© Simonit&Sirch

Mit sanftem Schnitt zu gesunden Reben

Der sanfte Rebschnitt ist keine neue Erfindung. Bevor Mechanisierung und Rationalisierung im Rebbau Einzug gehalten haben, war er gute rebbauliche Praxis. Im Zentrum der Methode steht der ungehinderte Saftfluss in der Pflanze, von der Wurzel in die Triebe und umgekehrt. Das Ziel sind gesunde, langlebige Reben mit regelmässigem Wuchs und Ertrag. Marco Simonit und Pierpaolo Sirch, zwei Agronomen aus dem Friaul, haben vier Grundregeln definiert, die auf alle gängigen Rebschnittsysteme anwendbar sind. Hier steht die Guyoterziehung im Zentrum.

Artikel von:
Marcel Bircher
O+W Wallis-Korrespondent
Diesen Artikel finden Sie in der Ausgabe 06 / 2024 , S. 22
Die Rebe kann, im Gegensatz zu Bäumen, Wunden nicht komplett überwallen. Ihr wichtigstes Mittel, eine verletzte Stelle im Holz zu verschliessen, ist die Bildung eines Eintrocknungskegels, der umso tiefer ins Holz reicht, je grösser die Wunde ist. Das eingetrocknete Holz steht der Rebe nicht mehr als Reservespeicher zur Verfügung und sie muss die Leitbahnen um diesen Bereich herum neu organisieren. Mit jedem Schnitt ins Holz nimmt die Menge des toten Holzes zu und die Pflanze wird kontinuierlich schwächer. In heutigen Spalieranlagen wird das Bedürfnis der Rebe nach räumlicher Ausdehnung mit rigorosen Rückschnitten unterdrückt. Für die Formerhaltung nimmt man in Kauf, dass die Kulturen nach 30 Jahren an ein vorzeitiges Lebensende kommen. Die vorindustriellen Winzer waren sich des Zusammenhangs zwischen Saftfluss und Rebengesundheit bewusst und schnitten ihre Reben entsprechend; grosse Schnitte konnten sie mit ihrem Werkzeug ohnehin nicht ausführen. In einigen Weinbaugebieten haben sich die traditionellen Schnitttechniken bis heute erhalten, zum Beispiel ...