Kursbericht: Zwei Tage im Zeichen der Weinsensorik
Weinkurse sind beliebt, Angebote für private Weininteressierte gibt es zuhauf. Doch welche professionellen Ausbildungsmöglichkeiten gibt es? Der Kurs «Grundlagen der Weinsensorik» bietet einen optimalen Einstieg in die Welt der Sensorik und legt den Grundstein für die sensorische Ausbildung. Unsere Redaktorin hat den Kurs besucht.
Ein gutes Glas Wein gilt für viele als Inbegriff eines entspannten Abends, für die meisten Weintrinker bleibt der Weingenuss jedoch ein Hobby. Dennoch wird gerne mit pseudofachlichen Ausdrücken aufgetrumpft. Man spricht von einem «schönen» Wein mit «intensiven» Farbtönen und einem «langen» Abgang, doch sensorisch fundiert sind die Begriffe selten. Um Fachwissen und sensorische Fähigkeiten zu erarbeiten, bedarf es einer fundierten Ausbildung und eines intensiven Trainings der eigenen Sinnesfähigkeiten.
Hier setzt der Kurs «Grundlagen der Weinsensorik» der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) an. Das Hauptziel des Kurses ist die Verbesserung des sensorischen Beurteilungsvermögens. Um ihre Wahrnehmung zu schärfen, hat die Schreiberin am zweitägigen Kurs Mitte September teilgenommen.
Die «Grundlagen der Weinsensorik»
Beim Betreten des Raumes wurde schnell klar, dass es sich um einen perfekt orchestrierten Kurs handeln würde: Sämtliche Tische waren fein säuberlich gedeckt mit diversen Kursunterlagen und dem Gläserpark, bestehend aus diversen Degustationsgläsern (Abb. 1). Hans Bättig, Sensorik-Experte, leitete den Kurs. Unterstützt wurde er durch Urs Brunner, der insbesondere im Hintergrund tätig war und für das pünktliche Bereitstellen der wohltemperierten Testweine verantwortlich zeichnete.
Abb. 1: Gläserpark mit standardisierten Gläsern. (© L. Roth-Kahrom)
Zu Beginn des Kurses hiess Bättig die Anwesenden im «sensorsichen Trainingslager» willkommen. 17 Teilnehmer waren anwesend, darunter fünf Frauen, allesamt eng mit dem Wein verbunden: Vom Händler über den Privat-Interessierten bis hin zum Produzenten und Weintechnologen, die gesamte Wertschöpfungskette vom Konsumenten bis zum professionell Weinverkaufenden war vertreten. Im Anschluss an eine kurze Vorstellungsrunde meinte Brunner vielversprechend: «Sie werden es nicht bereuen und viel Anspruchsvolles lernen.» Er sollte Recht behalten, denn was folgte, war eine geballte Ladung an Sensorik-Wissen, gepaart mit Testserien und anschliessenden Diskussionsrunden.
Schärfung der Wahrnehmung
Zuerst erfolgte ein sanfter Einstieg. Bättig erläuterte die Relevanz der persönlichen Wahrnehmung, denn sie sei es, die die Grundlage für die Sensorik darstelle. «Wahrnehmung ist immer auch ein bisschen Interpretation», so Bättig. Die Empfindung sei näher am Reiz, die Wahrnehmung sei eine Art Interpretation und an persönliche Erinnerungen geknüpft. Diese Tatsache sei wichtig, da es nicht eine richtige Wahrnehmung gebe und «wir nicht immer der gleichen Meinung sind», vermerkte Bättig und hielt fest: «Sensorik ist etwas sehr Intimes. Zwar gilt nicht das Prinzip ‘anything goes’, jedoch sind persönliche Empfindungen wichtig, wenn es darum geht, einen Wein einzuschätzen.» Mit dieser Aussage nahm er den Kursteilnehmenden umgehend den Druck, «richtige» Antworten auf Degustationsfragen geben zu müssen. Dies setzte die Stimmung für die beiden Kurstage: Jede/r war berechtigt zu seiner eigenen Aussage, niemand musste sich grämen, wenn die eigene Wahrnehmung nicht jener der Mehrheit entsprach. Geprägt durch dieses angenehme Grundklima wurden die folgenden Testserien nicht zu Prüfungen, sondern zu offenen Diskussionsrunden.
