© B. Kämpfen

«Mähen ist bei invasiven Arten keine nachhaltige Lösung»

Invasive Neophyten können schnell problematisch werden. Verbreiten sie sich ungehindert, können sie einheimische Arten verdrängen. Was man dagegen tun kann und wo die Probleme liegen, erklärt «Neophyten-Jäger» Benjamin Kämpfen.

Diesen Artikel finden Sie in der Ausgabe 06 / 2023 , S. 10

Obst+Wein: Benjamin Kämpfen, Sie sind, salopp gesagt, ein Neophyten-Jäger. Was kann man sich darunter vorstellen?
Benjamin Kämpfen: Manchmal arbeite ich ganz konkret im Feld, bin am Absuchen und Entfernen der invasiven Neophyten. In den meisten Fällen aber bin ich beratend tätig und unterstütze hauptsächlich Gemeinden bei der Erarbeitung von Strategien und Lösungen im Bereich Neophyten.

Der Begriff Neophyt ist seit einigen Jahren in aller Munde, besonders mit dem zusätzlichen Begriff «invasiv». Was heisst das konkret und gibt es auch harmlose Neophyten?
Ja, die allermeisten Neophyten sind harmlos – dazu gehören viele Kultur- und Gartenpflanzen. Diese vermehren sich nicht oder in nur sehr geringem Ausmass selbstständig und verursachen deshalb keine Probleme. Der Begriff Neophyt bedeutet eigentlich nur, dass die Pflanze gebietsfremd ist. Deshalb ist der Zusatz «invasiv» wichtig. Dieser besagt, dass sich die Pflanzen unkontrolliert vermehren. Dadurch verursachen sie Schäden, welche wirtschaftlicher, gesundheitlicher oder ökologischer Natur sein können.

Historisch gesehen hat sich die Artenzusammensetzung bei uns ja immer wieder verändert – quasi ein Erfolgsrezept der Evolution. Warum sind Neophyten so schlimm?
Invasive Neophyten wurden vom Menschen bei uns eingeführt. Natürlicherweise wären sie nie bis zu uns gekommen, da Meere oder ungeeignete Klimazonen zwischen ihren Ursprungsgebieten und uns liegen. Erst durch die Hilfe des Menschen konnten sie ihr Verbreitungsgebiet radikal vergrössern – und finden hier ökologische Nischen vor, in denen sie wenig Konkurrenz durch einheimische Pflanzen haben. Oft fehlen auch ihre typischen Feinde wie Insekten oder Krankheiten.

Betrachten wir mal die wichtigen Arten, die in den Rebbergen und Obsthainen zu finden sind: Welche sind vordringlich im Auge zu behalten?
Hier sind vor allem krautige Arten ein Thema. Am bekanntesten ist sicher das Einjährige Berufkraut Erigeron annuus (Einstiegsbild), welches vor allem auf extensiven Flächen rasch dominante Bestände bildet und sehr schwierig zu entfernen ist. Das Kanadische Berufkraut Conyza canadensis L. heisst ähnlich, sieht aber anders aus (Abb. 1). Es fühlt sich vor allem auf gestörten Flächen wohl und verschwindet teilweise auch wieder, wenn die Vegetation sich schliesst. Über die Verbreitung des Verlotschen Beifuss Artemisia verlotiorum (Abb. 2) ist recht wenig bekannt, er dürfte aber oft übersehen werden, weil er kaum auffällige Blüten bildet, sondern sich vor allem vegetativ vermehrt.
Je nach Region können auch das Schmalblättrige Greiskraut Senecio inaequidens (Abb. 3) oder das Glatte Zackenschötchen Bunias orientalis L. auftreten.

Was wären die Auswirkungen, wenn man die invasiven Neophyten einfach wachsen liesse?
Das ist je nach Art ganz unterschiedlich. Henrys Geissblatt kann einen so undurchdringlichen Dschungel bilden, dass im Wald kein einziger Jungbaum mehr hochkommt. Im Rebberg können Reinbestände von Einjährigem Berufkraut die Biodiversität deutlich reduzieren. Und das Schmalblättrige Greiskraut besitzt leberschädigende Giftstoffe, welche für das Vieh problematisch sein können.

