«Die Forschung muss sich nach den 
Wünschen des Marktes richten»

Der Präsident des Schweizer Obstverbands (SOV), Jürg Hess, strahlte anlässlich der Güttinger-Tagung viel Optimismus und Zuversicht aus. Das Obstjahr 2020 kann sich bislang sehen lassen.


Autor_Matzner Markus
Markus Matzner
Chefredaktor Fachzeitschrift Obst- und Weinbau

SZOW: Jürg Hess, herzliche Gratulation zur Wahl zum SOV-Präsidenten. Was reizt Sie speziell an dieser Herausforderung und wo möchten Sie Zeichen setzen?

Jürg Hess: Ich engagiere mich schon seit einiger Zeit im Vorstand des Obstverbands. Die letzten acht Jahre war ich Vizepräsident. Von da her kenne ich den Verband relativ gut. Die Obstbranche als solche ist interessant und fasziniert mich gleichermassen, da man sich in dieser landwirtschaftlichen Produktionsrichtung sehr nach dem Markt ausrichtet. Die Obstbranche richtet sich nicht prioritär nach den Direktzahlungen, sondern die Wertschöpfung soll und muss am Markt geschehen. Diese Stossrichtung gefällt mir und entspricht auch ganz meiner Denkweise. Persönlich bin ich felsenfest überzeugt, dass wir einen starken, intakten und agilen Branchenverband brauchen, der sich um all jene Anliegen kümmert, die der einzelne Produzent nicht wahrnehmen kann.

Die Obstbranche hat im Gegensatz zur Weinbranche von der Corona-Krise profitiert. Die Nachfrage ist gerade bei den Hofläden sprunghaft gestiegen, teilweise wurden Bauernfamilien förmlich überrannt. Was tut der SOV, um diesen Trend nicht abflauen zu lassen?

Tatsächlich war die Nachfrage während des Lockdowns fast sprunghaft angestiegen. In diesen Monaten stieg der Mehrkonsum von unseren einheimischen Früchten um bis zu 30 %. Unterstützt wurde dieses Konsumverhalten sicher auch durch die Tatsache, dass, bedingt durch die Grenzschliessungen, der Einkauftourismus verunmöglicht wurde. Momentan überarbeiten wir unser Basiskommunikationskonzept. Viele Mitglieder waren der Meinung, dass Barry und Hans (der Sennenhund und die Gans, die in vielen Werbespots für Früchte warben, Anm. d. Red.) nach über zehn Jahren im Einsatz nun ausgedient haben. Grundsätzlich möchten wir etwas frischer daherkommen und ehrlich aufzeigen, was wir machen.

Schon bald sind alle wichtigen Obstarten geerntet, noch fehlt das Kernobst. Was erwarten Sie da?

Diese Jahr steht eine gute Kernobsternte bevor, die relativ marktkonform ist. Gemäss Bavendorf’scher Schätzmethode gehen wir von einer etwa um 5 % höheren Ernte aus als letztes Jahr. Auch haben wir dieses Jahr keine Übermengen von der letzten Vermarktungskampagne respektiv vom letzten Jahr. Wenn wir nun den Corona-bedingten Zug im Geschäft einigermassen aufrechterhalten können, dann sollte sich die Angebots- mit der Nachfragesituation decken, was optimal wäre.

An der Güttinger-Tagung haben Sie den SOV in Gegnerschaft zur Trinkwasser- und Pestizidinitiative positioniert. Gemeinsam mit Economiesuisse und im Rahmen der IG Zukunft Pflanzenschutz sollen diese bekämpft werden. Was sind die Gründe, dass sich der SOV so dezidiert auf die Seite der Pflanzenschutzmittelindustrie stellt und damit gegen breite Konsumentenkreise antritt, die letztlich auch Zielgruppen des SOV sind?

Der Schweizer Obstverband nimmt die Konsumentenanliegen sehr ernst. Ich möchte in Erinnerung rufen, dass auch die Konsumentenorganisationen in der IG Zukunft Pflanzenschutz vertreten sind. Ich bin der Meinung, dass die Diskussionen um diese zwei sehr extremen und auch für die Mehrheit der schweizerischen Landwirtschaft schädlichen Pflanzenschutzinitiativen wie auch die Diskussionen im Parlament zur parlamentarischen Initiative 19.475, die per Gesetz bis ins Jahr 2027 die Risiken im Zusammenhang mit dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln um 50 % reduzieren will, ihre Spuren hinterlassen werden. Wir müssen die Anliegen ernst nehmen, genau hinschauen, Probleme analysieren und anschliessend umsetzbare Lösungsansätze erarbeiten.

Ich möchte auch unterstreichen, dass wir in den Spezialkulturen, insbesondere im Obst- und Beerenbau, auch in Zukunft auf Pflanzenschutzmittel angewiesen sein werden. Wahrscheinlich werden es andere Produkte sein, aber wenn wir nicht mehr Food Waste produzieren und den Konsum hochhalten wollen, dann müssen unsere Früchte von hervorragender Qualität sein. Schlussendlich entscheidet der Konsument an der Verkaufsfront, welches Produkt in welcher Qualität er kauft und damit zuletzt auch, wohin sich unsere Produktion verschieben bzw. wie sie sich weiterentwickeln wird.

Der Thurgauer Jürg Hess (geb. 1965) ist seit dem 3. April Präsident des Schweizer Obstverbands (SOV). Er entstammt einer politisch aktiven Familie – schon seit Grossvater politisierte im Nationalrat – und führt zusammen mit seiner Frau Corina seinen 40 Hektar-Betrieb in Roggwil (TG). Neben Obstbau (14 ha Kernobst) betreibt er auch Milchwirtschaft und Ackerbau. Bevor er zum SOV-Präsident gewählt wurde, war er schon acht Jahre Vizepräsident. Er kennt somit die Gepflogenheiten des Marktes und der Produzenten bestens.


