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Kaltsedimentation: fruchtigere Weine durch oenologische Massnahmen

Der Rückgang einiger Rebsorten seit Anfang der Zweitausender (wie beispielsweise dem 
Müller-Thurgau in Deutschland) und deren zurückgehender Absatz geht nicht nur auf
das Vorurteil des schlechten Images zurück. Dies kann sicherlich auch an deren einseitigem und breitgetretenem natürlichen Aromaprofil liegen. Weltweit angewandte oenologische Methoden können nicht nur bei heimischen Rebsorten Abhilfe schaffen.

Artikel von:
Johannes Burkert
Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG)
Felix Baumann
Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG)
Diesen Artikel finden Sie in der Ausgabe 07 / 2025 , S. 18

Es ist keine Neuerung, Rebsorten durch Lesezeitpunkt, Maischestandzeiten und besondere Vorklärmethoden in ihrem Aromaprofil zu verändern. Allerdings bietet sich durch die richtige Kombination und Anwendung der einzelnen Methoden eine einzigartige Möglichkeit, die Thiol-Aromastoffvorstufen in fast allen Rebsorten zu erhöhen und somit den fertigen Wein fruchtiger und exotischer zu machen. In der Provence ist es zur Gewohnheit geworden, mit Maischestandzeiten in Kombination mit Ascorbinsäuregabe und Maischeschwefelung zu arbeiten. Zusätzlich wird eine Methode namens Kaltsedimentation bzw. Stabulation angewandt. Aus der Kombination beider Methoden verspricht man sich Cassis-, Grapefruit- und Passionsfrucht-geprägte Weine, ähnlich dem Aromaprofil eines reifen Sauvignon blanc. Untersuchungen von Bonnaffoux et al. (2019) zeigen auf, dass in kühlen wie auch warmen Klimata eine Maischestandzeit von bis zu 48 h die Aromastoffvorläufer in thiolgeprägten Rebsorten fast verdreifachen kann. Zudem ist es enorm wichtig, dass ein reduktiver Ausbau bereits ab der Maischestandzeit gewährleistet ist, da manche der Vorläufer oxidationsempfindlich sind und eine spontane Angärung der Maische um jeden Preis vermieden werden sollte. Die Anreicherung der Aromastoffvorläufer für 3-Mercapto-1-hexanol (Grapefruit) und 3-Mercaptohexylacetat (Passionsfrucht) spielt hierbei die grösste Rolle. Da die Extraktion während einer Mazeration auf enzymatischen Prozessen basiert, gilt: Je wärmer die Standzeit abläuft, desto schneller und desto mehr Aromastoffvorläufer lassen sich extrahieren (Peyrot des Gachons, Tominaga & Dubourdieu, 2002). Selbst unterschiedliche Jahrgänge sind ein grosser Faktor, der die Beerenstruktur und somit die Extraktionszeiten und -mengen beeinflussen kann. Die additive Methode der Kaltsedimentation kann, je nach vorheriger Extraktion und Jahrgang, zur Steigerung der Aromastoffvorläufer beitragen. Hier zu sehen sind Steigerungen weniger Vorläufer von 18–87 % bei 1–18 Tagen Kaltsedimentation. Allerdings konnten andere Versuchsvarianten keinen Anstieg während einer Kalt­sedimentation aufweisen (Bonnaffoux et al., 2019).

