Das Wetter-Drama

Dass es Ausreisserjahre in Sachen Wetterphänomene gibt, ist jedem Obst- oder Weinprofi bekannt. Aber dass fast alle Ausnahmesituationen in einem Jahr stattfinden, ist nicht nur neu, sondern auch beunruhigend. Mit dem Blick zum Himmel stellt sich mancher die Frage: Wird es so turbulent bleiben?


Markus Matzner | Roland Müller

Kennen Sie das putzige Tierchen namens Siebenschläfer? Es gleicht einem Hamster oder einem Eichhörnchen, aber lebt verborgen und ist nachtaktiv. Dass es in unserem Zusammenhang erwähnt werden muss, hat einen einfachen und fast schon beschaulichen Grund: Denn da gibt es die sogenannte Siebenschläfer-Regel. Sie besagt, dass das Wetter sieben Wochen so bleibe, wie es am 27. Juni ist. 

Tatsächlich brillierte der 27. Juni, ein Sonntag, dank seines sonnigen und heissen Wetters. Die kräftigen Regenschauer kamen erst in der Nacht auf den Montag. Doch in den Tagen rund herum hagelte, regnete und windete es wie selten zuvor. Auch der Juli blieb wechselhaft und nass, mit grossem Unwetterpotenzial. Wer vorschnell meint, dass sich somit diese Regel als alberne Bauernregel abtun liesse, muss jedoch eines sehen: Sie ist die einzige wissenschaftlich anerkannte «meteorologische Singularität», die mit hoher Wahrscheinlich von 70 % auftritt und daher als Witterungsregelfall gilt. Nur darf sie nicht auf einen Tag bezogen, sondern muss auf die ganze Periode Ende Juni bis Anfang Juli ausgedehnt werden.

Der Jet ist «schuld»

Der Grund dahinter ist der sogenannte Jetstream, dieses Starkwindband, das in Wellen auf neun bis zehn Kilometern Höhe von West nach Ost um den Globus rauscht. Doch so einfach und anschaulich diese Erklärung auch wirken mag: Für Fachleute ist sie nicht ausreichend. Zu komplex sei die ganze Wetterküche, mahnt auch Meteorologe und Winzer Jürg Zogg, der im St. Galler Rheintal seine Reben kultiviert und für SRF seine Prognosen erstellt. Schon mit dem Jetstream sei es komplexer, denn es gebe deren zwei. Zum einen den Polarfront- und dann den Subtropen-Jet. Für das Wetter der letzten Monate war Letzterer verantwortlich. Gerade in diesem Sommer mäandert er bis weit nach Europa hoch, es zerreisst ihn, er schwächelt und baut sich als Resultat der Temperaturunterschiede zwischen Nord und Süd wieder auf. «Auffallend war», erklärt Zogg weiter, «dass es immer wieder zu sogenannten Cut-off-Lows kam». Das seien Tiefdruckgebiete, die sich aus dem Jet lösen und «herumlungern» und kaum mehr vom Fleck kommen. Da zusätzlich das nördliche und östliche Europa überdurchschnittlich warm waren, ergab sich eine ungute Dynamik, die unter anderem zur verheerenden Unwettersituation vom 14. bis 16. Juli führte. Wie Zogg einräumte, war es letztlich Zufall, dass sich Tiefdruckgebiet «Bernd» vor allem im Bereich von Nordrhein-Westfalen und der Rheinlandpfalz bis Belgien austobte. Es hätte genauso gut den Jura, das Klettgau oder die Voralpen treffen können.

 

Links: 4. August 2021: Blockierte Wetterlage – der Jet liegt genau über der Schweiz und führt Tiefdruckgebiete heran. (Quelle: www.wetter.com)
Rechts: 14. August 2021: Der Subtropenstrom nördlich der Schweiz verheisst vorübergehend gutes Wetter.

 

Immer extremer?

Während sich mit oder ohne Siebenschläferregel, die einmal mehr erstaunlich gut zutraf, das Wetter in Zentraleuropa ab dem 10. August beruhigte und dem ersehnten Sommer Platz machte, herrschen in benachbarten Ländern rund um das Mittelmeer prekäre Verhältnisse vor. Extreme Hitze gepaart mit einer monatelangen Trockenheit ergeben ein zerstörerisches Potenzial, wie man in den Nachrichten sehen kann. Auch hier räumt Wettermann Zogg ein, dass wir wohl oder übel mit diesen Extremen leben lernen müssen. Bereits kommendes Jahr könnte es aber andersrum sein: bei uns ein Hitzesommer à la 2003, während andere Regionen im Regen ertrinken.

