Hortikulturen, die Unterschätzten

Ab dieser Nummer werden Exponenten der Müller-Thurgau Stiftung vier- bis sechsmal im Jahr interessante Aspekte rund um die Spezialkulturen in kommentarhafter Weise aufgreifen und vertiefen. Die Meinung des Blogs entspricht nicht zwingend der Meinung der Redaktion.

Artikel von:
Lukas Bertschinger
Müller-Thurgau Stiftung
Diesen Artikel finden Sie in der Ausgabe 02 / 2024 , S. 22

In der Schweiz heissen sie «Spezialkulturen», in Deutschland «Sonderkulturen», im französischen- und englischsprachigen Raum spricht man von «horticulture» und in Südtirol sind es die Hauptkulturen. Wenn man von diesen Kulturen spricht, sind üblicherweise auch deren Verarbeitungsprodukte mit eingeschlossen. Es geht um Wertschöpfungsketten. Das wohl selbstredendste Beispiel: Wein.

Sagen wir den Spezialkulturen nun einmal «Hortikulturen», um Regionen ausserhalb der Schweiz nicht auszuschliessen. Diese Hortikulturwertschöpfungsketten sind in verschiedener Hinsicht «speziell». Ein vielfältiges Paket von Eigenschaften unterscheidet sie von anderen Bereichen der Land- und Ernährungswirtschaft und macht sie zu etwas Aussergewöhnlichem. Sie sind wertschöpfungs-, wissens- und investitionsintensiv, sie sind innovationstreibend und vielfältig und sie repräsentieren ausgesprochen unternehmerische Kontexte. Das ist nicht nur in der Schweiz so, sondern global.

Hortikulturen sind Teil von Food-Systemen, die z.B. von Früchten, Gemüsen, Beeren, Süsskartoffeln, Hopfen, Medizinal- und Gewürzpflanzen oder Speisepilzen geprägt sind. Weltweit zählt man, entgegen der schweizerischen landwirtschaftlichen Begriffsverordnung, auch die Baum- und Rebschulen zu den Hortikulturen sowie den Zierpflanzen- und Gartenbau und auch den Landschafts- und Sportplatzbau mit Gräsern, Blumen, Sträuchern, Stauden- und Ziergehölzpflanzen oder auch Ackerkulturen, die sich durch einige der obigen «speziellen» Eigenschaften auszeichnen (z.B. Quinoa oder Hanf).

Für die Schweiz ist Folgendes festzustellen (Tab.):

  • Obst-, Wein-, Gemüse- und Gartenbau erzeugen auf ca. 3.5 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche mit ca.2.5 Mrd. Franken einen Anteil von über 21 % des gesamten Produktionswerts der Schweizer Landwirtschaft (Primärproduktion inkl. Vorleistungen) von 11.7 Mrd. Franken, nur leicht hinter Fleisch (ca. 24 % für Schlachtvieh).
  • Hortikulturen produzieren pro Flächeneinheit im Vergleich zu ackerbaulichen Nutzpflanzen bis 30-mal mehr Wert und bis 3.5-mal mehr Einkommen.
  • Obst, Wein- und Gemüse machen zusammen mit Kartoffeln mit 25 % den grössten Anteil an den Konsumausgaben der Schweizer Haushalte für Nahrungsmittel aus. Fleisch besetzt mit 22 % den zweiten Platz.
  • Die Wertschöpfungswirkung der im verarbeitenden Sektor Beschäftigten ist im Falle der Hortikulturen bis doppelt so gross wie bei anderen Subbranchen wie beispielsweise die Fleischverarbeitung oder die Milchverarbeitung.
  • Hortikulturprodukte wie beispielsweise Früchte, Wein und Gemüse haben eine sehr hohe Konnektivität mit den Konsumierenden, die heutzutage ca. 40 % des gesamten Lebensmittelkonsums ausser Haus ausgeben, davon ca. 23 Mrd. Franken in Restaurants, Tendenz steigend. 
Es sind Leitprodukte in der Direktvermarkung, auf Wochenmärkten und für Gastrobetriebe.

 

Fazit

Biodiversitätverlust, Verknappung der Landressourcen, Wertschöpfungsdefizit der Landwirtschaft, Stadt-Land-Graben, Landschaftsqualität, ungesunde Ernährung – das sind keine unlösbaren Probleme. Hortikulturen bieten eine Perspektive.

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