BOMBASTISCH UND MIT WELSCHEM CHARME:
Hinter den Kulissen der «Fête des Vignerons» herrscht Hochstimmung. Die 20'000-plätzige Arena ist aufgebaut, die 5000 Darsteller und Sänger proben fast rund um die Uhr und die Gewinner der Goldmedaillen stehen fest. Die SZOW hat den Präsidenten der «Commission des Vignes» exklusiv getroffen und ihm einige Vorabinformationen zur Fête entlockt.
Die Bauleute der Firma Nüssli haben Beeindruckendes geschaffen. Mitten in Vevey ist ein Kolosseum entstanden, das fast dem römischen Vorbild die Stange halten kann. Natürlich verfügt das für 20 Vorstellungen konzipierte Amphitheater auf der Place du Marché weder über Löwenkäfige noch Gladiatorenverliesse, dennoch finden 20’000 Zuschauer Platz, ebenso die 5000 Mitwirkenden, eine ausgeklügelte Elektronik mit Surroundsound aus 400 Lautsprechern und ein LED-Boden von 870 m2. Bereits laufen die Proben, die das von Daniele Finzi Pasca ersonnene Spektakel in Szene setzen. Im Sommer dieses Jahres werden 40’0000 Zuschauer den bunten und farbenfrohen Reigen der Rebarbeit quer durch die Jahreszeiten mitverfolgen. Erstmals finden sogenannte Kantonsstage statt, an denen Delegationen aus anderen Rebkantonen dem Fest ihre Ehre erweisen.
Das Festgelände
Der Kern hinter dem Spektakel
Hinter dem Fest und seinem Spektakel steckt eine bemerkenswerte historische Ausgangslage, die in die Zeit vor Napoleon zurückführt. Schon damals waren die Hänge über dem Genfersee zwischen Lausanne und Vevey mit Reben bestockt. Die Rebleute, die im Schweisse ihres Angesichts die steilen Lagen bewirtschafteten, waren ihren Landbesitzern Untertan und deren Willkür unterworfen. Diese hatten sich in einer einflussreichen Weinbruderschaft mit dem klangvollen Namen «Confrérie des Vignerons» zusammengeschlossen, der anfänglich kein einziger Vigneron angehörte. Stattdessen bildeten adlige Gutsbesitzer, städtische Gemeinschaften, Bürgergemeinden, Exzellenzen aus Bern und hohe Staats- und Würdenträger die Confrérie. Sie bildete somit die Elite des Landstrichs ab, die das ganze geschäftliche Leben in dieser Region zu kontrollieren vermochte.
Dank der Aufklärung und ihren Auswirkungen, die in Frankreich 1789 zur Revolution führten, sahen sich auch die hiesigen Landbesitzer veranlasst, ihren Untergebenen und Angestellten ein Zückerchen zu bieten, um ihnen das Freigeistige genügend auszutreiben. Sie beschlossen, einen Wettbewerb unter den Rebarbeitern ins Leben zu rufen, in dem sie den besten Arbeiter finden und küren wollten. Rund um diese Ehrung wurde 1797 das erste Weinfest organisiert, an dem als Höhepunkt ein Festspiel zu Ehren der Winzerarbeit in den vier Jahreszeiten aufgeführt wurde. Die Bevölkerung durfte schon damals gegen Entgelt dem Spektakel beiwohnen, das nicht nur die Feld- und Rebarbeit thematisierte, sondern auch eine Lobpreisung des Vaterlands und eine Verbindung zur antiken und christlichen Mythologie anstrebte. So ehrenhaft und fast modern der als Bonussystem eingeführte Wettbewerb auch erscheinen mag, letztlich stand er im Dienst des Weins, der als direkte Folge – so die Hintergedanken der Confrérie – ebenfalls qualitativ zulegen und sich somit besser verkaufen lassen sollte. Die Idee ging für die findigen Weinbrüder auf, die Rebleute legten sich ins Zeug und pflegten die Weingärten freiwillig so gut wie noch nie. Dennoch machte ihnen die Geschichte einen Strich durch die Rechnung. Mehrere Jahrzehnte lang herrschte eine durch Napoleon angefachte Kriegsstimmung, die sich in politischen Reformen und nationalen Veränderungsprozessen niederschlug. So kam es nur in unregelmässigen Abständen zu Fortsetzung der Fête. Die mittlerweile als Alleinstellungsmerkmal angelegte Idee des «Generationenereignisses» entstand erst im 20. Jahrhundert, seit 2007 zählt der weit über die regionalen Grenzen ausstrahlende Anlass zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Noch heute wird mit Schulnoten bewertet