Zwei Tage, 16 Testserien, unzählige Kriterien
An zwei Kurstagen wurden in insgesamt 16 Serien jeweils zwei bis fünf Weine sensorisch bewertet und jeweils miteinander verglichen. Jede Serie beinhaltete eine eigene Aufgabenstellung, welche darauf abzielte, die korrekte Degustationstechnik zu erlernen und zu festigen sowie feinste Unterschiede zwischen den Testweinen festzustellen. Gleichsam Glas für Glas wurden die unterschiedlichen Aspekte des Weines, die verschiedenen Rebsorten und Herkunftsländer erläutert.
Der Kurs war keine klassische Vorlesung, sondern beinhaltete sowohl Wissensvermittlung als auch Praxisteile. Zum Einstieg wurde die Serie und die Aufgabenstellung vorgestellt, danach testete jede/r für sich die Weine und hielt seine Bemerkungen schriftlich fest. Im Anschluss wurden die Ergebnisse besprochen, wobei Hans Bättig detailliertes Hintergrundwissen vermittelte, gleichzeitig seine Beurteilungen erklärte und die Meinung der Kursteilnehmenden abholte. Fragen und offene Diskussionsrunden waren jederzeit möglich, so glich der Kurs einem fliessenden Mix aus Testserien, Wissensvermittlung, Fragen und Diskussionen.
Die Wahrnehmung im Gaumen
Der erste Kurshalbtag stand ganz im Zeichen des Gaumens. Eine erste Testserie, der Vergleich von zwei Weissweinen, zeigte, dass das Wissensniveau der Kursteilnehmenden bereits sehr hoch war. Die Serie zeigte aber auch, dass die Wahrnehmungen nicht bei allen Anwesenden deckungsgleich waren – so, wie es Bättig im Vorfeld bereits vorausgesagt hatte.
Ganz banal erschien in einem zweiten Schritt die Wahrnehmung der vier Grundgeschmacksarten Süsse, Säure, Salzigkeit und Bitterkeit. Doch in der Praxis zeigte sich, dass die Unterscheidung der vier identisch aussehenden Getränke in süss, sauer, salzig und bitter alles andere als offensichtlich war. Die Krux an der Wahrnehmung liegt in der Dauer der Reizaussetzung: Zuerst wird Süsses wahrgenommen, dann Saures und Salziges, noch später Bitteres. Wer also zu früh spuckt, verpasst möglicherweise gewisse Reize.
Dies spiegelt sich auch bei der Weindegustation wider: Nimmt man einen Schluck Wein in den Mund, so sollte man ihn einige Zeit lang (idealerweise sechs Sekunden) im Gaumenraum ruhen und über die ganze Zunge gleiten lassen. Dabei sollte die Verweildauer des Weines im Mund immer etwa gleich lang sein, denn nur so können das zeitliche Einsetzen sowie die Intensität der Weineigenschaften miteinander verglichen werden.
Letztlich ist die Wahrnehmung des Weines im Gaumen ein Zusammenspiel des Weichkomplexes (Süsse), der Säure und des Gerbstoffes sowie der zeitlichen Staffelung der Wahrnehmung. Auch der sogenannte «Trigeminus-Effekt» spielt eine relevante Rolle. Dieser Hirnnerv verbindet das Hirn in drei Hauptästen mit Nasenhöhle, Mundhöhle und Kaumuskel und wird dem Tastsinn zugeschrieben. So wird Alkohol brennend, Tannine trocknend, CO2 prickelnd und Glycerin «schmelzig» empfunden.
Die Rolle der Nase
Nebst dem Gaumen ist die Nase matchentscheidend bei der Weinverkostung und dem Riechen von Aromen. Folglich wurde der zweite Kurshalbtag der Nase resp. den «vier Nasen» gewidmet. Gemäss Bättig können etwa 1000 verschiedene Aromen unterschieden werden. Das sogenannte Aromarad schlüsselt unterschiedlichste Aromen nach Haupt- und Unterkategorien auf und kann die Zuordnung von nasalen Wahrnehmungen erleichtern (Abb. 2). Es sei jedoch keinesfalls so, dass einem alle Aromen in den Schoss fallen, so Bättig: «Man muss es schon mal bewusst gerochen haben», um das Aroma zu erkennen. Dies bedarf wiederkehrenden Trainings. Anders gesagt bedeutet das: üben, üben, üben.
Abb. 2: Prüfung des Geruchssinns: Wonach riecht welcher Wein?
(© L. Roth-Kahrom/SZOW).
