© Andrea Caretta, O+W

Feigen von der Luzerner Riviera

Die Feige gilt als komplizierte Befruchtungs- und Fruchtbildungspflanze. Die Produkte, die wir im schweizerischen Grosshandel finden, stammen in der Regel aus der Türkei, Italien oder Frankreich. Doch nach einem SZOW-Artikel aus dem Jahr 2004 dürften auch in der Nordschweiz gute Obstbaulagen und Böden für den Anbau von Feigen vorhanden sein. Die Familie Stocker hat sich im Örtchen Greppen (LU) an das Experiment «Feigen» gewagt und damit ihre Erfahrungen gesammelt.

Artikel von:
Autor_Caretta Andrea
Andrea Caretta
Redaktorin, Online, Social Media
Diesen Artikel finden Sie in der Ausgabe 01 / 2023 , S. 12

Eingebettet zwischen Rigi und Vierwaldstättersee befindet sich die Feigenplantage einer experimentierfreudigen Familie. Insgesamt bewirtschaften Andrea und Stephan Stocker (Abb. 1) knapp zehn Hektar, davon beansprucht ihre Feigenanlage seit zehn Jahren ein halbes Hektar. Die Früchte mögen das mediterrane Mikroklima, die vielen Sonnenstunden, das abfallende Gelände und die durchlüfteten Bedingungen, die ihnen Greppen bietet. Das Ehepaar kümmert sich ausserdem um über 16 Mutterkühe und Kälber, 350 Freilandhühner, zehn Mutterschafe und 130 Hochstammobstbäume. Obwohl sie Zwetschgen, Marroni und Quitten genauso mögen, haben sie sich für die eher unbekannte Feige entschieden.

Abb. 1: Erfolgreiche Feigenproduzierende: Andrea und Stephan Stocker. (© O+W)

Eine unübliche Frucht: die Feige

Nach der erfolgten Betriebsübergabe von Stephans Eltern überlegten sich die beiden, welche Richtung sie einschlagen sollten. «Wir wollten etwas anderes, Intensives machen.» Als richtiges Vorgehen stellte sich die Direktvermarktung heraus. «Es war uns wichtig, von einer Wertschöpfung direkt ab Hof zu profitieren. Mein Vater hatte schon immer Feigenbäume, die sehr beliebt waren», ist sich Stephan Stocker bewusst. «Deshalb kamen wir auf die Idee einer professionellen Feigenanlage.» Um sich das nötige Wissen im Umgang mit dem Nischenprodukt anzueignen, nahmen Stockers sogar mit Agroscope in Wädenswil Kontakt auf. Sie wurden auf einen SZOW-Artikel aus dem Jahr 2004 hingewiesen, den Jürg Boos, Hochschule Wädenswil, und Alfred Husistein, Agroscope Wädenswil, verfasst hatten.

Nach Pollenüberträger sucht man hierzulande vergeblich

Stockers pflanzten auf der Plantage an der Südseite der Rigi acht verschiedene Sorten an: Ronde de Bordeaux, Dauphine, Grise Olivette, Longue d’Août, Brown Turkey, Filacciano, Noire de Carombe (Abb. 2) und Early Black. Es sind allesamt Sorten, die Selbstbefruchter sind und nicht bestäubt werden müssen. Selbstbestäubung bedeutet, dass bei einer Pflanze die Blüten von ihrem eigenen Pollen bestäubt werden. Dabei kann es sich nur um hermaphroditische Blüten handeln. Schon im Artikel von 2004 stand: «Wer also in der Schweiz eine Feigensorte pflanzt, die befruchtet werden muss, wird keine Früchte ernten können. Doch nicht nur der Pollenüberträger fehlt, auch die pollenspendenden Bocksfeigen findet man in der Schweiz nicht. An Feigenbäumen einer Sorte, die auf eine Befruchtung angewiesen ist, werden die unbefruchteten Früchte bereits im Sommer gelb, schrumpfen und fallen später ab.»

