlaus steht man bei einigen Spätsorten (Fuji) fast machtlos gegenüber. Im Versuchszentrum Laimburg (I) sucht man seit Jahren nach möglichen Alternativen zu gängigen Aphiziden, die morgen nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Bislang mit geringem Erfolg.
Bei den Pilzkrankheiten tauchen laufend neue, bislang unbekannte Erreger auf, die den Obstbetrieben Sorgen bereiten. Früher war ausser Schorf und Mehltau kaum eine andere Pilzkrankheit der Rede wert. Heute sind Alternaria, Weisser Hauch, die Lentizellenflecken-Krankheiten und Glomerella Leaf Spot (um nur einige zu nennen) bald ein grösseres Problem. Und dies bei einem immer weiter schrumpfenden Angebot an Fungiziden.
Eine erfolgreiche chemische Ausdünnung ist für die Qualität und den konstanten Ertrag unabdingbar. Aber trotz viel Erfahrung mit dem Einsatz bekannter Werkstoffe (z. B. ATS) gibt es immer wieder Überraschungen. Seit neuestem arbeitet man im Lande und in verschiedenen Anbaugebieten im Ausland (USA, Deutschland, Holland) an Pollenwachstumsmodellen mit dem Ziel einer präzisen Blütenausdünnung. Erste Erfahrungen scheinen vielversprechend zu sein.