Schon während der Zugfahrt nach Bern – die SBB setzten 40 Extrazüge ein – fällt die immense Schar junger Erwachsener in Begleitung ihrer Lehrerschaft auf. 2600 Schulklassen mit 64 000 Schülerinnen und Schülern (davon 20 000 aus der Romandie) sowie deren Begleitpersonen pilgern nach Bern, um die diesjährigen SwissSkills zu besuchen. Wohl versprechen sich die Besuchenden, einen Einblick in die fast schon unüberschaubare Menge der Lehrberufe zu erhaschen. Und tatsächlich: Die Vielfalt der Schweizer Berufswelt wirkt enorm. Ziel der SwissSkills ist es, dem Fachkräftemangel in der Schweiz die Stirn zu bieten.
Zahlreiche Partner
Mittlerweile haben die SwissSkills auch wirtschaftlich einen hohen Stellenwert. Die letzte Ausgabe im Jahr 2018 habe gemäss einer Studie der Universität Bern zu mehr als 13 000 Logiernächten geführt und eine Wertschöpfung von 35.4 Millionen Franken erzielt. Kein Wunder also, dass Bern nach 2014 und 2018 zum dritten Mal als Gastgeberstadt fungiert. Zudem werden die SwissSkills von namhaften Partnern und Sponsoren (UBS, Mobiliar, Coop, Debrunner Acifer, Suva, SBB, Post, Swisscom), aber auch von der Bernexpo, dem Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) und der Stadt Bern unterstützt.
Das duale Bildungssystem der Schweiz
Das duale Bildungssystem katapultiert die Schülerschaft mittels Lehre auf direktem Weg in die praktische Arbeitswelt und trumpft mit zahlreichen anschliessenden Weiterbildungsmöglichkeiten auf. Es bilde sogar das Geheimnis der Schweizer Erfolgswirtschaft, meint das WBF. Das System bietet Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine qualitativ hochstehende Ausbildung mit gleichzeitigem direktem Zugang zum Arbeitsmarkt. Mit dieser Form von Ausbildung verspricht man sich, die Jugendarbeitslosigkeit in Schach zu halten. Auch wirken sich die zahlreichen Weiterbildungsmöglichkeiten lukrativ auf den Lohn aus.
Wettkämpfe sollen die Jungen zur Lehre «ver»führen
Um die Nachwuchs-Fachkräfte anzulocken und die Vorteile der Lehre anzupreisen, küren die SwissSkills via Wettkämpfen Siegerlehrlinge. Die Lernenden wetteifern in verschiedenen Disziplinen in ihrer jeweiligen Berufsgattung. Diese Wettkämpfe werden vor Zuschauenden ausgetragen. Expertinnen und Experten bewerten das Geschehen mit ernsten Mienen. Am Samstag folgt die grosse Siegerehrung samt Licht- und Musikshow. Eine beeindruckende Sache mit zahlreichem Publikum – inklusive Bundesrat und Wirtschaftsminister Guy Parmelin. Dieser ist überzeugt: «Die Teilnehmenden der SwissSkills 2022 gehören zur Elite der Schweizer Berufsbildung.»
Sandro Stadler arbeitet konzentriert während der Wettbewerbsaufgabe «Mischen». (© SZOW)
Was es heisst, Winzerin, Obstfachmann oder Weintechnologin zu sein
Die SZOW machte sich am Stand des Schweizerischen Obstverbands (SOV) und im Zelt der Winzer sowie Weintechnikerinnen auf Spurensuche. So brachten wir in Erfahrung, dass die Obstfachmann-Lehrlinge vorwiegend aus der Branche kommen, sie wuchsen bereits in der Umgebung einer «Obst-Familie» auf. Bedingung, diese Lehre erfolgreich zu absolvieren, ist es allerdings nicht. Dies betonten sowohl die Lehrlinge wie auch das Expertenteam. So wählte z.B. Winzerlehrling Tristan Coendoz diese Ausbildung rein aus Interesse und nicht aufgrund seines familiären Hintergrunds.
Für einige der Lernenden ist dies bereits die zweite Lehre. So oder so: Geschätzt wird der abwechslungsreiche Beruf, die Weiterbildungsmöglichkeiten, das Draussen sein, die Naturverbundenheit, das Teamwork und das Arbeiten mit den Händen.
Manche Lernende wünschten sich einen etwas näheren Arbeitsweg. So liegen die Ausbildungsbetriebe oft nicht nahe bei ihren Wohnorten. Beispielsweise die Berufsschule der Obstfachmänner und -frauen (in der Deutschschweiz der Strickhof ZH und im Welschland Châteauneuf VS) ist vielfach mit einem weiten Weg verbunden. Bei den Winzern und Weintechnologinnen sieht die Lage ähnlich aus (Strickhof ZH, Marcelin VD).
Erfolgserlebnis Ernte
Die Nachwuchs-Fachkräfte nehmen die langen Arbeitszeiten (bis zu 55 Stunden pro Woche) mit einem leichten Schulterzucken hin: «Das ist in diesem Beruf halt so», war der Tenor. Mal gibt es weniger und mal mehr zu tun. Beispielsweise zur Erntezeit.
Auf die Frage nach dem Schönsten an diesem Beruf lautete die Antwort unisono: «Die Erntezeit.» Nach einem ganzen Jahr Arbeit stellt der Lohn in Form von Naturalien die Lernenden zufrieden. Auch loben sie die vielen Facetten ihrer Tätigkeit: vom Büro bis zum Hagelnetze spannen – die Einsätze variieren je nach Wetter, Jahreszeit und Betrieb.
Wo sind die Lernenden?
Trotz der Begeisterung der Lehrlinge an ihrem Beruf findet die Branche zu wenig Nachwuchs. Das Angebot wäre da, die Nachfrage lässt zu wünschen übrig. Wer weiss, vielleicht hilft der Grossanlass SwissSkills den Berufsverbänden dieses Problem etwas zu mindern – zu wünschen wäre es.
Gewinnerinnen und Gewinner
Obstfachmann/-frau EFZ
1. Rang Pascal Rohrer (LU)
2. Rang Remo Buchmann (LU)
3. Rang Aymeric Vouillamoz (VS)
4. Rang Sandro Stadler (TG)
Winzer/in EFZ
1. Rang Lisa Traens (VS)
2. Rang Timo Hartmann (AG)
3. Rang Gael Guinchard (NB)
Weintechnologe/-technologin EFZ
1. Rang Méloé Maye (VS)
2. Rang Nicoals Melching (ZH)
3. Rang Gabriel Giroud (VS)
Die SwissSkills fanden vom Mittwoch, 7. September bis Sonntag, 11. September 2022 statt. Die nächste Durchführung wird im Jahr 2025 wiederum in Bern sein.
Im Heft 13 der SZOW folgen Interviews und Bilder mit den Gewinnern gleich nach und während des Wettkampfs.