güttinger-Tagung: Neue Sorten, effiziente Erntetechnik und vieles mehr
Auf dem Versuchsbetrieb Obstbau in Güttingen traf sich am Samstag, 17. August, die Obstbranche zur Güttinger-Tagung. Nach den Eingangsreferaten von Eva Reinhard (Agroscope) und Jürg Hess (Schweizer Obstverband) wurden in einem Parcours aktuelle Themen aus der Forschung und Beratung präsentiert. Die Organisatoren vom Arenenberg und Agroscope freuten sich über rund 150 Teilnehmende.
Die diesjährige Güttinger-Tagung wurde von Eva Reinhard, Leiterin Agroscope, eröffnet. Sie betonte die Wichtigkeit von Innovation und Forschung in der Landwirtschaft. Dafür brauche es gut ausgebildete Personen, entsprechende finanzielle Mittel, Zeit und ein wenig Glück, so Reinhard. Die im Zukunftsprojekt von Agroscope eingesparten Mittel sollen der Forschung vollumfänglich zur Verfügung stehen. Mit dem Verlegen bestehender Standorte an den Strickhof und nach Güttingen soll die Forschung und Beratung noch näher an die Praxis rücken. Mit steigenden Forderungen an eine nachhaltige Produktion seien Zielkonflikte bei der Erfüllung verschiedener Ansprüche vorprogrammiert. Produzierende würden oft für negative Auswirkungen in der Nahrungsmittelproduktion verantwortlich gemacht, so Reinhard. Es brauche einen gesellschaftlichen Dialog und eine aktive Politik, um konsensfähige, umsetzbare Lösungen zu schaffen. Produzierende sollen in diesem Dialog aktiv mitdiskutieren. Reinhard plädierte an die Politik, rascher zu handeln und innovative Lösungen in der Landwirtschaft nicht auszubremsen, sondern wegweisende Entscheidungen zu fällen, beispielsweise zur Anwendung neuer Züchtungstechnologien.
Anschliessend sprach Jürg Hess, Präsident des Schweizer Obstverbands (SOV), über die Branchenlösung «Nachhaltigkeit Früchte». Das Thema Nachhaltigkeit sei, mit Verweis auf die Etablierung der integrierten Produktion im Obstbau, in der Obstbranche schon lange ein wichtiges Anliegen. Mit den Agrarinitiativen der letzten Jahre habe die Gesellschaft ihre hohen Ansprüche an die Obstbranche zum Ausdruck gebracht, so Hess.
Die Branchenlösung «Nachhaltigkeit Früchte» sei nun die Antwort auf diese Bedürfnisse, ohne dabei die Wirtschaftlichkeit zu vernachlässigen. Die Umwelt sei ein wertvolles Gut, das es zu schützen gelte. Als Gegenleistung brauche es eine angemessene Entlöhnung und transparente Preise. Die Aufgabe des Bundes bestände in der Vorgabe der Rahmenbedingungen – die Obstbranche solle die Ausrichtung ausarbeiten. Wichtig sei, dass alle Akteure und Akteurinnen in der Wertschöpfungskette vom Bund in die Verantwortung gezogen würden. Aktuell steht laut Hess die Ausweitung von «Nachhaltigkeit Früchte» auf Kirschen und Zwetschgen an. Geplant sei, zu einem späteren Zeitpunkt das Nachhaltigkeitsprogramm auch auf Aprikosen und Beeren auszuweiten.
Kernobstsortenprüfung
Auf dem anschliessenden Betriebsrundgang gab Samuel Cia (Abb. 1) einen Einblick in die Kernobstsortenprüfung von Agroscope und stellte die neue Apfelsorte Wurtwinning vor (s. Artikel: Wurtwinning – der «Winner» unter den neuen Apfelsorten).
Abb. 1: Samuel Cia, Sortenprüfer Kernobst, stellte die in Güttingen getestete Apfelsorte Wurtwinning aus den Niederlanden vor. (© Agroscope)
Ihre moderne Textur, die Samuel Cia als «crisp» und «crunchy» beschrieb, sei bei den Konsumierenden sehr beliebt. Bisher sei die Ertragsleistung gut, so Cia. Der Apfel ist etwa ein bis zwei Wochen nach dem Golden reif. In den ersten beiden Jahren wurden in Güttingen bei Wurtwinning eine zögerliche Ausfärbung mit entsprechend langer Ernteperiode sowie physiologische Schäden in Form von «Green Spots» beobachtet. Darunter versteht man scharf abgegrenzte, eingesunkene, grüne Flecken.
Abb. 2: Simone Bühlmann-Schütz, Apfelzüchterin bei Agroscope, stellte die neue Agroscopezüchtung Iori vor. (© Agroscope)
Simone Bühlmann-Schütz, Züchterin bei Agroscope, stellte die neue Apfelsorte Iori vor (Abb. 2). Die Früchte zeichnen sich durch eine hohe Festigkeit, eine hohe Saftigkeit und insbesondere durch ein einzigartiges, intensives süss-frisches Aroma aus. Die Bäume haben ein gesundes Laub und seien robust, so Bühlmann-Schütz. Die Sorte Iori werde als freie Sorte verfügbar sein.
