Innovativer Pflanzenschutz bei Kirschen
An der Breitenhoftagung 2022 wurden die bisherigen Ergebnisse des Projekts «Innovativer Pflanzenschutz
bei Kirschen» vorgestellt.
Im Jahr 2017 trat der Nationale Aktionsplan Pflanzenschutzmittel in Kraft, der auf eine Risikoreduktion und nachhaltige Anwendung von Pflanzenschutzmitteln abzielt. Teil dieses Aktionsplans ist der Anhang 9.1 mit einer Liste von Pflanzenschutzmitteln mit besonderem Risikopotenzial. Die Anwendung dieser Wirkstoffe soll bis 2027 um 30 % reduziert werden. Obstproduzentinnen und -produzenten können seit 2018 beim Verzicht auf Insektizide und Fungizide aus dieser Liste Ressourceneffizienzbeiträge (REB) beantragen. Die Beteiligung an diesem Programm ist bisher sehr gering, da den Produzierenden abgesicherte Informationen zu Wirkung und Wirtschaftlichkeit der alternativen Pflanzenschutzstrategien fehlen. Eine weitere Schwierigkeit sind die Vorgaben des Handels bezüglich Mehrfachrückständen.
Zur Bewältigung dieser Herausforderungen hat Agroscope mit Unterstützung der Kantone Luzern, Schwyz und Zug Anfang 2019 das Projekt «Innovativer Pflanzenschutz bei Kirschen» lanciert. Projektziel ist die Entwicklung innovativer Pflanzenschutzstrategien, die sowohl die Vorgaben für Ressourceneffizienzbeiträge und die Forderungen des Handels (Anzahl Rückstände) erfüllen als auch eine wirtschaftliche Produktion von Qualitätsobst gewährleisten. Das Projekt besteht aus den drei Teilprojekten 1) Strategieversuche am Breitenhof, 2) Begleitung von Pilotbetrieben und 3) Wissenstransfer.
Versuche mit REB-konformen Pflanzenschutzstrategien
Im Rahmen des Teilprojekts 1 wurden am Agroscope Steinobstzentrum Breitenhof REB-konforme Pflanzenschutzstrategien auf Kirschen geprüft und bezüglich Wirkung auf Schadorganismen, Ertrag und Rückstandsrisiko ausgewertet.
Versuche in den Jahren 2019 und 2020 auf der Sorte Carlotta ergaben, dass eine REB-konforme Fungizidstrategie mit Delan (Wirkstoff [WS] Dithianon) und Prolectus (WS Fenpyrazamin) bis Ende Blüte, gefolgt von den rückstandsirrelevanten Fungiziden
MycoSin (WS Schwefelsaure Tonerde und Schachtelhalmextrakt) und Schwefel, selbst bei starkem Befall eine mindestens so gute Wirkung gegen Schrotschuss und Fruchtmonilia haben wie eine Strategie mit Cercobin (WS Thiophanatemethyl) bis Ende Blüte, gefolgt von Flint (WS Trifloxystrobin). Im Nachblütebereich zeigten auch die im REB-Programm zulässigen, chemisch-synthetischen Fungizide Flint und Moon Privilege (WS Fluopyram) eine gute Wirkung, diese können aber mit grosser Wahrscheinlichkeit als Rückstände in den Kirschen nachgewiesen werden. MycoSin und Schwefel können allerdings auf den Früchten einen sichtbaren Spritzbelag hinterlassen, was bei Produktion unter Folie und Verkauf ohne Wasser-Sortierung zu einem optischen Problem werden kann.
Abb. 1: REB-konforme Fungizistrategien 2021 auf Sweetheart.
Als Alternative zu MycoSin wurde 2021 ein Versuch mit Armi-carb (WS Kalium-Bicarbonat) auf der moniliaanfälligen Sorte Sweetheart durchgeführt. Drei REB-konforme Fungizidstrategien wurden mit einer Kontrolle ohne Fungizideinsatz verglichen (Abb. 1), wobei die Folienabdeckung in allen Verfahren nach der Blüte geschlossen wurde. Wie Abbildung 2 zeigt, gab es nur einen wenig aussagekräftigen, schwachen Blütenmoniliabefall (2.3 % Befall in der Kontrolle ohne Fungizide).
Abb. 2: Blüten- und Fruchtmoniliabefall sowie Schrotschuss auf Sweetheart 2021.
