Wildobst in der Schweiz – ein historischer und aktueller Überblick

Anlässlich des Wildobst-Symposiums in Dresden (s. SZOW 11/22) präsentierte Fructus-Vorstandsmitglied Peter Enz einen Überblick über die Situation des Wildobsts in der Schweiz. Das Trendbarometer für Wildobst zeigt klar nach oben.


Peter Enz
Fructus
Diesen Artikel finden Sie in der Ausgabe 12 / 2022 , S. 6

Nicht nur in den Medien werden Wildobstfrüchte gern zum «Superfood» hochstilisiert. Auch in der Gastronomie und im privaten Bereich erlebt das Wildobst eine Renaissance. Was hierbei fast vergessen geht: Wildobst bietet noch mehr und kann eine wertvolle Stütze bei der Förderung der Biodiversität sein.

Aufwendige Beschaffung

Die Nahrungsbeschaffung nahm früher viel mehr Zeit in Anspruch als heute. Ältere Personen und Kinder wurden für das arbeitsintensive Sammeln von Wildfrüchten verpflichtet und verbrachten viele Stunden im Wald oder an Böschungen und Borden. Wie früher gilt auch heute, dass wild gesammelte Früchte mehr Inhaltsstoffe pro Volumen aufweisen als die gängigen Früchte aus den Intensivkulturen.

Überblicksstudie

Stellvertretend für die Schweiz wurden am Wildobst-Symposium in Dresden (Juni 2022) Erkenntnisse einer Untersuchung vorgestellt, die zwischen 2018 und 2020 vom Autor für den Verein «graubündenVIVA» durchgeführt wurde. Wildfrüchte wie Berberitzen, Heidelbeeren, Brombeeren, Himbeeren, Preiselbeeren, Holunder etc. wurden früher als Ergänzungen zum Speisezettel gesammelt. Die meisten Wildfrüchte wurden aber zu Heilzwecken verwendet. Einzig vom Schwarzen Holunder, von dem teilweise grosse Mengen an Früchten geerntet werden konnten, existieren in alten Kochbüchern Rezepte zum Verarbeiten. Häufig sind süsse Früchte zu salzigen Speisen anstelle von Gemüse oder zum Würzen konsumiert worden. Anleitungen zum Haltbarmachen findet man hingegen regelmässig (meistens für Heilzwecke). Zum Haltbarmachen diente vor allem das Einkochen, Eindicken und Dörren. Vereinzelt wurden Früchte auch in Essig eingelegt. Botanische Gärten kultivieren seit alters her eine grosse Vielfalt an Wildobst, meistens auch mit dem entsprechenden Wissen, das in ihren Bibliotheken hinterlegt wurde. 

Beispielhafte Betriebe

Aus der Erkenntnis heraus, dass viele ursprüngliche Pflanzen, die züchterisch nicht stark bearbeitet wurden, sehr charaktervoll und gesund sind, ist in den letzten Jahren ein neuer Trend zu deren stärkerer Nutzung entstanden, der durch innovative Landwirtinnen und Gastronomen aufgenommen worden ist. Ebenso ist das Wissen gereift, dass auch die Biodiversität in Zusammenhang mit dem Klimawandel vom Anbau von Wildfrüchten profitieren kann. Fünf unterschiedliche Betriebe wurden vorgestellt:

  • Eine Sanddorn-Sammlerfamilie (gelernte Drogisten aus Trans/GR), die in der Natur mit Bewilligung nachhaltig Früchte sammelt und verarbeitet. Das kommerzielle Wildsammeln von Sanddorn (Einstiegsbild, © P. Enz) ist in der Schweiz bewilligungspflichtig. In schwer zugänglichem Gebiet werden sie von den beiden Eselinnen Fiona und Meli unterstützt, die willig die Ernten zu den Fahrzeugen tragen. In guten Jahren ernten sie bis 5000 kg.
  • Ein Betrieb im Kanton Aargau, der sich auf die zwei Kulturen Aronia (www.aronia-swiss.ch) und Cassis beschränkt. Dank effizienten Arbeitsabläufen und einer breiten Verarbeitungspalette werden die Produkte über fünf Kanäle verkauft.
  • Raess Wildbeeren (www.raess-wildbeeren.ch) im Zürcher Weinland ist ein Bio-Wildbeerenspezialist mit eigenem Hofladen. Dank der Früchtevielfalt kann von Mai bis Oktober geerntet werden (Maibeeren, klassische Beeren, Felsen­birnen, Goji, Aronia und Sanddorn). Entsprechend sind viele Erntehelferinnen und -helfer nötig.
  • Beim vierten Betrieb im Aargauer Fricktal spielt die ökologische Landschaftsgestaltung mit Hochstammbäumen und die Produktion von speziellen Säften (Abb.) eine grosse Rolle. Dabei sind verfügbare Flächen und die Wartezeit, bis die Hochstämme in den Ertrag kommen, entscheidend.
  • Beim fünften Betrieb handelt es sich um die Leidenschaft eines Speierling-Liebhabers und eines Kochs, Speierlingsfrüchte möglichst vielseitig in der Küche für Gäste zu ver­arbeiten.

 

Abb.: Speierling-Süssmost. (© P. Enz)

 

 

Warum Wildfrüchte und wie weiter?

Der Trend zu Wildfrüchten spiegelt sich in der Tatsache wider, dass sie häufig robuster als traditionelle Kulturpflanzen sind. Sie bieten eine wertvolle Möglichkeit, die Biodiversität dank grösserer Pflanzenvielfalt zu fördern. Zusätzlich bieten sie neue Geschmacksvariationen, was im veränderten Konsumverhalten auf viel Goodwill stösst und auch die Gastronomie inspiriert. Bereicherten die Wildfrüchte früher aus Notwendigkeit den Speiseplan, stehen heute gesundheitsrelevante Aspekte und Trends im Fokus. Damit bieten Wildfrüchte für Produzenten ein Alleinstellungsmerkmal und eine interessante Wertschöpfung auf dem Hof.

Eine Tagungsrosine: Haselnussanbau in Deutschland

Martin Penzel berichtete über Haselnussversuche, die an der Lehr- und Versuchsanstalt für Gartenbau (LVG) in Erfurt durchgeführt werden. Thüringische Süsswarenbetriebe haben für die Original Thüringer Haselnusstorte heimisches «Rohmaterial» gefordert. Alle Haselnusskulturen werden mit Dachwasser bewässert, sofern es in zwei Wochen weniger als 15 mm Niederschlag gibt. Spätestens alle zwei Wochen wird bewässert. Haselnüsse sind sehr alternanzanfällig. Es werden 800 Pflanzen pro Hektar gepflanzt. Ab dem vierten Standjahr kann mit ca. 1 kg Haselnüsse pro Pflanze gerechnet werden, was etwa eine Tonne pro Hektar ergibt. Ab dem sechsten Standjahr werden rund 2.6 t/ha erzielt. Die Ernte erfolgt mit Netzen, die Nüsse müssen aus den Hüllen fallen, sonst wird das Sortieren problematisch. Ein schnelles Trocknen erfolgt auf dem Hof. Für die Vermarktung müssen die ungeknackten Nüsse einen Mindestdurchmesser von 24 mm haben. Webbs Preisnuss dient als Unterlage und liefert die besten Erträge pro Hektare an erster Qualität.


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