Was raten Sie?
Der wichtigste Rat ist, bereits bei der ersten Pflanze zu reagieren und diese vollständig zu entfernen. Allzu oft wird das Problem vertagt und einige Jahre später wächst einem alles über den Kopf. Ganz wichtig ist dieses Prinzip vor allem bei Neuanlagen. Viele invasive Neophyten können sich auf offenem Boden gut etablieren und wachsen schnell auf. Wenn man da nicht sofort reagiert, bildet sich rasch ein riesiges Samenreservoir im Boden.

Benjamin Kämpfen hat an der ETH Zürich Umweltnaturwissenschaften studiert. Er arbeitet beim Büro Versaplan, das Projekte in den Bereichen Biodiversität, Naturschutz und invasive Neophyten bearbeitet.

Lässt sich das Problem auch durch Mähen lösen?
Gerade im Obst- und Weinbau kann man grosse Bestände durch regelmässiges Mähen am Versamen hindern. Dabei ist aber wichtig, dass zum richtigen Zeitpunkt (genug früh), genügend häufig und genau (sodass keine Pflanzen blühen können) gemäht wird. Aber eines ist auch klar: Langfristig ist Mähen keine nachhaltige Lösung – die Pflanzen verschwinden dadurch nicht.

Und wie bewerkstelligt man die Eliminierung korrekt?
Am wirksamsten ist das manuelle Jäten von Hand. Ganz wichtig dabei ist, genau zu arbeiten: Die Pflanzen mit den Wurzeln entfernen und möglichst keine übersehen. Um die Neophyten nicht weiter zu verschleppen, empfiehlt es sich, die Pflanzen direkt vor Ort in einen Abfallsack zu stecken und diesen in den Hauskehricht zu geben.

In Hobbygärten werden gewisse Neophyten sogar angepflanzt (z.B. Kirschlorbeer, Sommerflieder, Geissblätter). Was sagen Sie dazu?
Das ist in der Tat unbefriedigend und der Gesetzgeber hätte schon längst handeln sollen. Es würde die Massnahmen vereinfachen, wenn die wichtigsten Arten verboten wären. Aktuell ist die Situation wirklich irritierend: Die Massnahmen gegen die invasiven Neophyten sind aufwendig und trotzdem werden sie noch angepflanzt. Man darf da auch nicht vergessen, dass es sich nur um wenige Arten handelt. Der Bund plant aber, im Herbst die Freisetzungsverordnung anzupassen. Vorgeschlagen ist für alle genannten Arten ein Inverkehrbringungsverbot.

Soll man als «guter» Bürger Meldung machen, wenn man z.B. eine Ambrosie sieht?
Man muss differenzieren: Ja, prioritäre Arten wie Ambrosie oder Riesenbärenklau sollten unbedingt gemeldet werden. Kleine andere Bestände können einfach entsorgt werden.

Gibt es neue, invasive Neophyten, die an die Tür klopfen?
Der Blick ins Tessin zeigt uns eine mögliche Zukunft: Wälder, in denen die Baum- und Strauchschicht nur noch aus invasiven Arten besteht. Deshalb ist es überaus wichtig, dass wir diese Arten besonders im Auge behalten. Dazu gehören der Götterbaum, die Paulownie (Blauglockenbaum), die Spätblühende Traubenkirsche oder die Hanfpalme (Tessinerpalme).

Häufige invasive Arten in obstHainen und Rebbergen

Einjähriges Berufkraut Erigeron annuus (Einstiegsbild)

Nicht einjährige, sondern mehrjährige Pflanze mit typischen, gänseblümchenähnlichen Blüten. Wird bis zu 150 cm hoch. Blätter sehr formenreich, manchmal vegetativ schwierig zu erkennen.

 

Kanadisches Berufkraut Conyza canadensis L. (Abb. 1)

Ein- bis zweijährige Pflanze. Drei sehr ähnliche Arten kommen in der Schweiz vor, die Unterscheidung ist nicht ganz einfach. Ganzrandige Blätter. Blüten sehr klein und unauffällig, die Samenstände sind besser sichtbar.

 

Verlotscher Beifuss Artemisia verlotiorum (Abb. 2)

Fiederschnittige Blätter, ähnlich wie der Gemeine Beifuss. Bildet im Gegensatz zu diesem aber rasenartige Bestände. Vermehrt sich hauptsächlich über Ausläufer und Wurzelstücke. Die Blätter riechen beim Zerreiben stark kampferartig.

 

Schmalblättriges Greiskraut Senecio inaequidens (Abb. 3)

Mehrjährige Pflanze mit typisch schmalen Blättern. Blüten gelb, die Blütenknospen oft leicht nickend.