Abb. 2: Eine reife Noire de Carombe. (© O+W)

Die Recherche-Phase

«Wir hatten Mühe, an Informationen und Pflanzgut zu gelangen und versuchten es über den Kanton Luzern und Agroscope», so Stocker. «Auch reisten wir nach Süditalien (Region Cilento), was uns allerdings nicht weiterbrachte. Bei einem Besuch in Südfrankreich (Toulon) gelangten wir endlich an die gewünschten Informationen. Die Einheimischen unterstützen uns und waren für unsere zahlreichen Fragen offen.» Kaum zurück in der Schweiz drängte sich das nächste Thema auf: «Wie kommen wir an Pflanzgut (je nach Grösse ca. 60.– Franken pro Busch)?». Diese wichtige Entscheidung wurde auch im Artikel behandelt: «Die Sortenwahl ist zurzeit die schwierigste Frage für den Anbau in der Schweiz. Eine für den Anbau geeignete Sorte muss frosthart sein, einheitlich reifend (Erntetechnik), bei Regen nicht platzend, transportfest, ertragreich und ertragsstabil sein.»

Das Ehepaar wählte seine acht Sorten mithilfe eines Betriebs aus dem Bündnerland aus und bestellte 160 Exemplare. Es floss eine grosse Summe an Geld. Die Qualität der Lieferung liess dann leider zu wünschen übrig: «Wir mussten einiges ersetzen», resümiert Stocker heute.

Kein Pflanzenschutz nötig

Die Feigen in der Anlage sind unbehandelt. «Wir verteilen im Frühjahr ausschliesslich Hühnermist auf den Boden», unterstreicht Stocker stolz. Und wirklich: Dessen waren sich schon Boos und Husistein bewusst: «Feigen benötigen in der Schweiz zurzeit noch keinen Pflanzenschutz.»

Und dennoch analysierten die Autoren: «Etliche Schädlinge und Krankheiten, die hier bereits etabliert sind, können die Feige befallen. So zum Beispiel Spinnmilben (Panonicus ulmi Koch, Tetranicus urtucea Koch), Alternaria ssp., Botrytis cinera Pers. (Vidaud 1997), Grosse Obstbaumschildlaus (Eulecanium corni) und Mäuse.» Doch sind im Versuchsjahr sämtliche Büsche dem Frost zum Opfer gefallen. Wie schon die Forschungsresultate von Agroscope aufzeigten, hängt die Kälteempfindlichkeit der Pflanze von Sorte, Vitalität und Alter der Pflanze ab: «Jungpflanzen bis zum zweiten Standjahr sind besonders bei Winterfrost empfindlich. Die Neutriebe leiden unter den Frostbedingungen und schaffen es nicht zu verholzen.»

Durch Spätfröste wurden in Wädenswil im Jahr 2003 die Blütenanlagen der Blütenfeigen durch tiefe Temperaturen im April (-4.5 °C) zerstört. Dasselbe Schicksal widerfuhr den Feigenbüschen, die von Stockers als Versuchsanlage im Jahr 2010 gepflanzt wurden. Die zwölf Pflanzen erfroren trotz des angebrachten Vlieses. Zu Stockers Erstaunen schlugen sie aber im Frühjahr erneut und zum Teil noch stärker vom Boden her aus.

Erntezeitpunkt und Transport

Was 2004 noch galt, änderte sich infolge der Klimaerwärmung in der Zwischenzeit. Damals stand im Artikel: «In der Nordschweiz ist die Vegetationsperiode normalerweise zu kurz, um zwei Ernten auszubilden. Die ersten Herbstfröste beenden nördlich der Alpen die Vegetationszeit der Feigen.» Heuer konnten die Feigen zweimal geerntet werden. Ausserdem fiel die Ernte im Jahr 2022 – wie auch in anderen Obstplantagen – früh aus. Mit der Unterstützung von Familie und Freunden wurden die Früchte Stück für Stück von Hand geerntet. «Wir ernteten Ende Juli, anfangs August das erste Mal für zwei bis drei Wochen und danach gab es die übliche Pause.» Der Schnitt der Büsche wird von Stephan Stocker absichtlich so ausgeführt, dass die Erntearbeitenden auch ohne Leiter zurechtkommen. Ende August folgte dann die grosse Ernte. «Zu dieser Zeit verbringen wir unzählige Stunden in der Feigenplantage», führt Stocker aus. Dabei verbuchen sie in der Haupternte teilweise 50 bis 60 kg Feigen pro Erntetag – wobei nur an jedem zweiten Tag gelesen wird. Ende Oktober öffnete das Paar die Netze und überliess die restlichen Früchte den Vögeln. Die Haut der Früchte wird aufgrund der tiefen Temperaturen der Nächte zäh.

