TierischeHacker_Header
manipuliert Pflanzen

Tierischer «Hacker»

Es klingt nach Science Fiction: Ein Forschungsteam zeigt, dass ein Schädling Pflanzen angreift, indem er gezielt deren Kommunikation manipuliert. Dies wirft auch bei ­anderen Probleminsekten ganz neue Fragen auf. Geforscht wurde in China, doch der Leiter des Teams ist der in Neuchâtel arbeitende Ökologe Ted Turlings. Involviert war auch Agroscope.


REGINE IMHOLZ
LID

Ihre ortsgebundene Lebensweise zwingt Pflanzen zu raffinierten Strategien, um Schädlinge und Krankheitserreger abzuwehren und die Ausbreitung ihrer Nachkommenschaft zu sichern: Sie bedienen sich dabei unter anderem flüchtiger chemischer Signalstoffe. Mit diesen Gerüchen bekämpfen sie Fressfeinde, ködern Bestäuber und halten unliebsame Konkurrenten fern. Mithilfe von Notsignalen locken Pflanzen zum Beispiel räuberische Insekten an, die ihre Angreifer töten. Sie sind ebenfalls in der Lage, mit ihren Botenstoffen ihre Nachbarn vor Angriffen zu warnen. Nehmen diese einen bestimmten Geruch wahr, schütten sie spezifische Pflanzenhormone aus, um Giftstoffe zu produzieren, die gegen Insekten, Bakterien oder Pilze schützen.

Was aber, wenn es einem Schädling gelingen sollte, diese Geruchssignale zu manipulieren, die Pflanzen zu verwirren und damit ihre Verteidigung zu durchbrechen? Dass genau das geschehen ist, zeigen neuste Forschungen. Unter der Leitung von Professor Ted Turlings, einem chemischen Ökologen an der Universität Neuchâtel, haben Forschungsgruppen in China herausgefunden, dass die Baumwoll-Weisse Fliege Signa­le stört, die von Pflanzen erzeugt werden.

Wegen des falschen Signals produzieren benachbarte Pflanzen Abwehrstoffe, die zwar gegen Krankheiten, nicht aber gegen Insekten wirken. In der Folge werden sie anfälliger für Insekten – einschliesslich der Weissen Fliegen. Der Schädling ist winzig, aber enorm zerstörerisch. Die Baumwoll-Weisse Fliege verursacht weltweit Ernteverluste in Milliardenhöhe, meist als Überträger von Virus­erkrankungen.

Die folgenden Fragen wurden von Ted Turlings bzw. der Forschungsanstalt Agroscope beantwortet (Team um Reto Neuweiler).

 

SZOW: Herr Turlings: Die Bemisia tabaci – oder Baumwoll-­Weisse Fliege – stammt aus Asien und ist unterdessen auf der ganzen Welt verbreitet. Wie sind Sie dem Schäd­ling auf die Schliche ­gekommen?
Ted Turlings: Die Studie wurde im Rahmen mehrerer Kooperationen mit chinesischen Forschungsgruppen durchgeführt. Peng-jun Zhang aus der Gruppe von Prof. Yu der Universität Hangzhou, (China) untersucht seit vielen Jahren Weisse Fliegen. Er wandte sich vor einigen Jahren an mich, um mich um Rat zu einem Manuskript über die Geruchsinduktion durch die Bemisia tabaci zu bitten. Seitdem stehen wir in einer intensiven Zusammenarbeit. In diesem ersten Manuskript wurde gezeigt, dass die von der Weissen Fliege induzierten flüchtigen Verbindungen für eine bestimmte parasitäre Wespe attraktiv sind, die die Weissen Fliegen parasitiert und tötet. Später kontaktierten sie mich wieder wegen der aktuellen Studie und wir entwarfen die Experimente gemeinsam.

 

Wann wurde Ihnen und Ihrem Team klar, dass Sie ­eine fast revo­lutionäre Entdeckung gemacht haben?
Turlings: Die gesamte Arbeit wurde vom Team in China erledigt, Ich habe nur eine beratende Rolle gespielt. Als man mir die ersten Ergebnisse zeigte, war mir schnell klar, dass sie etwas ganz Besonderes entdeckt hatten. Gemeinsam haben wir einige zusätz­liche Experimente entwickelt, um schlüssige Beweise für die Mani­pulation des Geruchssignals zu liefern.

 

Wo in der Schweiz hat man die Baumwoll-Weisse Fliege bereits beobachtet?
Agroscope: Die Bemisia tabaci ist in der Schweiz bislang am häufigsten an Zierpflanzen wie dem Weihnachtsstern, Gerbera etc. aufgetreten. An Gemüsekulturen wurde sie bis jetzt eher selten beobachtet. Bereits 1990 wurde jedoch ein einzelner Fall im Kanton Genf dokumentiert. Seit 2007 tritt dieser Schädling im ­Kanton Genf regelmässig an Tomatenkulturen auf, die sich in der Nähe von Zierpflanzenkulturen befinden. 2008 wurde ein erster Fall im Kanton Wallis, ebenfalls bei Tomaten, bekannt. Es muss davon ausgegangen werden, dass sich die Bemisia tabaci zu einem ernstzunehmenden Schädling in Gemüsekulturen unter Glas entwickeln wird.

