Wie weiter mit neuen Züchtungsmethoden?

Wie soll die Schweiz mit neuen Züchtungsverfahren für Pflanzen vorgehen? Der Nationalrat will diese im Gegensatz zum Ständerat nicht vom Gentech-Moratorium ausnehmen. Aber er beauftragt den Bundesrat, bis Mitte 2024 abzuklären, ob nicht-transgene Pflanzen vom Moratorium auszunehmen seien, sofern sie einen Mehrwert bieten. 


SZOW | LID
Diesen Artikel finden Sie in der Ausgabe 05 / 2022 , S. 6

Der Ständerat wäre weitergegangen, doch der Nationalrat wollte nicht schon vorbehaltlos der sogenannten Genom-Editierung (wie zum Beispiel CRISPR/Cas, s. Artikel «CRISPR/Cas in der Apfelzüchtung») Tür und Tor öffnen. Insbesondere der Schweizer Bauernverband (SBV) lobbyierte für ein etappenweises Vorgehen, möchte das Moratorium von genetisch veränderten Organismen (GVO) nicht in Frage stellen, weil dies wohl auch beim Volk derzeit nicht auf Verständnis stiesse. Der SBV hatte den Entscheid des Ständerats als Schnellschuss kritisiert und lobte den Nationalrat nun als «besonnen». Leicht zähneknirschend hat der Ständerat nun das Kompromissangebot des Grossen Rats akzeptiert.

Fünfer und Weggli

So bleibt die Schweizer Landwirtschaft weiterhin GVO-frei, dennoch hat der Bundesrat den Auftrag erhalten, bis 2024 zu prüfen, wie die neuen Züchtungsmethoden künftig geregelt werden könnten. Insbesondere soll er abklären, wie gentechnisch veränderte Organismen ohne transgenes Erbmaterial vom Moratorium ausgenommen werden können. Hierfür zuständig ist Umweltministerin Simonetta Sommaruga, die in diesem Vorgehen ebenfalls Vorteile erspäht. Denn die Optionen der neuen Züchtungsverfahren versprechen einiges. Und Sommaruga wird nun im Auftrag des Parlaments den Mehrwert für Landwirtschaft, Umwelt und Kosumierenden eruieren lassen. Damit gewinnt Bundesbern Zeit und kann auch abwarten, was der «Grosse Bruder» EU in Sachen Genomeditierung beschliesst. Denn eines dürfte klar sein: Akzeptiert die EU gewisse Formen der neuen Züchtungsmethoden, wird sich auch die Schweiz deren möglichen Vorzügen nicht verschliessen. Zu verlockend ist der Gedanke, dass man dank CRISPR/Cas Pflanzensorten gezielt züchten könnte, die viel restistenter gegen Pilzkrankheiten sind. Das würde z.B. bei den Rebsorten den Traum vieler Winzerbetriebe ermöglichen, bei den Europäersorten (wie Pinot, Sauvignon und Riesling-Silvaner) bleiben zu können, aber die Vorzüge von Piwi-Sorten zu haben. Damit würde sich auch das leidige Thema des Pflanzenschutzes entspannen. Doch bis dahin ist noch ein weiter Weg und die federführenden Verbände und Institutionen haben sich bereits auf einen Grabenkampf eingerichtet.

Bio Suisse sagt «nein»

Bio Suisse verlangt schon jetzt, dass auch CRISPR/Cas innerhalb des Gentechnikgesetzes (GTG) reguliert wird. Dass diese wie konventionelle Sorten ausserhalb des GTG geprüft würden, komme für Bio Suisse nicht in Frage, schreibt der Verband. Weil Nutzpflanzen ihre Pollen verteilen – was auch bei genomeditierten Pflanzen der Fall ist – sei eine Koexistenz in der kleinen Schweiz äusserst schwierig. Bio Suisse verlangt deshalb eine Intensivierung und Weiterentwicklung der klassischen Pflanzenzucht.

Schweizer Bauernverband spielt auf Zeit 

Beim SBV dürfte sich die derzeit ablehnende Haltung wohl noch revidieren lassen, sollten konkrete Anwendungsmöglichkeiten ihre Vorteile offenkundig ausweisen und die Risiken überschaubar sein. Wie er bereits jetzt in einer Medienmitteilung antönt, soll «ergebnisoffen geprüft werden, wie die künftigen Züchtungsmethoden geregelt werden können». Somit stellt sich nicht mehr die Frage des «ob», sondern nur noch des «wie».

 

Dank CRISPR/Cas schneller zu resistenten Apfelsorten? Eine der Hoffnungen in der Branche. (© LID)

Und die Forschung?

Wenig erstaunlich ist, dass sich die vom Horizon-Programm der EU ausgeschlossene Schweizer Forschungsszene nicht noch mehr Spielraum nehmen lassen möchte. Anlässlich eines Online-Meetings, organisiert von Swiss Food, einer Plattform von Bayer und Syngenta, äusserte sich die Molekularbiologin Teresa Koller der Universität Zürich. Sie forscht in der Schweiz an Krankheitsresistenzgenen von Weizensorten (Einstiegsbild, © ji). Sie meint: «Die Versuche sind völlig harmlos. Wenn Besucherinnen und Besucher bei uns sind, verfliegen ihre Ängste rasch.» Koller sieht in den neuen Züchtungsmethoden viel mehr eine grosse Chance und kritisiert, dass das Gentechnikgesetz dem wissenschaftlichen Fortschritt der letzten zwanzig Jahre nicht angepasst worden sei. Mittlerweile gebe es viel mehr Erfahrung, man habe das Erbgut der meisten Nutzpflanzen – so auch des komplizierten Weizens – entschlüsselt und könne es deutlich besser charakterisieren. Und die Entdeckung von CRISPR/Cas mit seinen zielgenauen Veränderungen sei ein Meilenstein gewesen. Für sie ist deshalb klar: «Die Pflanze sollte beurteilt werden, nicht die Züchtungsmethode.» Sie wies zudem darauf hin, dass man mit den neuen Methoden nun sehr viel einfacher unerwünschte Gene loswerden könne. Bisher habe man das mit klassischer, ungerichteter Mutagenese mittels Chemikalien oder Strahlung getan. Nun könne man auf neue Züchtungsmethoden setzen – wären sie denn erlaubt.     

Detlef Weigel, Direktor der Abteilung Molekularbiologie am Max-Planck-Institut für Biologie in Tübingen (D), erklärt, dass kaum eine der heutigen Nutzpflanzen noch viel gemein mit ihren Vorläufern habe. Mutationen geschehen am Laufmeter. Allein auf einem Hektar Weizen entstehen im Schnitt 40 Milliarden Mutationen. «Auch wenn für uns alles gleich aussieht, in Wirklichkeit sind es alles Mutanten. Keine Pflanze gleicht der anderen», so Weigel. Er ist deshalb anderer Meinung als der Europäische Gerichtshof, der zwischen «natürlicher» Mutation und einer durch CRISPR/Cas hervorgerufenen unterscheidet: «Eine Mutation bleibt eine Mutation.»  

Fazit

Ähnlich sehen das auch andere Forschungsinstitutionen. So zum Beispiel auch Agroscope (s. rote Box: Kommentar von Roland Peter, Leiter Forschungsbereich Pflanzenzüchtung von Agroscope). Tatsächlich wird es sich die Schweizer Gesellschaft bei der Frage der Genomeditierung kaum leisten können, abseits zu stehen und erneut eine Insel zu bilden. Gerade die letztjährigen Abstimmungen über die Agrarinitiativen haben gezeigt, dass die Vorbehalte gegenüber Pflanzenschutzmitteln gewachsen sind. Somit braucht es Antworten auf drängende Fragen und konkrete Fortschritte. Wie Obstbauer Beat Lehner an ebendieser Tagung unterstrich, brauche es derzeit fünfzehn bis zwanzig Jahre, bis eine neue Apfelsorte entwickelt sei (Abb.). Hier könnten neue Züchtungsmethoden die Realisierung bedeutend beschleunigen. Unter diesem Aspekt betrachtet ist es sicher sinnvoll, bei den Diskussionen vorne mit von der Partie zu sein. Bundesrätin Sommaruga und ihre Experten haben zwei Jahre Zeit bekommen. Mögen sie diese nutzen.

Wie Agroscope die neuen Züchtungstechnologien einschätzt – Kommentar von Roland Peter

Für einen nachhaltigen Obst- und Weinbau sind Sorteninnovationen unerlässlich. Wie bringen wir neue, dringend benötigte Eigenschaften schneller und in der richtigen Kombination in aussichtsreiche Sorten?
Züchtung kann unter Nutzung neuester molekularer Methoden und digitaler Phänotypisierungsansätze schneller und gezielter werden. Allerdings fehlt gerade bei mehrjährigen Kulturarten der «Turbo», um neu entwickelte Eigenschaften schnell in die Praxisanlagen zu bringen. Mit den «Neuen Züchtungstechnologien» wie dem Genome Editing durch CRISPR/Cas hätte die Pflanzenzüchtung eigentlich eine ganze Palette von Möglichkeiten, um gezielter und schneller voranzukommen bei vergleichbaren Risiken wie bei traditioneller Mutationszüchtung. Vorderhand wurde jedoch entschieden, dass diese Verfahren dem strengen Gentechnikgesetz unterstellt werden und somit faktisch nur in der Forschung angewendet werden können.


Meinungsumschwung
Im Parlament hat in den vergangenen Wochen ein bemerkenswertes Umdenken stattgefunden: Das Gentechnik-Moratorium wurde zwar um vier weitere Jahre verlängert, jedoch hat das Parlament eine kleine Türe aufgestossen, um neue Züchtungstechnologien genauer zu regulieren. Für nicht-transgene Ansätze, also ohne artfremdes Erbgut, sollen bis 2024 Vorschläge für eine abgestufte Regulierung ausgearbeitet und dann erneut diskutiert werden. So wird es zwar noch einige Zeit dauern, bis entschieden wird, aber diese Entwicklung ist aus Forschungssicht zu begrüssen. Einen «Innovationsschub» löst die Aussicht auf klarere Rahmenbedingungen für «Neue Züchtungstechnologien» sicher nicht aus. Es wird aber heute vermehrt über die Möglichkeiten solcher Technologien debattiert und etwas weniger über Ängste und Risiken. Ziel muss es nun sein, die Zeit auch in der Forschung zu nutzen und anhand von praktischen Beispielen weitere Daten und Erfahrungen für die öffentliche Diskussion zu liefern. Angesichts der begrenzten Forschung mit solchen Methoden in der Schweiz und des aufwendigen Prozederes für Freilandversuche wird dies auch eine beachtliche Herausforderung werden. 

 

Roland Peter, Agroscope


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