Piwi–Degustation dank neuem Format

Die Anzahl Piwi-Sorten wird zunehmend grösser, was beweist, dass der nachhaltige Weinbau im Trend liegt. Doch was taugen diese Sorten im Degu-Test? Weinakademiker Markus Hungerbühler ging zusammen mit dem in Bern und Freiburg tätigen Weinhändler Martin Maurer dieser Frage auf den Grund.


Autor_Hungerbühler Markus
Markus Hungerbühler
Weinakademiker, Bern

Pilzwiderstandsfähige Rebsorten (Piwis) bestehen schon seit mehr als 150 Jahren. Sie sind resistent gegen den Falschen und häufig auch gegen den Echten Mehltau, reifen früh aus und sind oft frostunempfindlich. Moderne Piwis, sog. Rebsorten der dritten Generation, besitzen zudem weitere Resistenzen, z. B. gegen die Schwarzfäule. Sie wachsen vielfach aufrecht, sind lockerbeerig und haben stabile Erträge. Diese innovativen Traubensorten erleichtern den nachhaltigen Rebbau in Steil- und Terrassenlagen, aber auch in kühleren Gebieten und in der Nähe oder inmitten von Siedlungen. Angesichts der veränderten Klimabedingungen mit milden Wintern, Spätfrösten und trockenen Sommern und dadurch neu aufkommenden Schädlingen treten die besonderen Eigenschaften von Piwis vermehrt in den Vordergrund. Diese neuen Rebsorten stellen eine weinbauliche Reaktion auf den Klimawandel dar. Dank einem stark reduzierten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bei Piwis können die Produktionskosten gesenkt werden. Piwis sind daher ein Beitrag zum Ausgleich zwischen Ökologie und Ökonomie eines Rebbaubetriebs. Sensorisch sind Anklänge an frühere Hybridreben kaum mehr vorhanden, die Aromen erinnern manchmal an diejenigen klassischer Rebsorten. Weissweine aus Piwis weisen oft intensive Fruchtaromen aus der Gärung auf. Rotweine haben fast immer eine kräftige Farbe und schmecken intensiv fruchtig bei eher geringer Tannin- und Säurestruktur, mit vielfach kurzem Abgang. Durch den Einsatz önologischer Mittel, z. B. durch die Wahl der verwendeten Hefe, aber auch durch die Maischestandzeit oder den Einsatz von Holz, können die Geschmacksprofile an bestehende Weinstile angenähert oder neu geschaffen werden.

Degustationspaket

Vor diesem Hintergrund stellte die Rebschule Andreas Meier & Co. in Würenlingen ein Degustationspaket mit 14 Weinen aus ebenso vielen verschiedenen neuen und älteren Piwis zusammen. Die acht weissen und sechs roten Weine kommen aber nicht in der Standardflasche von je 75 cl daher, sondern in degustationsfreundlicher Menge von je 5 cl. Die Weine stammen von Winzern aus der Schweiz, aber auch aus Deutschland, weil einige der Piwis noch nicht in der Schweiz angebaut werden. Die Namen der Produzenten der einzelnen Weine werden jedoch nicht mitgeteilt. Dadurch kann man sich bei der Verkostung auf die Charakteristiken der Rebsorten konzentrieren und die Gedanken werden nicht durch den Ruf oder die Produktionsphilosophie eines allfällig bekannten Produzenten abgelenkt. Mit dieser Auswahl will die Rebschule Andreas Meier & Co. die typischen Stile und Charakteristiken der einzelnen Piwis zeigen und bekannter machen.

Eine Degustation, zusammen mit Martin Maurer von der Weinhandlung Cantina del Mulino in Bern, zeigte die unterschiedlichen Geschmacksprofile und Stile, aber auch das mögliche Potenzial auf dem Schweizer Markt. Die meisten Weine des Degustationspakets verfügten über einen moderaten Alkoholgehalt von rund 12.5 bis 13.5 Vol.-% und stammten überwiegend aus dem Jahr 2018, einige auch aus dem Jahr 2019 und ein Muster aus dem Jahr 2020.

