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Tessiner Weinszene: weit mehr als nur Merlot

Seit über hundert Jahren ist das Tessin Sehnsuchtsland und Projektionsfläche für «Nordländer», zu denen auch die Deutschschweiz gehört. Im Rahmen einer losen Serie möchten wir uns in den kommenden Monaten diesem Kanton und seinen Spezialitäten widmen. Bereits heute wird der Merlot im Zentrum stehen, aber nicht nur. Denn in seinem Schatten haben sich auch andere Traubensorten und Weinstile spannend entwickelt.

Artikel von:
Markus Matzner
Chefredaktor O+W
Diesen Artikel finden Sie in der Ausgabe 10 / 2023 , S. 8
Noch vor dem ersten Weltkrieg geschahen im Tessin wegweisende Dinge. 1875 wurde der Gotthard-Eisenbahntunnel eröffnet, der auch dem Weinhandel im armen Südkanton einen Schub verlieh. Plötzlich waren die Grossstädte der Deutschschweiz in Reichweite und erste Tessiner Weinhäuser importierten italienische Schankweine und verkauften sie im Norden. In der Gegenrichtung strandeten Bohemians und Künstler aus halb Europa am Lago Maggiore, um hier ihre utopischen Freiheiten auszuleben und mehr oder weniger unbekleidet auf dem Monte Verità zu tanzen. Dann folgten Naturschwärmer, die in den Wäldern und Hügeln das Sosein im Dasein übten, ehe die gutbetuchte Hautevolee ihr paradiesisches Shangri-La in dieser Gegend zu finden glaubte.

Neuer Dauergast

Bereits 1904 kam ein weiterer «Gast», der sich von Anfang an sehr wohl fühlte und ebenfalls für immer blieb: der Merlot (Abb. 1). Ein junger Agronom namens Alderige Fantuzzi hatte vom Kanton den Auftrag erhalten, zur Aufarbeitung der Reblausplage eine Rebsortenanalyse und weitere Tests mit vielversprechenden Sorten durchzuführen. Neben ...