Sie haben es wahrscheinlich auch mitbekommen: Fenaco und FiBL gehen eine strategische Partnerschaft ein, um eine ökologischere Landwirtschaft anzupeilen (hier zum Artikel). Ist das nicht ein weiteres Zeichen, dass die Anliegen der oben erwähnten Initiativen irgendwie berücksichtigt werden müssen?

Es steht mir nicht an, die Strategie der Fenaco zu kommentieren. Wir vom Obstverband haben Kenntnis von dieser Absicht, möchten auch den Teil vom Markt befriedigen, der noch mehr Ökologie wünscht.

Der Obstverband ist ebenfalls am Aufbau einer Mehrwertstrategie für unsere Branche und hat diesbezüglich zusammen mit Agroscope schon einige Berechnungen angestellt.

Wie ich bereits erwähnt habe, werden diese Initiativen ihre Spuren hinterlassen und es gilt, gangbare Lösungen zu suchen. Mit der Mehrwertstrategie möchten wir vom Markt diese ökologischen Mehrleistungen abgegolten haben.


Sie haben die Wichtigkeit innovativer Forschung, zum Beispiel die Züchtung robuster Sorten und die Zusammenarbeit mit den Playern, erwähnt. Was tut der SOV, um den Produkten der Forschung in der Praxis zum Durchbruch zu verhelfen? Was kann er überhaupt als nationaler Verband tun?

Es ist nicht die Forschung, die sagen kann, was am Markt verkauft werden soll. Es ist umgekehrt: Der Markt respektiv der Konsument entscheidet, was gekauft wird. Somit entscheidet er, wie sich unsere Produktion und die Forschung weiterentwickeln werden. Für mich ist klar, dass sich auch die Forschung in gewissem Mass nach den Wünschen des Markts richten muss.


Im Weinbau sind die Mentalitätsunterschiede zwischen Deutsch- und Westschweizern häufig ein Thema. Wie sieht es bei den Obstproduzenten aus? Kann hier leichter ein politischer Konsens gefunden werden?

Unser Verband ist stets bemüht, sich gleichermassen für seine Mitglieder einzusetzen, unabhängig, ob sie etwas mehr im Westen oder im Osten von unserem Land wohnen. Dies wird auch durch die Vorstandsmitglieder so zelebriert, mitgetragen und umgesetzt. Alle fünf grösseren Anbauregionen sind mit einem Produzenten im Vorstand vertreten. Ich verspüre meistens keinen Röstigraben und wir sind immer bemüht, mehrheitsfähige Lösungen zu suchen.


Das im Aufbau begriffene Kompetenznetzwerk Obst und Beeren mit Agroscope, dem SOV und allenfalls weiteren Partnern soll Forschung, Beratung und Praxis näher zusammenbringen. Wie weit sind die Pläne dafür gediehen? Was sind die ersten Ziele?

Es zeichnen sich mögliche Lösungsansätze respektiv erste Organisationsformen ab. Noch diesen Herbst soll ein weiterer Workshop dazu beitragen, mögliche Zusammenarbeitsformen zu konkretisieren.


Bleiben wir bei Agroscope: Die Wogen über die strategischen Ausrichtungen und die Verschiebung namhafter Teile gegen Westen sind abgeflacht. Dennoch die Frage an einen Thurgauer: Wie sehen Sie den Weg, den Agroscope eingeschlagen hat?

Der Ansatz, dass grundsätzlich die für die Forschung vorhandenen Mittel in erster Linie für die Forschungsarbeit und nicht für die Infrastruktur eingesetzt wird, ist zu begrüssen. Von da her macht eine gewisse Zentralisation sicher Sinn. Ob der Standort Posieux der Beste ist, möchte ich nicht weiter kommentieren. Für mich hätten noch andere Orte durchaus Sinn gemacht. Wenn Sie mich als Thurgauer Obstbauer fragen, dann bin ich froh, dass wir unseren Standort Güttingen behalten können. Dieser Betrieb respektiv die Zusammenarbeit, wie sie gelebt wird, ist sehr positiv. Wir haben hier ein gutes Beispiel, wie an einem Standort mit wenig Bürokratie relativ schnell praxisnahe Versuche im Obst- und Beerenbau angelegt werden können.


Zurück zum SOV: Was sind die wichtigen Etappen, die Sie mit dem Verband erreichen möchten?

Nächstes Jahr stehen wichtige politische Entscheide an, die viele Ressourcen binden werden. Es gilt, die zwei für uns sehr schädlichen Abstimmungen zur Trinkwasser- und Pestizid-Initiative zu gewinnen. Im Weiteren wird eine neue Marketingkampagne gestartet. Hier laufen die Vorbereitungsarbeiten auf Hochtouren. Unsere Mehrwertstrategie, die wir auf Stufe Vorstand schon mehrmals diskutiert haben, müssen wir weiter vorantreiben und diesbezüglich die nächsten Schritte definieren.

Die Obstbranche ist sehr wohl bereit, sich weiter zu entwickeln. Wir nehmen die ganzen Diskussionen rund um den Pflanzen- und Gewässerschutz, aber auch jene, die das Klima betreffen ernst und möchten mithelfen, pragmatische und machbare Lösungsansätze zu entwickeln.

Dieser noch ökologischere Obstbau hat aber seinen Preis und die Mehrkosten müssen unbedingt vom Markt abgegolten werden.