Neben den Weissweinen aus den Traubensorten Helios, Johanniter, Seyval blanc und Solaris beeindruckten insbesondere die nachfolgenden vier Traubensorten.

 

Degustationspaket Piwi-Rebsorten, erhältlich bei der Rebschule Andreas Meier, Würenlingen.

Calardis blanc

Calardis blanc ist eine Züchtung des JKI-Institut für Rebenzüchtung Geilweilerhof (D) und wurde im März 2020 in Deutschland als neue Sorte für Qualitätsweine zugelassen. Sie verfügt über eine Mehrfachresistenz und hohen Widerstand gegen Botrytis, was den Pflanzenschutzaufwand und das Produktionsrisiko reduziert. Diese Traubensorte ist nur wenig anfällig auf Sonnenbrand und behält während eines warmen Sommers ein moderates Mostgewicht. Mit intensiven Aromen von reifen Früchten, weissen Blüten, Blutorangen und Apfel und einer tragenden Säure zeigt das Muster einen Wein mit vollem Körper und sehr guter Balance. Martin Maurer beurteilte den Wein als sehr stimmig und attraktiv, nicht unähnlich einem hochwertigen Riesling der Kabinett-Stufe.

Divona

Als Züchtung der Forschungsanstalt Agroscope in Nyon ist Divona seit einigen Jahren auf dem Markt. Bei hoher Festigkeit gegen den Falschen Mehltau und mittlerer gegen den Echten Mehltau hat diese Rebe einen geringen Lagenanspruch. Der Wein war intensiv reiffruchtig duftend, verfügte bei einem relativ vollen Körper über eine mittlere Säure und mittellangem Abgang. Der Wein erschien uns als weich, rund und mehrheitsfähig.

Sauvitage

Gezüchtet in der Staatl. Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Weinsberg (Baden-Württemberg) verfügt der Sauvitage über eine hohe Widerstandsfähigkeit gegen den Falschen und Echten Mehltau. Zudem besitzt er eine sehr gute Beständigkeit gegen Traubenfäule. Das Weinmuster zeigte ein intensives Aroma nach Stachelbeere, Cassis und Passionsfrucht bei einer saftigen Säure und langem Abgang. Mit einem Alkoholgehalt von 13.3 Vol.-%, einem Restzuckergehalt von 12.6 g/L und einer Gesamtsäure von 5.9 g/L war das ein moderner, ausgeglichener und vollmundiger Wein. Weinhändler Maurer empfand das Aromaprofil als sehr attraktiv und empfiehlt den Sauvitage als gute Alternative zu Sauvignon blanc.

Souvignier gris

Souvignier gris wurde 1983 aus Seyval blanc und Zähringer am Staatlichen Weinbauinstitut Freiburg in Baden-Württemberg gezüchtet. Früher ging man davon aus, es sei eine Kreuzung aus Cabernet Sauvignon und Bronner. Aufgrund einer sehr guten Resistenz gegen den Falschen und einer hohen Resistenz gegen den Echten Mehltau sind nur sehr wenige Behandlungen der Reben notwendig. Da die Traube locker strukturiert ist, besteht eine geringe Empfindlichkeit gegen Botrytis. Die Weine selbst weisen in die Burgunderrichtung. Das degustierte Weinmuster zeigte bei mittlerer Intensität leichte, reiffruchtige Aromen von Orange, Melone und Bergamotte mit feiner Säure und mittlerer Länge. Der Wein wurde von uns als dezent und leicht eingestuft. Er eignet sich somit für den erfrischenden, unkomplizierten Weingenuss.

Rotweine

Bei den Rotweinen aus den Traubensorten Cabernet Cortis, Divico, Maréchal Foch und Reberger fielen vor allem die unten aufgeführten Traubensorten auf.