Die Feige beansprucht einen besonderen Schnitt

Obwohl Stockers vorerst auf Bäume mit Kurz-Stämmen setzten, damit Schädlinge beschwerlicher an die Früchte gelangen, kamen sie wieder auf die ursprüngliche Form der Büsche zurück. So schossen die Bäume trotz kurzem Stamm in die Höhe und der Ertrag der Ernte – in der beachtlichen Länge der gewachsenen Stämme – ging verloren. «Aktuell schneiden wir die Büsche so, dass sie nicht bis ins Netz gelangen und dank ihrer elastischen Äste vom Boden aus geerntet werden können.» Die Büsche sollen mehr in die Länge als in die Breite wachsen, damit die Fahrgassen offen bleiben. Der Schnitt der gesamten Anlage mit den rund 160 Bäumen beansprucht zwischen 12 und 15 Stunden.

Über den Schnitt stand im SZOW-Artikel: «Um die Bodenpflege und Ernte zu vereinfachen und die Belichtung zu verbessern, sind für die Nordschweiz weitere Formen mit zum Beispiel kurzem Stamm, Heckenformen oder Hohlkronen zu prüfen.»

Das Schneiden von Feigenbäumen ist anders als bei üblichen Obstbäumen hierzulande. Feigen sollten nicht am äusseren Ende des Astes geschnitten werden: Man schneidet Äste, die bis auf den Boden hängen, ganz weg. Dasselbe gilt für den Schnitt der Äste. Besser man trennt den gesamten Ast ab – jedoch nicht das einjährige Holz, denn damit würde der Ertrag ausfallen.

Reife Feigen – eine Rarität in der Schweiz

Die Kleinunternehmer legen grossen Wert darauf, dass nur reife Feigen in den Verkauf oder die Weiterverarbeitung gelangen. «Dass wir reife Feigen innerhalb der Schweiz zum Verkauf anbieten, ist das grosse Plus», sind sie überzeugt. Und tatsächlich wussten die Autoren schon 2004 zu berichten: «Optimal ausgereifte Feigen sind wenig transportfest und lassen sich somit aus den Produktionsgebieten wie der Türkei nur schwerlich in die Schweiz bringen. Für längere Transporte werden Frischfeigen knapp reif geerntet. Diese reifen dann kaum mehr nach und entfalten nicht den vollen Geschmack. Um zu diesen Früchten eine Alternative zu bieten, müssten Schweizer Frischfeigen reif geerntet und auf kürzestem Weg vermarktet werden.» Feigen sollten nach zwei Tagen verzehrt oder verarbeitet werden, eine in der Obstbranche immens kurze Zeit. «Der Spagat zwischen Reife und Transportfähigkeit – die Früchte dürfen nicht tropfen – erweist sich immer wieder als grosse Herausforderung», sind sich Stockers einig: «Dieser Punkt nahm uns auch die Vision, unsere Früchte grösstenteils in den Hotels der Region frisch verkaufen zu können. Die Hotelbetreiber waren an unserer kurzfristig verfügbaren Frischware nicht interessiert.»