Geübt wird anhand diverser Aromaproben und Essenzen, die in einem Aroma-Kit zusammengestellt sind. Das Aroma-Kit von Hans Bättig und Urs Brunner umfasst insgesamt 25 Aromen mit Primär-, Sekundär- wie auch Tertiäraromen. Durch wiederkehrendes Üben sollen die Aromen ähnlich wie Vokabeln gelernt und im Gehirn abgespeichert werden. Normalerweise sind die Trainingssequenzen fixer Bestandteil des Grundlagenkurse. Aufgrund der aktuellen Corona-Situation war ein Vor-Ort-Üben jedoch nicht möglich. So erhielt jeder Teilnehmende ein Aroma-Kit für zuhause. Beim Selbsttest fiel schnell auf, dass nicht alle Essenzen eindeutig oder gleich stark wahrgenommen werden konnten, einige Aromen wie beispielsweise das Veilchen wurden von einigen Teilnehmenden schlicht nicht gerochen. Bättig erklärte dies am zweiten Kurstag mit vorhandenen Lücken in der Wahrnehmung: «Alle haben ihre Löcher, niemand kann alles riechen.»
Die visuelle Wahrnehmung
Zusätzlich zur Wahrnehmung in Nase und Gaumen spielen auch optische Eindrücke eine wichtige Rolle. Zwar können durch das reine Betrachten keine Aussagen über den Geschmack getroffen werden (es sind lediglich Antizipationen möglich), jedoch können unterschiedliche Faktoren auf die Eigenschaften hindeuten. Im ungeschwenkten Glas werden Klarheit und Farbintensität, im geneigten Glas der Farbton beurteilt, was unter anderem Aufschluss über Alter, Rebsorte oder Trübungsgrad und -ursachen geben kann. Auch kann durch Beobachtung der Perlage über den CO2-Gehalt spekuliert werden. Im geschwenkten Glas wird die Viskosität beurteilt, was auf Alkohol-, Glycerin- und Restzuckergehalt schliessen lässt.
Zusammenspiel von Auge, Nase und Gaumen
Auch wenn die drei Sinne strikt gesehen einzeln arbeiten, entscheidet letztendlich doch das ganzheitliche Zusammenspiel von Auge, Nase und Gaumen über die Weinbeurteilung. So fliessen bei einer technischen Verkostung alle drei Sinneswahrnehmungen in die Bewertung mit ein. Das Auge macht den Auftakt und bewertet visuelle Reize, danach folgen Nase und schliesslich der Gaumen.
Auf einem Weinprotokoll, das am zweiten Kurstag eingehend erläutert wurde, werden sämtliche Eindrücke anhand von vorgegebenen Antwortkategorien festgehalten. Nicht nur einzelne Weine können bewertet werden, auch Vergleiche zwischen zwei oder mehreren Weinen werden möglich, da die Hauptunterscheidungskriterien offenbart werden. In mehreren Serien wurden die Degustationskriterien erklärt und anhand verschiedener Weinvergleiche eingesetzt.
Fazit: Intensivtraining der Sinne
In allen 16 Serien wurden verschiedene Aspekte der Weinkriterien beleuchtet, Weine verkostet, intensiv untersucht und die Befunde gemeinsam diskutiert. Immer wieder wurden dabei die interpersonellen Unterschiede in der Wahrnehmung aufgrund persönlicher Assoziationen deutlich. Mit jeder Serie konnte das persönliche Vertrauen in die eigene sensorische Kompetenz gestärkt werden, sodass schliesslich am Ende des Kurses alle Unterscheidungskriterien klar waren. Der Kurs wurde nicht zuletzt durch die angenehme Kursatmosphäre und das enorme Know-how von Hans Bättig getragen, so konnte er sämtliche Fragen der Teilnehmenden aus dem Effeff beantworten.
Abschliessendes Fazit: Die «Grundlagen der Weinsensorik» stillen den Wissensdurst. Der Kurs empfiehlt sich für alle Akteure im Weinsektor, die ihr Wissen vertiefen und festigen möchten.
DIE FÜNF SINNE:VON DER SENSORIK ZUR WAHRNEHMUNG
Die SZOW hat sich 2019 intensiv mit der Wahrnehmung und den fünf Sinnen auseinandergesetzt. In einer fünfteiligen Serie wurden die fünf Sinne Sehsinn, Geschmackssinn, Geruchssinn, Tastsinn und Hörsinn untersucht sowie erklärt, wie sie alle gemeinsam zur Entstehung der Wahrnehmung beitragen.