Anwendung der Methodik

Die Fragen, wie diese Methodiken am besten zu kombinieren sind und auf welche Parameter in der praktischen Anwendung geachtet werden muss, werden an der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (Veitshöchheim/D) seit fast zehn Jahren erforscht. Um die getesteten Methoden nun sinnvoll und zielführend einzusetzen, muss bereits kurz vor der Lese entschieden werden, welche Trauben zu einem thiolgeprägten Wein ausgebaut werden sollen. Da die Aromastoffvorstufen der Thiole sowohl wärme- als auch oxidationsempfindlich sind, empfiehlt es sich, die Trauben morgens kalt zu lesen. Je nach Rebsorte und Pressbarkeit sollten die Trauben entrappt und gequetscht oder ausschliesslich gequetscht werden. So kann eine enzymatische Extraktion der Traubeninhaltstoffe in dem austretenden Saft erfolgen. Die anschliessende Maischestandzeit sollte mit einer Schwefelung von 50 mg/L und Ascorbinsäuregabe von 5 g/hl erfolgen – zum einen, um die mikrobiologische Flora zu unterdrücken und eine Angärung zu vermeiden, zum anderen, um die Maische möglichst reduktiv zu halten, um keine Thiolvorstufen oxidieren zu lassen. Eine Standzeit von bis zu 24 h bei kühleren Temperaturen (bis zu 12 ° C) ist anzuraten, jede weitere Temperaturerhöhung bringt ein gesteigertes Angärrisiko mit sich. Nach der anschliessenden Pressung sollte der trübe und unenzymierte Most in einen auf 8 °C heruntergekühlten Tank gegeben werden, um diesen auf die Kaltsedimentation vorzubereiten. Diese oenologische Praktik stellt den möglichst langen und grossflächigen Kontakt von Trub und Most in den Vordergrund. Aus diesem Grund darf nach der Pressung kein Klärenzym zugegeben werden. Je länger der Trub in Schwebe bleibt, desto besser. Um dies auch nach 24 h Kühlung und Lagerung noch zu gewährleisten, sollte der Most täglich bis zu drei Mal aufgerührt werden, um den bereits abgesetzten Trub wieder in Schwebe zu bringen. Die Kaltsedimentation sollte drei bis fünf Tage durchgeführt werden, da sonst Platzmangel, Kühlbedarf oder das Risiko der Angärung überhandnehmen können. Am letzten Tag sollte kein Aufrühren des Trubes mehr stattfinden, damit eine Sedimentation erfolgen kann. Der Einsatz von Enzymen im Endstadium der Kaltsedimentation ist zu empfehlen. Nachdem der erwünschte Klärgrad erreicht ist, sollte der klare Most abgezogen und in einem Gärbehältnis für die Gärung erwärmt werden. Zur anschliessenden Gärung empfiehlt sich eine Hefe mit β-Cysteinlyase­-Aktivität. Dies bewirkt die Freisetzung von an Cystein gebundenen Thiolaromastoffen, welche dann geruchsaktiv werden. Gärhänger sind zu vermeiden, da durch eine lange Gärung das Oxidationsrisiko steigt und dadurch die frisch gewonnenen Thiole oxidieren und geruchlos werden. Eine gute Nährstoffversorgung der Thiolhefe ist für die Aromenbildung essenziell. Um nach der Gärung keinerlei Aromaverluste zu erleiden, sollte sicherheitshalber direkt beim ersten Abstich sowohl geschwefelt werden als auch Ascorbinsäure zum Einsatz kommen. Auch in der weiteren Verarbeitung ist unbedingt auf einen reduktiven Weinausbau zu achten, um möglichst viele Thiole im Wein zu erhalten.

Sensorischer Vergleich

Um die Unterschiede zwischen konventioneller Methodik und den oben erwähnten Praktiken zur Aromenanreicherung auch sensorisch zu validieren, wurde eine Verkostung mit Versuchsweinen und mit in der freien Wirtschaft erhältlichen Weinen durchgeführt. Es wurden jeweils vier Müller-Thurgau-Weine, behandelt mit der besprochenen Methodik, also Mazeration und Kaltsedimentation/Stabulation (STAB), konventionell ausgebaut (KON) und in einem Verschnitt aus konventionellen und kaltsedimentierten Weinen (CUVÉE) verkostet. Die in der Abbildung dargestellten Aromaprofile sind die aus den jeweils vier Weinen einer Methode zusammengefassten Aromaeindrücke. Hierbei wurde die Variante KON als Kontrolle und Massstab genutzt. Aromatisch auffällig ist eine signifikante Reduktion von Paprikaaromen und ein deutlicher Anstieg von fruchtigen und Apfelaromen bei den Varianten STAB und CUVÉE im Vergleich zur KON. Geschmacklich signifikant ausgeprägter in Komplexität und Mundfülle zeigt sich die Kaltsedimentation (STAB), zudem noch weniger sauer und bitter als die beiden anderen Varianten. Auch im Eindruck der Süsse und dem allumfassenden Gefallen der Verkoster hebt sich die Kaltsedimentation deutlich von den anderen Varianten ab. Die Säurereduktion und somit eine korrelierende stärkere Süssewahrnehmung lässt sich durch die längere Maischestandzeit und einen daraus folgenden höheren Kaliumeintrag begründen. Die allgemein erhöhte Fruchtigkeit der Stabulationsvariante und die Komplexität lassen sich sowohl durch eine Aromavorstufenextraktion durch die Mazeration als auch durch die Kaltsedimentation erklären. Praxisversuche lassen vermuten, dass sich bei letzterem die Extraktion durch gluthationhaltige Hefenährstoffe und längere Durchführungszeit intensivieren lässt. Versuche zum chemischen Aromaprofil und den Einflüssen der Nährstoffgabe während bzw. nach der Kaltsedimentation werden aktuell durchgeführt.

Fazit

Die oenologischen Methoden der Kaltsedimentation in Kombination mit Mazeration könnte aromaschwachen bzw. uninteressanten Rebsorten ein neues Aromaprofil verleihen. Dies sorgt bereits bei manchen Betrieben für eine Renaissance der genannten Rebsorten. Zudem werden diese Methoden weltweit zur Intensivierung thiolgeprägter Rebsorten erfolgreich eingesetzt. Von äusserster Wichtigkeit bei der Anwendung bleibt eine kühle und reduktive Verarbeitung und zudem sauberes und am Morgen kühl ge­lesenes Lesegut. Nachteile wie zusätzlicher Platzbedarf und Energiekosten müssen mitberücksichtigt werden. Die nach dieser Methodik ausgebauten Weine kommen im Schnitt besser an und können, falls sie zu intensiv geraten, auch als vorteilhafter Verschnittpartner dienen.

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