Der feuchte Sommer hat die Ausbreitung der Pilzkrankheiten dann aber begünstigt, trotz frühem Folienschluss. So hatten die unbehandelten Kontrollbäume Mitte Juli 25 % Schrotschussbefall auf den Blättern und 61 % Moniliabefall auf den Früchten. Der Befall mit diesen Krankheiten konnte mit den drei REB-Fungizidstrategien statistisch signifikant reduziert werden, wobei die Wirkung aber unter den für Praxistauglichkeit erwünschten 80 % blieb. Fruchtqualitätseigenschaften wurden wegen dem starken Fruchtmoniliabefall nicht weiter untersucht. Hingegen wurden die Früchte auf Rückstände analysiert. Erfreulicherweise konnten keine Fungizide nachgewiesen werden. Die einheitlich eingesetzten Insektizide Movento (WS Spirotetramat, 09.05.2021), Gazelle SG (WS Acetamiprid, 24.06 und 06.07.2021) und Audienz (WS Spinosad, 12.07.2021) gegen Blattläuse, Kirschenfliege und Kirschessigfliege (KEF) waren allerdings alle nachweisbar. Die gemessenen Werte lagen aber deutlich unter dem gesetzlich zulässigen Rückstandshöchstgehalt.
Strategieversuche mit Folie
In einem weiteren Versuch am Breitenhof wurde 2021 die Auswirkung des Zeitpunkts der Folienschliessung untersucht, und zwar auf der Sorte Penny.
Trotz Überdachung unmittelbar nach der Blüte konnte keine gute Wirkung gegen Fruchtmonilia erzielt werden. Blattläuse, Kirschessig- und Kirschenfliegen wurden hingegen zufriedenstellend reguliert. Allerdings wurden auch hier die eingesetzten Insektizid-Wirkstoffe bei der Ernte nachgewiesen. Dieser Versuch wird 2022 wiederholt. In einem Teil der Anlage wird die Folie bereits vor der Blüte geschlossen, im anderen zirka drei Wochen nach der Blüte. Erhebungen zur Blütenmonilia zeigten 2022 einen deutlich geringeren Befall unter der Folie. Ob die frühe Folienschliessung auch gegen Fruchtmonilia und Schrotschuss eine positive Wirkung zeigt, wird in der laufenden Saison validiert.
Versuch zur Blattlausbekämpfung
In den Jahren 2019 und 2020 zeigte die Volleinnetzung in Kombination mit einer REB-konformen Pflanzenschutzstrategie in Praxisanlagen und in Agroscope-Versuchsanlagen eine zufriedenstellende Wirkung gegen die Kirschenfliege und die KEF, allerdings mit dem bereits erwähnten Nachteil bezüglich nachweisbarer Rückstände. Die Regulierung von Blattläusen muss im REB-Programm ohne Pirimicarb erfolgen. Da auch die Zukunft von Acetamiprid unsicher ist, wurde 2021 in den Sorten Kordia, Merchant und Sweetheart ein Versuch mit Teppeki (WS Flonicamid) und Weissöl (WS Paraffinöl) durchgeführt. Der Blattlausdruck Anfang Juni war sehr hoch: Der Befall in der unbehandelten Kontrolle lag bei über 70 %. Der zweimalige Einsatz von Teppeki nach der Blüte und während der Fruchtentwicklung reduzierte den Befall um fast 90 %. Immerhin noch 60 % Wirkung zeigte eine Austriebsbehandlung mit Pa-raffinöl kombiniert mit einer Behandlung während der Fruchtentwicklung mit Teppeki. Ungenügend war hingegen die Wirkung einer einmaligen Nachblütebehandlung mit Teppeki. Während das Paraffinöl zu keinen nachweisbaren Rückständen führte, konnte Flonicamid in allen Verfahren gefunden werden.
Rückstände auf Kirschen
Im Teilprojekt 2 werden Zentralschweizer Kirschenproduzentinnen und -produzenten, die sich am Projekt beteiligen, durch die kantonalen Fachstellen und Agroscope-Pflanzenschutzspezialisten begleitet. Dies umfasst eine Pflanzenschutzberatung und eine Analyse der Früchte aus Parzellen mit REB-konformem Pflanzenschutz hinsichtlich Rückständen. Im Zeitraum von 2019 bis 2021 wurden so insgesamt 30 Kirschenproben aus Praxisanlagen und aus Agroscope-Versuchsanlagen untersucht (Abb. 3).
Abb. 3: Auslastung der Rückstandshöchstgehalte (RHG) auf Kirschen
2019–2021.