Léon Millot

Die Sorte Léon Millot ist bereits seit Langem etabliert, spielt aber dennoch eine Aussenseiterrolle. Sie wurde bereits 1911 am Oberlin-Institut in Colmar, Elsass, gezüchtet. Sie wird früh reif und verfügt über eine hohe Resistenz gegen den Echten und Falschen Mehltau sowie gegen Botrytis. Der Wein war reiffruchtig (vor allem schwarze Kirsche), mit Noten von Vanille, Gewürzen, blondem Tabak und Rauch und zeigte einen langen Abgang mit einer sehr guten Balance zwischen dem kräftigen Körper, der Säure und den mässigen Tanninen. Durch dieses attraktive und anspruchsvolle Profil beurteilte Maurer den Wein als hochwertigen Speisebegleiter mit gutem Verkaufspotenzial.

Prior

Prior, 1987 am Staatlichen Weinbauinstitut in Freiburg (D) gezüchtet, verfügt über eine sehr hohe Resistenz gegen den Echten und Falschen Mehltau bei hoher Frostfestigkeit. Der Wein leuchtete hellrot im Glas und duftete intensiv nach frischen Himbeeren, Kirschen und ein wenig nach Tabak. Mit einer mittleren Säure und dezenten Tanninen beurteilten wir den Wein als frisch, leicht und süffig für den unbeschwerten Genuss.

Divico

Der nach dem nicht eben erfolgreichen, helvetischen Heeresführer benannte Divico ist seit 2015 erhältlich und äusserst resistent gegen den Echten und Falschen Mehltau sowie gegen die Graufäule. Er ist eine Kreuzung von Gamaret und Bronner aus dem Züchtungsprogramm von Agroscope. Gemäss der Forschungsanstalt sind je nach den lokalen Umständen eine bis drei Pflanzenschutzbehandlungen um die Blütezeit ausreichend. Die Weine haben Ähnlichkeit mit Gamaret und ergeben bei hohem Reifegrad Weine mit hochwertigen Tanninen. Der verkostete Wein war duftig und üppig im Geschmack, mit Noten von dunklen Kirschen, Zwetschgen, Marzipan und ein wenig Vanille. Der Körper war dicht, mit saftiger Säure und leicht grünen Tanninen und verfügte über einen Abgang mit mittlerer Länge. Für Weinhändler Maurer war der Wein mit seiner Üppigkeit und noch jungen Struktur attraktiv und hochwertig und bedient damit den Trend nach vollmundigen und naturschonenden Weinen.

Trend

Die Weine des Degustationspakets gaben ein sehr gutes Bild von diesen zum Teil neuen, aber auch bereits in der Schweiz angebauten Piwi-Sorten. Auch wenn die Bekanntheit von Piwi-Sorten beim allgemeinen Publikum – im relativen Gegensatz zu weinaffinen Konsumentinnen und Konsumenten – noch nicht sehr gross ist (s. Interviews mit Fachleuten), befriedigen diese Sorten den immer steigenden Anspruch dieser Gruppe nach verantwortungsvollem Genuss durch naturnah angebaute Weine. Sie passen zu Personen, die einen «Lifestyle of health and sustainability» pflegen. Deshalb hat z. B. der deutsche Detailhändler Rewe kürzlich einen Wein aus Cabernet blanc, produziert von Reh Kendermann, in die nationale Distribution aufgenommen. Auch führt beispielsweise der Globus Luzern einen Schaumwein und einen stillen Wein aus der Traubensorte Maréchal Foch eines lokalen Produzenten im Angebot und bedient damit auch die Nachfrage nach lokalen Produkten.

Neben den Weinmustern wird eine Tabelle mit technischen Werten und je ein Informationsblatt über die Eigenschaften der jeweiligen Rebsorte mitgeliefert. Das Degustationspaket dient somit nicht nur den interessierten Winzerinnen und Winzern zur Meinungsbildung im Hinblick auf neue Pflanzungen, sondern auch den Konsumentinnen und Konsumenten zur Information über resistente Traubensorten und zum einfachen Kennenlernen von neuen Weinen. Durch neue Piwi-Züchtungen mit attraktiven Aromaprofilen kann der alten Idee von resistenten Traubensorten neuen Schwung und neues Marktpotenzial verliehen werden.

Titelbild

© Siffert/weinweltfoto.ch


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