POWER-SAATGUT SOLL REBBERGE
Eine neue Saatmischung soll Nützlinge, Pflanzenvielfalt und Farbe in relativ artenarme Rebberge bringen. Bei dem Projekt spannen Wissenschaft und Winzer zusammen – und hegen grosse Erwartungen.
Mit gesenkten Köpfen schreiten Katja Jacot und Monica Hasler durch den Rebberg in Uerikon am Zürichsee, nahe Rapperswil. Jacot ist Agronomin bei Agroscope und die wissenschaftliche Co-Leiterin des Projektes, das eine neue Artenvielfalt in die Rebberge bringen soll. Hasler ist eine von rund 40 Winzerinnen, die für das Experiment gewonnen werden konnte. Die Hälfte der Weinbauern – deren Betriebe vom Rheintal über Schaffhausen, Zürich, den Aargau, Bern, Neuenburg bis ins Waadtland verteilt liegen – betreiben in ihren Weinbergen biologischen Anbau.
Die beiden Frauen sind auf der Suche nach den ersten sichtbaren Resultaten der Aussaat von Anfang April. Und sie werden fündig in den Fahrgassen: Nach zwei Wochen Wachstum gucken winzige Keimlinge aus dem Erdreich und wenden sich der Frühlingssonne zu. Auf den ersten Blick sind es nur einzelne kleine Pflanzen. Doch wer genau hinschaut, sieht immer mehr von ihnen. Sie sind die ersten positiven Anzeichen, dass das Projekt mit dem ausgewählten Saatgut auf dem richtigen Weg ist. Die Zusammensetzung der Mischung ist das Resultat von intensiven Untersuchungen der Forschungsstationen Agroscope und dem Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL).
Eine Wespe als Waffe
Auf die Idee gekommen war Katja Jacot, als sie Rebberge im Aargau besuchte, wo bereits erste Erfahrungen mit mehrjährigen Einsaaten gesammelt wurden. «Die Resultate waren wenig befriedigend», sagt die Agronomin. Sie war jedoch überzeugt, dass wissenschaftliche Versuche in grösserem Rahmen zu anderen Ergebnissen führen würden. «Es liegt so viel Potenzial in den Rebbergen», betont sie, «man sollte diese Möglichkeit für ökologische Aufwertung nicht ungenutzt lassen.»
Bei dem Projekt geht es darum, die Fahrstreifen – bis anhin einfach Wiesen mit Gräserarten, Löwenzahn und Hahnenfuss – agrarökologisch aufzuwerten. Im neu ausgetüftelten Saatgut stecken rund 30 Pflanzenarten wie Hornklee, Flockenblumen, Wiesensalbei, Ackersenf, wilde Möhre und Esparsetten. Sie sollen die Bodenfruchtbarkeit und damit die Ernährung der Reben nachhaltig verbessern.
Die höhere Pflanzenvielfalt und Blütendichte soll Bestäuber und andere Nützlinge in den Weinberg locken und dadurch auch Schädlinge dezimieren. «Wir setzen dabei grosse Hoffnungen in die Schlupfwespe», erklärt Jacot. Das Insekt soll der Kirschessigfliege, aber auch anderen Schmarotzern den Garaus machen – oder sie zumindest dezimieren.
Arbeit nach Vorgabe
Als Agroscope auf dem Rütihof der Familie Hasler anfragte, ob die Winzer bei dem Projekt mitmachen wollten, mussten diese nicht lange überlegen. «Wir sind immer gerne bereit, Neues auszuprobieren», sagt Monica Hasler. Das Saatgut wird von OH Samen finanziert, doch die Arbeit müssen die Weinbauern selber erledigen – genau nach Vorgabe. Als erstes lockerten sie mit einer Spatenmaschine den Boden auf, dann wurde er fein gefräst und erst dann konnte das kostbare Saatgut oberflächlich ausgebracht werden. Am Schluss walzten sie den Boden noch an.
Auf dem Rütihof liegen vier Reihen Versuchsfahrstreifen, je zwei Meter breit und 200 Meter lang. Dazwischen verlaufen «normale» Grasstreifen. Pro Fahrgasse werden die Einsaaten jeweils auf 15 Quadratmetern genau analysiert und mit den spontan begrünten Fahrgassen daneben verglichen. Die Fahrgassen mussten bis anhin viermal pro Jahr gemäht werden, weil das hohe Gras den Rebstöcken in die Quere kam. Sollte sich die neue Saat wie gewünscht entwickeln, müsste man nur noch zweimal mähen, was die Arbeit der Weinbauern nicht unwesentlich erleichtern würde. «Wir erwarten, dass sich durch den vielfältigen Pflanzenbestand auch die Bodenstruktur verbessern wird», sagt die Wissenschaftlerin von Agroscope. Nicht zuletzt sollen durch die dezimierten Schädlinge und das Klima im Rebberg die Trauben allgemein gesünder heranwachsen. «Ob man das dann dem Wein anmerken wird, wage ich allerdings zu bezweifeln», meint Monica Hasler lachend. «Der Anblick soll eine Augenweide für die Spaziergänger und für unsere Kunden werden.»
Ergebnisse im Juni
Ende Juni soll eine erste Erfolgskontrolle zeigen, ob das Projekt gut unterwegs ist. Projektmitarbeiter werden alle 40 Rebbergparzellen besuchen und kontrollieren. Botaniker werden die Unterschiede zwischen spontan gewachsener und «neuer» Vegetation untersuchen. Damit alle profitieren können, werden die Ergebnisse publiziert. Die Kosten für das Projekt betragen rund eine halbe Million Franken. Finanziert wird es gemeinsam von mehreren Stiftungen.