Lentizellenfäule bei Birnen
Andreas Naef und Séverine Gabioud Rebeaud von Agroscope informierten über Lentizellenfäule bei Birnen (Abb. 3).
Abb. 3: Andreas Naef und Séverine Gabioud Rebeaud informierten über Lentizellenfäule bei Birnen. (© Agroscope)
Aus noch ungeklärten Gründen wurde in den letzten Jahren ein Anstieg von Lentizellenfäule festgestellt, so Naef. Mögliche Erklärungen seien schlecht platzierte Abschlussbehandlungen, eine zu späte Ernte, das Nichtvorhandensein bzw. der Verzicht auf wirksame Fungizide, Sortenunterschiede und der Klimawandel. Eine schlechte Kalziumversorgung oder Fruchthautverletzungen können zusätzliche Eintrittspforten verursachen. Für eine Infektion reichen bereits 30 Minuten Regen sowie eine Temperatur zwischen 10 und 30 °C aus. Als Sporenquellen kommen Krebsstellen, abgestorbene Rinde, Falllaub und Fruchtmumien in Frage. Um einer Infektion in Obstanlagen vorzubeugen, wurden die gängigen Hygienemassnahmen sowie eine breit wirksame Fungizidstrategie mit korrekten Abschlussbehandlungen empfohlen.
Séverine Gabioud Rebeaud führte aus, dass eine Infektion im Lager lange unentdeckt bleiben könne. Im Lager sei eine Reifeverzögerung durch eine tiefe Sauerstoffkonzentration, eine 1-MCP-Behandlung oder ein Ethylenentzug wichtig. Eine Heisswasserbehandlung verursache bei Birnen Fruchthautschäden, weshalb sie, nicht wie bei Äpfeln, als Massnahme gegen Lentizellenfäule angewendet werden könne. In Conthey (VS) führte Gabioud Rebeaud Lagerversuche mit Ozon (O3) gegen Lentizellenfäule durch. Mit der Behandlung konnte eine Reduktion des Befalls erzielt werden. Derzeit sind Ozonbehandlungen für Tafelobst in der Schweiz jedoch noch nicht zugelassen. Abzuklären ist, ob Ozon mit Pflanzenschutzmittelrückständen unerwünschte Nebenprodukte bilden könnte. Im Gegensatz zu Äpfeln wurden auf Birnen keine Phytotox-Symptome durch den Einsatz von Ozon festgestellt. Weitere Massnahmen wie Myco-Sin kurz vor der Ernte oder Ionisierung und Coating der Früchte nach der Ernte sowie der Einsatz von Pyrimethanil werden untersucht.
Erntesysteme im Vergleich
Reto Leumann (Arenenberg) stellte gemeinsam mit Tobias Stadler (Bofru AG) und Stefan Fankhauser (Produzent) Erntemaschinen vor (Abb. 4).
Abb. 4: Reto Leumann, Tobias Stadler und Stefan Fankhauser (v. l. n. r.) demonstrierten dem Publikum verschiedene Erntesysteme. (© Agroscope)
Vorgeführt wurden eine elektrische Hebebühne mit Paloxenvorrichtung sowie die Hermes-Pflückmaschine. Die Hebebühne mit Paloxenvorrichtung bietet laut Stefan Fankhauser diverse Vorteile. Seiner Erfahrung nach ist diese Hebebühne ein effizientes und sicheres Mittel, um die Baumkronen abzuernten. Mit dem automatisierten Auswechseln der vollen Paloxen kann wertvolle Zeit eingespart und die Hebebühne ohne grössere Unterbrechungen den ganzen Tag lang ausgelastet werden. Das Hermes-System, das Stalder auf seinem Betrieb nutzt, erlaubt es, Äpfel gleichzeitig unten und oben im Baum abzulesen. Die Erntemaschine besitzt zwei ausschwenkbare Arme mit Laufbändern für die Ernte am Boden. Auf der Maschine können ein bis zwei Personen die Giebelpartien ablesen. Die Maschine füllt die Paloxen ebenfalls selbstständig und tauscht die vollen mit leeren aus. Sowohl die Hebebühne als auch das Hermes-System setzen die vollen Paloxen in den Fahrgassen ab. Diese wurden in der Demonstration mit einem Knicklenker herausgeführt und auf der Strasse aneinandergereiht. Mithilfe eines bodenlosen Spezialanhängers wurden sie angefahren, eingeklemmt, angehoben und aus der Parzelle abtransportiert. Die grosse Auswahl an verschiedenen Erntesystemen ermögliche es heute jedem Betrieb, eine gute Lösung zu finden, so Leumann. Ein komplexeres System bedeutet aber auch höhere Investitionskosten. Diverse Ausstellende stellten weitere Hebebühnen und Erntemaschinen aus.
Anschliessend an den Betriebsrundgang konnten sich die Besuchenden in der Festwirtschaft verpflegen. Bei Infoständen und Plakaten, organisiert vom Arenenberg und Agroscope, konnten sich die Anwesenden zu laufenden Projekten wie Aquasan und RESO informieren sowie sortenreinen Apfelmost degustieren.