 

Welche Schäden richtet sie bei unseren Kulturen an?
Agroscope: Noch kommt die Bemisia tabaci in der Schweiz und in Nachbarländern wie Deutschland und Österreich sowie in den Niederlanden begrenzt und sehr wahrscheinlich ausschliesslich im Gewächshaus vor. Sie kann rund 100 Pflanzenviren übertragen. ­Diese Virusinfektionen führen zu Symptomen wie gelbe Mosaikscheckung der Blätter, Blattadernvergilbung, Blattrollen, Kümmerwuchs oder Adernverdickung. Weltweit sind Insektizidresistenzen von Bemisia tabaci bekannt. Insbesondere in Baumwoll- und Weihnachtssternkulturen ist sie schwerer bekämpfbar. Weil die Gefahr besteht, dass mit der Einfuhr von befallenen Wirtspflanzen aus Überseeländern gleichzeitig besonders gefährliche Viren eingeschleppt werden, die auf dem europäischen Kontinent noch unbekannt sind, gelten aussereuropäische Populationen von Bemisia tabaci als Quarantäneschädlinge. Pflanzenmaterialien aus aussereuropäischen Ländern, die bei der Importkontrolle vom Eidgenössischen Pflanzenschutzdienst Befall der Bemisia tabaci aufweisen, werden an der Grenze restlos vernichtet.

 

Wie genau schafft es die Bemisia tabaci, Pflanzen zu ­«hacken»?
Turlings: Der genaue Mechanismus ist noch nicht vollständig verstanden. Die Weissen Fliegen veranlassen die Pflanzen, ein Hormon (Salizylsäure) zu produzieren, das der Pflanze normalerweise hilft, sich gegen Krankheiten zu wehren. Das bedeutet, dass ein anderes Hormon (Jasmonsäure) unterdrückt wird. Dieses andere Hormon wird für die Abwehr von Insekten benötigt. Daher wird die Pflanze anfälliger für Insekten, einschliesslich der Weissen Fliegen. In dieser neuen Studie haben wir festgestellt, dass sich dies auch in den von der befallenen Pflanze freigesetzten flüchtigen Bestandteilen widerspiegelt. Das flüchtige Signal deutet darauf hin, dass die Pflanze von einer Krankheit befallen ist. Die Nachbarn, die das Signal wahrnehmen, stellen sich auf eine Krankheit ein und vernachlässigen die Verteidigung gegen Insekten. Dies ist eines von vielen Beispielen dafür, wie spezialisierte Insekten die Abwehrmechanismen von Wirtspflanzen überwinden können.

 

Was bedeutet die Tatsache, dass es «Hacker» in der Tierwelt gibt?  
Turlings: Dies ist vor allem ein Problem in Gewächshäusern. Und das «Hacking» wird den Weissen Fliegen helfen, sich in grosser Zahl zu vermehren und sich schnell zu verbreiten.
Agroscope: Damit verstärkt sich eventuell der Trend, den wir wegen der Klimaerwärmung grundsätzlich schon erwarten würden.

 

Wie kann der Schädling wirksam bekämpft werden? Könnte man zum Beispiel die Baumwoll-Weisse Fliege genetisch so verändern, dass sie keine Lust mehr auf Gemüse hat?
Turlings: Das würde wohl nicht funktionieren, aber es könnte möglich sein, Kulturpflanzen genetisch zu manipulieren, um eine wirksame Verteidigung gegen Weisse Fliegen aufzubauen.

 

Ist es denkbar, dass noch andere Schädlinge diese Fähigkeit der Manipulation haben?
Turlings: Definitiv!

 

Können sich Schädlinge diese Fähigkeit irgendwie aneignen, ­also von der Weissen Fliege sozusagen lernen?
Turlings: Schadinsekten könnten sich diese Fähigkeit in evolutionären Zeiträumen aneignen, aber sie können nicht voneinander lernen. Wir können aber etwas davon lernen. Die Arbeit zeigt, dass Pflanzen sehr spezifisch auf ihre Angreifer reagieren. Wir könnten versuchen, Kulturpflanzen durch Selektion oder genetische Modifikation so zu verändern, dass sie eine effektive Reaktion zeigen und sehr resistent gegen Insekten werden.

 

Was sind die nächsten Schritte in der Forschung?
Turlings: Mit der chinesischen Gruppe werden wir diese Wechselwirkung zwischen Weissen Fliegen und Pflanzen weiter untersuchen. Wir sind besonders an Baumwollpflanzen interessiert. In meinem eigenen Labor haben wir ein grosses Projekt gestartet, um Sensoren zu entwickeln, die die induzierten Gerüche im Feld erkennen und die Verursacher, Schadinsekten oder Krankheitserreger, identifizieren können. Das ulti­mative Ziel ist es, Roboterfahrzeuge mit solchen Sensoren auszustatten und die Landwirte in Echtzeit über den Status ihrer Ernte zu informieren. Dieser nächste Schritt in Richtung Smart Farming wird es den Landwirten ermöglichen, zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort zu handeln, lange bevor die Angreifer ihren Ernten schweren Schaden zufügen können.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert