© Helmut Süss

Agri-Photovoltaik bei Spezialkulturen

Gegenwart und Zukunft sind sowohl vom Ruf nach einer gesicherten Lebensmittelproduktion als auch einer unabhängigen Energieversorgung geprägt. Mit Agri-PV werden Lebensmittelproduktion und Energieversorgung miteinander verbunden, sodass der Flächennutzungskonflikt entschärft wird respektive Synergien geschaffen werden.

Artikel von:
Markus Markstaler
Ostschweizer Fachhochschule Ost
Diesen Artikel finden Sie in der Ausgabe 11 / 2023 , S. 17

Aktuelle geopolitische Entwicklungen zeigen erneut auf, wie wichtig eine möglichst hohe Selbstversorgung ist. Während Freiflächenphotovoltaik gesellschaftlich keine Akzeptanz findet, da wertvolles Kulturland zur Nahrungsmittelproduktion verloren geht, ist mit Beginn 2022 die Agri-Photovoltaik (Agri-PV) in aller Munde.

Mit Artikel 32c der Raumplanungsver­ordnung (RPV) wurde am 1. Juli 2022 der rechtliche Rahmen auf Bundesebene geschaffen.

Kombination Nahrungsmittelproduktion und Stromerzeugung

Agri-PV ist eine kombinierte Landnutzungsform. Auf derselben Fläche kann dabei Sonnenenergie sowohl für landwirtschaftliche Pflanzenproduktion als auch für die Solarstromerzeugung genutzt werden. Im Beeren-, Obst- und Weinbau werden Solarmodule in Form einer wind- und wetterfesten Dachkonstruktion über den Kulturen angebracht. Schon jetzt sind im Obstbau die Kirschen und das Kernobst in der Deutschschweiz und im Waadtland oft mit technischen Einrichtungen wie Hagelschutznetzen und Folienüberdachungen ausgerüstet, um abiotische Schäden durch Hagel, Starkregen, Trockenheit, Hitze und starke Temperaturschwankungen zu verhindern. Frostschutzkerzen und Frostberegnungsanlagen sind weitere Investitionen zum Schutz der Kulturen gegen Frost im Frühjahr.

Hier knüpft Artikel 32c der RPV bezüglich Agri-PV an. Zulässig sind PV-Anlagen ausserhalb der Bauzone, wenn sie «Vorteile für die landwirtschaftliche Produktion bewirken oder entsprechenden Versuchs- und Forschungszwecken dienen». (S. auch Artikel «Oben Strom, unten Beeren: Photovoltaik zur Doppelnutzung», Anm. der Redaktion)

Was heisst «Vorteile für die landwirtschaftliche Produktion»? Hier können zwei Aspekte berücksichtigt werden:

  • Mehrertrag durch Abschattung.
    Dies betrifft vor allem schattenbedürf­tige Kulturen wie Himbeeren. Bei sonnenbedürftigen Kulturen hingegen entsteht eine Konkurrenzsituation zur Agri-PV in Bezug auf die Nutzung der Sonnenenergie.
  • Mehrertrag durch Ertragssicherung.
    Agri-PV verbessert nicht das Pflanzenwachstum, schützt jedoch die Kultur vor externen Einflüssen (Krankheiten, Frühjahresfrost, Trockenheit, Hitze etc.) und führt so zu einer Verringerung respektive einer Vermeidung des Ertragsausfalls. Der Mehrwert entsteht nicht in einer Saison, sondern über mehrere Jahre.

Aktuelle Agri-PV-Projekte fokussieren den Aspekt 1, wie z.B. festaufgestellte Photovoltaik bei Beerenkulturen. Ein Beispiel für Aspekt 2 ist eine dynamische Agri-PV-Anlage zur Reduktion des Ertragsausfalls bei Steinobst, Kernobst oder Reben aufgrund von Spätfrost.

 

 

Apfelanlage mit einer Agri-PV-Anlage. (© Helmut Süss)

 

Dies zeigt die Relevanz von «Versuchs- und Forschungszwecken» in Artikel 32c, da Agri-PV erst am Anfang steht. Die Ertragssicherung gewinnt auch aufgrund der nötigen Klimaanpassung in der Landwirtschaft an Bedeutung. Klimaszenarien der nahen Zukunft prognostizieren ein verstärktes und häufigeres Auftreten von Extremwetterereignissen wie Spätfrost aufgrund verfrühtem Vegetationsbeginn, Trockenheit, Hitzestress und Starkniederschlag. Die Kulturschutzfunktion einer Anlage kommt hier besonders zum Tragen.

Techniken

Es gibt unterschiedliche Bauarten von Agri-PV-Anlagen. So unterscheidet die DIN SPEC 91434 die Kategorie 1 für eine hohe Aufständerung mit einer landwirtschaftlichen Nutzung unter der PV-Anlage, geeignet für Dauerkulturen (Obst-, Wein- und Beerenbau), Kategorie 2 ist für eine bodennahe Aufständerung und eine Nutzung zwischen den PV-Reihen, z.B. für Grünlandnutzung, das in der Schweiz noch kein Thema ist.

Um Obst- und Solarstromproduktion zu kombinieren, werden die PV-Module oberhalb der Kulturen (> 2.1 m) aufgeständert. Für die Anlagenerrichtung bzw. Stahlträgererrichtung werden Schraub- oder Rammfundamente genutzt, bei denen der Rückbau später vergleichsweise einfach ist. Entsprechend ist eine Agri-PV-Anlage kein dauerhafter Eingriff in die Landschaft und kann zurückgebaut werden. Im Beeren-, Obst- und Weinbau müssen die bestehenden Stütz- und Schutzkonstruktionen entweder vollständig ersetzt oder die Aufständerung direkt darin integriert werden (Scharf et al. 2021). Im Weinbau sind die Kosten der Unterkonstruktion zudem vergleichsweise geringer, da nur auf eine Höhe von zwei bis drei Metern aufgeständert werden muss (Fraunhofer ISE 2022). Die Anlagenhöhe hängt also von der angebauten Kultur ab.

Die Pflanzen müssen trotz der Überdachung genug photosynthetisch aktive Strahlung (PAR) erhalten. Dies wird durch den Abstand zwischen den Zellen erreicht. Gängig sind bei Beeren 50 oder 60 % Lichtdurchlass. Dies ist für die Obst-, Beeren- und Weinproduktion ein wichtiger Punkt. Zu welchen Vegetationszeiten welche Aufteilung der Solarstrahlung optimal ist, werden Forschungsarbeiten für die einzelnen Kulturen und Sorten noch klären müssen.

Wirtschaftlichkeit

Lichtbedürfnisse und Anbauform unterscheiden sich stark von Kultur zu Kultur. Aussagen zum Ertrag müssen also differenziert ausfallen. Weil für die Schutzwirkung ein relativ hoher PV-Flächenanteil notwendig ist, müssen die PV-Module eine hohe Lichtdurchlässigkeit aufweisen.

In dieser Analyse wird die Leistung (Fr./ha) als Koeffizient für die Messung des Outputs verwendet. Die Leistung wird mit dem Ertrag pro Qualität x Preis pro Qualität berechnet und wird sonst auch als Erlös oder Ertrag (in Fr./ha) bezeichnet.

Die Leistungen für die ÖLN/IP-Produktion (Ökologischer Leistungsnachweis bzw. Integrierte Produktion) pro Hektar und Jahr unterscheiden sich je nach Kultur stark (Tab.).

 

 

Tab.: Leistungen pro Kultur und für Agri-PV (nur Teil Photovoltaik).

 

Die Obstproduktion kennt witterungsbedingte Ertragsschwankungen. Temperatur, Feuchtigkeit, Schädlinge und Krankheiten sowie die Situation in den Vorjahren beeinflussen die Obstproduktion und damit die Erträge stark. Von einem Jahr zum anderen können die Erträge einer Parzelle um mehr als 50 % abweichen.

Diese starken Ertragsschwankungen belasten den landwirtschaftlichen Betrieb in Bezug auf Risikoabsicherung und Investitionstätigkeit. Agri-PV kann hier unterstützen. Die Stromerträge aus Photovoltaik schwanken mit der jährlichen Strahlungsenergie, die bei rund 10 % variieren (Markstaler 2020). Die Systemkosten sind deutlich höher als bei klassischen PV-Freifeldanlagen. So sind erste Erfahrungen bei 1800 bis 2400 Fr./kWp (kWp=Nennleistung einer PV-Anlage), da einerseits eine aufwendigere Unterkonstruktion notwendig ist und andererseits ein beträchtlicher Teil der Modulfläche lichtdurchlässig ist und somit nicht zur Stromproduktion beiträgt. Durch eine vollflächige Installation kann eine Leistung in der Grössenordnung von 600 kWp/ha erreicht werden, mit einem reduzierten spezifischen Ertrag von unter 900 kWh/kWp durch eine flache Anordnung. Pro Hektar kostet die Installation einer Agri-PV-Anlage in etwa 1 bis 1.5 Mio. Fr.

Hinzu kommen die Kosten für die Energieableitung, die die Projektkosten deutlich in die Höhe treiben können, wenn beispielsweise eine lange Leitung zum Netzverknüpfungspunkt erforderlich ist oder eine zusätzliche Trafostation oder Netzverstärkung errichtet werden muss. Hier wird eine wesentliche Grundlage für die Errichtung einer Agri-PV-Anlage erkennbar. Agri-PV ist in der Nähe der Bauzone interessant mit einem naheliegenden Netzzugang und einem Objekt mit hohem Stromverbrauch für die Direktvermarktung des Stroms, d.h. Eigenverbrauch. Die Stromgestehungskosten liegen in der Grössenordnung von 14 Rp./kWh, was besonders für den Eigenverbrauch interessant ist. Mit Agri-PV von einer Hektar können ca. 120 Haushalte mit Strom versorgt werden.

 

 

Agri-PV-Anlagen können Ertragsschwankungen der Betriebe abfedern. (© Helmut Süss)

 

Die Zusammensetzung der Kosten für die Produktion von Beeren, Obst und Reben und die Produktion von Strom sind sehr unterschiedlich. Bei Äpfeln zum Beispiel machen die Arbeitskosten 44 % der totalen Produktionskosten, die Abschreibung der Obstanlage und Infrastruktur (Investitionskosten) 22 %, die Sachkosten 17 %, die Maschinen- und Gerätekosten 15 % und weitere Kosten 2 % aus. Bei einer Agri-PV-Stromanlage werden über 95 % der Kosten durch die Infrastruktur der Anlage verursacht. Die Wartungs- und weitere Sachkosten sind dementsprechend sehr tief. Mit dem Erlös aus den Agri-PV-Anlagen werden also nicht die Arbeitsstunden der Betriebsleitenden oder Arbeitskräfte des Betriebs entlöhnt wie in der Beeren-, Obst- und Rebenproduktion, sondern die Erlöse dienen der Abschreibungen der Anlagen.

Mit dem Erlös aus dem Stromverkauf könnten sich Beeren-, Obst- und Weinbetriebe differenzieren und den Jahresumsatz unabhängig von Klima, Gesundheit der Obstanlage und Preisniveau der Ernte optimieren.

Werden die Agri-PV-Anlagen als Witterungsschutz verwendet, können sie gewissen Risiken wie Hagelschäden, Regen, Sonnenbrand oder Frost vorbeugen und dementsprechend die Erträge stabilisieren. Dies hängt aber auch von der Art und Technik der Agri-PV-Anlage ab. Nachteilig für die Beeren-, Obst- und Weinbauproduktion ist jedoch die reduzierte Photosyntheseleistung, was ein Risiko in Sachen Qualitäts- und Ertragsverlust darstellt.

Weiterer Forschungsbedarf nötig

Agri-PV steht derzeit noch am Anfang und es sind einige Innovationen erforderlich, um die Anlagen leichter und flexibler zu gestalten und für tragbare Investitionskosten zu sorgen.

Die vielfältigen Auswirkungen der Überdachung auf die verschiedenen Kulturen sowie Sorten müssen weiter untersucht werden, auch hinsichtlich der Klimaanpassung in der Landwirtschaft. Zum Beispiel ertragen Himbeeren die Produktion mit Agri-PV gut, während Erdbeeren grössere Qualitäts- und Ertragseinbussen aufzeigen.

Literatur

  • Fraunhofer I. S. E. (Hrsg.), 2022: Agri-Photovoltaik: Chance für Landwirtschaft und Energiewende: Ein Leitfaden für Deutschland. Stand April 2022.
  • Markstaler M., 2020: Photovoltaik für Ingenieure. Theorie und Anwendung für dezentrale Energiesystemberechnung mit Python. BoD.
  • Scharf J. et al., 2021: Agri-Photovoltaik – Stand und offene Fragen. Berichte aus dem TFZ 73.

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