Tendenziell wurden auf frühen Sorten mehr Rückstände nachgewiesen als auf späten. In den Proben immer nachweisbar war der Insektizid-Wirkstoff Acetamiprid (Gazelle SG, Oryx Pro, Pistol). Die Insektizide Spirotetramat (Movento SC), Flonicamid (Teppeki) und Spinosad (Audienz, Elvis) wurden in rund 60 % der Proben, bei denen die Wirkstoffe zum Einsatz kamen, gefunden. Das häufige Auftreten von Acetamiprid- und Spinosad-Rückständen ist auf deren späten Einsatz kurz vor der Ernte zurückzuführen. Basierend auf Notfallzulassungen konnten Spinosad und Acetamiprid in den vergangenen Jahren bei nachweislichem Auftreten der KEF bis eine Woche vor der Ernte eingesetzt werden. Bei den Fungiziden konnten Trifloxystrobin (Flint, Tega) und Thiophanatemethyl (Cercobin) am häufigsten nachgewiesen werden. Mit Ausnahme von einer Probe wurden die gesetzlichen Höchstwerte immer eingehalten. Die Überschreitung des Höchstgehaltes betraf den Wirkstoff Thiophantemethyl aus dem Einsatz von Cercobin. Dieses Fungizid darf zukünftig nicht mehr auf Kirschen angewendet werden, da es eine Aufbrauchfrist bis 31. August 2022 hat.
Neben den gesetzlichen Höchstmengen müssen bei Lieferung an den Grosshandel auch die SwissGAP-Anforderungen für Mehrfachrückstände erfüllt werden. Diese geben vor, dass auf Kirschen nicht mehr als vier Rückstände (über 0.01 mg/kg) gefunden werden dürfen. Bei einer Kirschenprobe aus einer Versuchsanlage und bei zwei Proben aus Praxisanlagen wurden fünf Rückstände (SwissGAP-Sensibilisierungsbereich) nachgewiesen (Abb. 4). Insgesamt entspricht dies 10 % aller analysierten Proben. Gleichfalls erwiesen sich 10 % der analysierten Proben aber als rückstandsfrei.
Abb. 4: Mehrfachrückstände auf 30 Kirschenproben aus Versuchs- und
Praxisbetrieben (2019–2021).
Fazit und Ausblick
Die am Programm mit REB-konformem Pflanzenschutz beteiligten Produktionsbetriebe setzten weniger Wirkstoffe ein als bisher und reduzierten auch die Applikationshäufigkeit. Auf Wirkstoffe mit besonderem Risikopotenzial wurde ganz verzichtet. Mit den angewendeten, REB-konformen Pflanzenschutzstrategien gelingt bei Volleinnetzung mit Insektenschutznetz eine zufriedenstellende Bekämpfung der Fruchtfliegen. Problematischer ist hingegen die Bekämpfung von Pilzkrankheiten und Blattläusen in Jahren mit starkem Befall. Bisherige Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine frühe Folienabdeckung zur Reduzierung von Pilzkrankheiten beitragen kann. Eine frühe Folienschliessung ist allerdings riskant, da die Last später Schneefälle die Folie und die Stützkonstruktion beschädigen kann und kurzfristiges Wiederöffnen nicht immer möglich ist. Die grösste Herausforderung stellen aber die Forderungen des Handels bezüglich Reduktion der nachweisbaren Rückstände dar. Die Rückstände der Insektizide lagen immer unterhalb des gesetzlichen Höchstgehalts, waren aber oft nachweisbar (über 0.01 mg/kg). Dies wird von vielen Konsumentinnen und Konsumenten und vom Handel als Problem wahrgenommen, auch wenn die eingesetzten Wirkstoffe kein besonderes Risikopotenzial gemäss Anhang 9.1 des Nationalen Aktionsplans Pflanzenschutzmittel haben.
In einzelnen Praxisanlagen sind zunehmend löchrige Blätter beobachtet worden. Oft lässt sich anhand der Symptome nicht bestimmen, ob die Ursache der Schrotschusspilz Clasterosporium carpophilum oder das Bakterium Pseudomonas syringae ist. Im Laufe dieses Jahres werden Blattproben mit Symptomen untersucht, um den Schaderreger zu identifizieren. Dadurch soll abgeklärt werden, inwiefern die abgeänderten Pflanzenschutzstrategien zu einer Zunahme von Schrotschuss führen.
Für das Jahr 2022 sind erneut Rückstandsanalysen auf den Praxis- und Versuchsbetrieben und die Durchführung zweier Pflanzenschutzversuche am Breitenhof geplant. Im weiteren Projektverlauf wird ein noch aktiverer Austausch mit den Produktionsbetrieben angestrebt, zur jährlichen Optimierung der Strategien. Bis Projektende (2024) werden die neuen Erkenntnisse an die Steinobstbranche weitergegeben und auch eine betriebswirtschaftliche Bewertung der Strategien durchgeführt.
Dank
Wir bedanken uns bei den Kantonen Luzern, Zug und Schwyz für die finanzielle Unterstützung des Projekts und bei den beteiligten Betrieben für die gute Zusammenarbeit.