Reduktive oder oxidative Mostbehandlung? Einfluss auf die Haltbarkeit der Weissweine

Der Einsatz von SO2 vor der Gärung wird in periodischen Abständen neu bewertet. Gegenwärtig geht die Tendenz zu einer reduktiven Mostverarbeitung mit dem Ziel, die Oxidation und Bräunung des Mosts vor Eintritt der Gärung zu unterbinden und das Aroma vor oxidativer Zerstörung zu schützen. Doch diese stark vereinfachte Lehrmeinung geht an der Realität vorbei. Sie bleibt nicht ohne Folgen für Mundgefühl und Haltbarkeit der Weissweine.


Autor_Schneider Volker
Volker Schneider
Önologe

Mitte der 1970er-Jahre versuchte man herauszufinden, wie stark man ungeschwefelte Moste belüften muss, um einen oxidativ zerstörten Wein zu erzeugen. Überraschenderweise wichen derart erhaltene Weine kaum von dem gewohnten Geschmacks- und Geruchsbild ab und wurden oft sogar besser als die Vergleichsvarianten aus nicht oxidierten Mosten bewertet. Auf diesen Erfahrungen aufbauend wurde in den 1980er-Jahren die gezielte Mostoxidation als önologisches Verfahren entwickelt. Dies geschah vor dem Hintergrund der damals zu beobachtenden Industrialisierung der Traubenverarbeitung mit starker mechanischer Belastung des Leseguts. Damit einher ging ein Anstieg des Phenolgehalts mit der Folge, dass die so hergestellten Weine zur raschen Bildung von Gerbigkeit und Altersfirne tendierten. Durch aktive Zufuhr von Sauerstoff zu den ungeschwefelten Mosten konnten die für die defizitäre Haltbarkeit verantwortlichen Phenole bereits vor der Gärung oxidiert, ausgefällt und mit dem Mosttrub abgetrennt werden. 

Die Erfahrungen mit der aktiven Mostoxidation zeigten deutlich, dass gewisse Phenole eine zentrale Rolle in der oxidativen Alterung von Weissweinen ...