Was viele nicht wissen, das System zur Bewertung der besten Rebarbeiter basiert auf normalen Schulnoten. Gleichzeitig ist es äusserst komplex und detailliert. Dreimal im Jahr begutachten und bewerten Experten der «Commission des Vignes» die rund 600 Reblagen und Weingärten auf einer Fläche von 290 ha zwischen Lausanne und Lavey, somit die Weinlagen von rund 70 Besitzern im Lavaux und Chablais. Der heutige Präsident der Kommission ist Jean-François Chevalley, stolzer Selbstkelterer in der 22. Generation, der in Dézaley auf 6.5 ha vor allem Chasselas, Rheinriesling, Viognier und verschiedene rote Sorten ausbaut. Im Zuge seiner Tätigkeit ist er nun, wie er der SZOW gegenüber schmunzelnd erzählt, am Tag Winzer und in der Nacht Kommissionspräsident. Er und seine vier Experten haben insgesamt 94 angestellte Vignerons auf dem Radar, denen sie seit Jahren auf die Finger schauen. Nachdem in einem dreijährigen Turnus jeweils die besten von ihnen mit Silber- und Bronzemedaillen ausgezeichnet wurden und eine namhafte Prämie erhielten, wird die Goldmedaille nur an der Fête anlässlich der sogenannten «Krönung» vergeben. Es ist gleichsam der Ritterschlag und die wohl höchste Weihe, die ein im Lohn stehender Weinbauer erringen kann. Aufgrund mathematischer Gegebenheiten können auch mehrere Kandidaten die «Krone» holen. Wie viele es 2019 sein werden, möchte Chevalley freilich nicht verraten. «Sie werden es am 18. Juli erfahren!», meint er sibyllinisch.
Jean-François Chevalley, Präsident der «Commission des Vignes».
Bewertung nach Gramm
Bewertet werden nicht nur die Qualität der abgelieferten Trauben, sondern alle Arbeiten während des Rebjahrs. Hierzu gehört die phytosanitäre Situation der Pflanzen, das Laubmanagement, die Begrünung der Rebzeilen, die Bearbeitung des Bodens, die Verhinderung von Erosion, das Laub-/Fruchtverhältnis und das richtige Gewicht der Beeren! 2.5 bis maximal 3 Gramm darf eine Chasselastraube wiegen. Was wie ein Witz tönt, meinen Chevalley und seine Männer aber im vollen Ernst. Entsprechend pingelig sind sie. Das Einzige, das nicht bewertet wird, ist der später daraus gekelterte Wein. Denn der liegt logischerweise nicht mehr in der Verantwortung der Vignerons. Die Parameter werden in einer komplexen Rechnung zusammengestellt, wobei die Kandidaten einen Zwischenbericht erhalten, gegen den sie rekurrieren können. Wie Chevalley erklärt, wurde dies in vier Fällen gemacht. Sodann müssen die beanstandeten Parzellen ein zweites Mal begutachtet werden. In der Regel würde sich aber die Erstbewertung durchsetzen. Aufgrund der mathematischen Logik des Bewertungssystems sei es fast sicher, meint der Präsident vieldeutig, dass ein Vigneron gewinnen wird, der mindestens eine halbe Hektar Reben bearbeitet. Zu kleine Parzellen würden zu wenig Punkte ergeben. Auf die Frage, ob diese Bewertung in jedem Fall auch den besten Winzer kürt, mochte der Winzer nicht näher eingehen, ebenso wenig, wer zuoberst auf dem Treppchen stehen wird: «Ich weiss es, aber ich werde kein Wort verraten!», meint er lachend. Auch wenn für Aussenstehende das ganze Prozedere en détail nicht durchschaubar ist, selbst, wenn man die französische Sprache nicht beherrscht, wird der Besuch des Spektakels nachhaltigen Eindruck hinterlassen, verspricht Chevalley. Das ist auch für jene gut zu wissen, die bereits an einem Kantonaltag ein Ticket auf sicher haben. Die anderen müssen sich schon bald sputen, um überhaupt noch Einlass zu erhalten.