Investitionen in Netz und Bewässerung

«Wir kämpfen mit den Folgen der Staunässe», berichtet Landwirt Stocker. Denn Staunässe mag das Maulbeergewächs gar nicht. «Da können wir nicht viel machen», erklärt er weiter. Der Strauch ist sehr lichtliebend. «Dank unseren breiten Fahrgassen bekommen die Pflanzen mehr als genügend Licht.» Zudem schliessen Stockers das Netz möglichst spät (Mitte Juni), erst kurz bevor die Vögel mit Picken beginnen. «Bis dann können wir unsere Schafe in die Anlage lassen, was ideal ist. Doch sobald das Netz rundherum geschlossen ist, geht das nicht mehr.» Das Netz war nötig, nachdem 2016 scharenweise Vögel die Ernte zerstörten. «Die Kosten für das Rundum-Netz erwiesen sich als enormer Budgetposten, doch gleichzeitig auch als Wendepunkt für den Erhalt der Anlage.» Auch den Forschern war diese Problematik schon bewusst: «Probleme bieten zudem die fast reifen Früchte am Strauch. Zum einen platzen sie bei längerer Nässe, zum anderen sind sie besonders attraktiv für Vögel. Aus diesen Gründen muss ein Vogelschutz mit Netzen oder sogar ein Regendach in Betracht gezogen werden. Ob ein teurer Witterungsschutz wirklich notwendig ist, muss durch Forschungsarbeiten und Erfahrungen noch gezeigt werden.» Zu Beginn war die Bewässerung ebenfalls ein Problem. So gehörte es zur Aufgabe der Familie, die Anlage jeden zweiten Abend für zwei lange Stunden zu bewässern. Deshalb beschloss man 2016, in eine aufgehängte Bewässerungsanlage zu investieren. Dennoch waren noch nicht alle Probleme beseitigt. So geben die Feigenpioniere offen zu: «Die Mäuse treiben uns in den Wahnsinn.» Die Schädlinge fressen die Rinden der Hölzer, die dann absterben. Das Netz hilft in dieser Konstellation wenig und verschlimmert die Situation eher, da die zahlreich vorhandenen Greifvögel nicht mehr in das Geschehen eingreifen können. Das Ehepaar führt aus: «Da wir die Anlage mit dem Traktor befahren wollen, ist das Spannen eines Mäusezaunes ein Problem. Zehn bis zwölf Bäume fallen uns so jedes Jahr zum Opfer.»

Wie läuft die Vermarktung?

Die Vermarktung ihrer Produkte erwies sich als weitere grosse Herausforderung. Die Familie rief zu Anfangszeiten täglich in Restaurants an, um ihre Produkte anzupreisen, wurde aber oft abgewiesen: Erst Mund-zu-Mund-Propaganda, Zeitungsartikel, Stammkundschaft, Bestellungen via Webseite, Hauslieferdienst und Hofladen (Abb. 3) halfen. «Seit zwei Jahren rollt’s!», verkünden Stockers. Doch sehen sich beide immer noch gezwungen, zusätzlich auch noch auswärts zu arbeiten.


Abb. 3: Ein wichtiger Ort für die erfolgreiche Vermarktung: der Hofladen. (© O+W)

Rentabel oder nicht?

Ob das Projekt kostendeckend ist, lässt sich schwer beurteilen. «Wenn man die vielen Arbeitsstunden mitzählt, wird es schwierig.» Bis 2018 wogen die Kleinunternehmer die Ernte pro Sorte ab, mittlerweile fehlt die Zeit für diesen Aufwand. «Wir ernten in guten Jahren mehr als eine Tonne.»

Fazit

Mit viel Liebe zur Sache scheint das Betreiben einer Feigenanlage in guter Lage auch hierzulande ein ernstzunehmendes Unterfangen zu sein. Die Wahl des Standortes und die Nachfrage spielen dabei die entscheidenden Rollen. Doch muss wohl mit einer längeren Durststrecke bis zur Rentabilität des Projektes gerechnet werden. Nichtdestotrotz spricht ein schlagendes Argument – was sich auch schon im Artikel von 2004 offenbarte – für sich: «Essreife Feigen können nur in der Schweiz produziert und genossen werden.»

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