Wie sich zusätzlich die ungewöhnliche Erwärmung in den Polregionen auswirken wird und welche Folgen das mögliche Abstellen des Golfstroms zeitigt, wird sich zeigen. Das Szenario, das einige Wissenschaftler bereits prophezeien, lässt unsere Lage nochmals ungemütlicher erscheinen. 

Hagel und Mehltau

Einzig die Folgen der Wetterkapriolen sind bekannt. So hat die Schweizerische Hagelversicherung eine überdurchschnittliche Schadensmenge für 2021 berechnet – und die Saison ist noch nicht vorüber. Die jüngsten Zahlen registrieren bereits 11 000 Schadensmeldungen und eine Schadenssumme von 75 Mio. Franken (Mitte Juli waren es noch 8000 Meldungen bei einer Summe von 50 Mio. Franken, s. SZOW 10/2021). Die von Hagel betroffenen Rebfelder  verarbeiten das traumatische Ereignis, in dem sie für mehrere Wochen in einer Art Schockstarre verharren. Thierry Wins von Agroscope Wädenswil erklärt, dass die Pflanzen das Phytohormon Abscisinsäure ausschütten und damit die Photosynthese hemmen. Auch wenn sich die Pflanzen möglicherweise erholen und wieder mit dem Wachstum beginnen, wirken sich die Schädigungen auch ins neue Jahr aus. Bisweilen muss aufgrund der mangelnden Holzqualität auf einen Cordonschnitt ausgewichen werden. 

In Sachen Falscher Mehltau sind die Verluste schwerer zu ermitteln, da noch Hoffnung auf eine Resternte besteht. Dennoch resümiert Beat Kamm, Präsident des Branchenverbands Zürcher Wein, in der NZZ vom 6.8.21: «Etwa 15 bis 20 Prozent der Verluste gehen auf das Konto des Hagels, etwa 30 Prozent Ausfall gibt es wegen des Falschen Mehltaus.» Anderswo spricht man aber schon vom Totalausfall. 

Massnahmen gegen Mehltau

Es ist auffallend, dass in ein und derselben Parzelle beachtliche Unterschiede im Befall durch den Falschen Mehltau bestehen. Neben Pflanzenschutzmassnahmen werden deshalb auch präventive Massnahmen zur Bekämpfung der Peronospora empfohlen. Dazu gehört ein Niedrighalten des Bodenwuchses, gut durchlüftete Traubenzonen, was mit einem gezielten Auslauben bewerkstelligt werden kann. Doch die Schadbilder widersprechen teilweise diesen Theorien. Dies zeigt beispielsweise eine Parzelle in Trüllikon, wo gerade die unter den Blättern geschützten Trauben kaum einen Befall zeigen. Hingegen sind gut ausgelaubte und durchlüftete Traubenzonen in unmittelbarer Nachbarschaft deutlich stärker befallen. Dies bei gleicher Behandlung mit Pflanzenschutzmitteln. «Sauber ausgelaubte Trauben, die direkt vom Regen getroffen und somit ständig nass geworden sind, haben mehr gelitten», stellt der Truttiker Winzer Niklaus Zahner fest. Mit dem Farbumschlag bzw. dem Weichwerden der weissen Sorten nimmt die Gefahr des Falschen Mehltaus ab. Inwiefern sich der Pilzbefall jedoch sensorisch auf die Weinqualität auswirken wird, werden die kommenden Monate zu Tage fördern. Mindestens bei den von Hagel betroffenen Beeren, die zu Weinen verarbeitet werden, gibt es Erkenntnisse. So hat die Südtiroler Versuchsanstalt Laimburg genau dies untersucht: «Die sensorische Bewertung der mit klassischer Maischegärung ausgebauten Rotweine des Jahrgangs 2019 ergab, dass eine höhere Anzahl an beschädigten Beeren in der Weinbereitung die Weinqualität deutlich negativ beeinflusst.» Als nächstes möchten die Wissenschaftler herausfinden, ob bei der klassischen Weissweinbereitung ohne Mazeration der Einfluss der vernarbten Beeren geringer ist als bei einer Maischegärung. Manch ein Winzer wird diese Fragen kommenden Winter wohl schneller beantworten können als die Wissenschaft.

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