Abrundungszuckerung bei Obstbränden

Puristen und Traditionalisten schätzen qualitativ hochwertige Obstbrände ohne Zuckerzusatz. Kunden auf der anderen Seite gewöhnen sich schnell an liebliche Spirituosen. Folglich nehmen immer mehr Produzenten die Möglichkeit wahr, mittels «Abrundungszuckerung» die «Drinkability» ihrer Obstbrände zu erhöhen.


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Stefan Penninger
Alte Hausbrennerei Penninger, Waldkirchen (D)


Um eine Entscheidung zu treffen, ob Zuckerzugabe im Fertigprodukt sinnvoll sein kann, ist ein genauer Einblick nötig, was Abrundungszuckerung bewirken kann.

Sensorische Grundlagen

Zuckerung wirkt sich auf den Gaumen, also auf die Geschmacksknospen und den Schärfeeindruck aus. Der Geruch eines Brands bleibt quasi unberührt, sodass auch Fehlgärungen und die sogenannten Off-Flavours dadurch nicht ausgeglichen werden. Ein handwerklich unbefriedigendes Destillat kann geruchliche Qualitätsmängel nicht durch Süssung verstecken. Kurz gesagt kann Zuckerung einen guten Brand leichter vermarktbar machen. Dennoch wird kein mangelhafter Brand dadurch besser werden. Der Geschmack eines Produkts wird nach der Süssung weicher und milder erscheinen.

Süsseindruck überdeckt im richtigen Verhältnis andere Geschmacksrichtungen wie sauer oder bitter. Bestimmte ätherische Öle werden durch die Verbindung mit Zuckermolekülen für Zunge und Gaumen erst wahrnehmbar, während andere Aromakomponenten dadurch neutralisiert werden. Ein praxisnahes Beispiel dafür sind Kräuterliköre, bei denen erst der Zuckergehalt Geschmackskompositionen ermöglicht, die in extraktarmen Kräuterbittern nicht möglich sind.

In Bezug auf das Mundgefühl wird die Reizung des Trigeminusnervs abgemildert, der den Schärfeeindruck im Mund wahrnimmt. Vor allem klassische, kernige Obstbrände aus Streuobstwiesen oder aus Sorten wie der Hauszwetschge zeigen gern eine typische «Kantigkeit». Diese ergibt sich nicht ausschliesslich aus der natürlichen Alkoholschärfe des enthaltenen Ethanols. Weitere Gärungsnebenprodukte wie langkettige Alkohole und Fettsäureester können einen scharfen Eindruck im Mund-/Rachenraum erzeugen. Obgleich dies kein negatives Qualitätsmerkmal darstellen muss, akzeptieren Verbraucher heute diese Obstbrände nicht mehr so wie in vergangenen Jahrzehnten.

Praxis der Abrundungszuckerung

Um der Bezeichnung «Abrundungszuckerung» gerecht zu werden, darf die Menge an Zucker das Produkt nur minimal verändern. Die Zuckerung muss die Reizschwelle des Menschen überschreiten – sonst wäre sie ohnehin unnötig. Die darüber liegende Wahrnehmungsschwelle sollte jedoch nicht erreicht werden, der Süsseindruck selbst also nicht erkennbar sein. Entscheidet sich die Brennerin oder der Brenner zur Zuckerung von Endprodukten, ist eine harmonische Einarbeitung gefragt. Je nach Obstsorte, Verarbeitungsweise und Alkoholgehalt kann dies zwischen drei und sechs Gramm Zucker je Liter bedeuten.

Hier sind eine gute Zunge und das Bauchgefühl gefragt. Die üblicherweise verwendete Form des Zuckers ist kristalliner Haushaltszucker (Saccharose) oder Zuckerlösungen, die selbst hergestellt oder fertig bezogen werden. Glucose, die bei Likören gern zur Anpassung der Viskosität und des Mundgefühls eingesetzt wird, ist in Deutschland zur Zuckerung von Obstbränden nicht zulässig (dies im Gegensatz zur Schweiz; Anm. Red.).

Es ist zu beachten: Das Mischen von Zucker in alkoholische Lösungen verändert naturgemäss deren Dichte. Sobald also Zucker in die Destillate eingebracht ist, können die üblichen direkten Methoden zur Feststellung des Alkoholgehalts wie das Spindeln oder Dichtemessungen per Biegeschwinger nicht mehr herangezogen werden. In dem Fall ist, wie bei allen extrakthaltigen Spirituosen, eine Probedestillation nötig. Zudem ist nicht anzuraten, einfach nur Obstbrand mit Kristallzucker zu mischen – die Einbringung des Zuckers wird dessen Volumen wieder verändern und dadurch den volumenbezogenen Alkoholgehalt des Fertigprodukts.

Ein praktikabler Weg ist die Verwendung von Zuckersirup, der im Verhältnis aus Zucker und Wasser genau ein Gramm Haushaltszucker pro einem Milliliter Flüssigkeit entspricht. Im Fachjargon auch als ATL-Lösung bekannt, ist sie im Keltereibedarf als 72.7 % Zuckerlösung erhältlich. Ob nach der Sirupzugabe noch filtriert wird, bleibt abzuwägen. Bei bereits filtriertem Destillat, sehr weichem Produktwasser und industriell hergestellter Invertzuckerlösung kann auf eine nochmalige Filtration verzichtet werden.

Zuckerung von Spirituosen in der Schweiz

Laut Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) sind im Schweizer Lebensmittelrecht einige Spirituosenkategorien nicht mit einem Höchstzuckergehalt beschränkt. Sie könnten daher mit bis zu 99.9 g/L Invertzucker gesüsst werden, z.B. Wein-, Gemüse- und Kartoffelbrand, Absinth und Gin. Alle nicht beschränkten Spirituosen sind in einem Merkblatt von Agroscope betreffend Zuckerung von Spirituosen (www.destillate.agroscope.ch) markiert. Inwiefern eine so hohe Zuckerung dieser Produkte sensorisch vorteilhaft ist, sei dahingestellt, bzw. den Produzierenden zur Beurteilung überlassen. Mit der Revision der Verordnung über Getränke per 1. Juli 2020 wurden die Mindest- und Höchstzuckergehalte der restlichen Schweizer Spirituosen bereits an das EU-Recht angeglichen.    

Sonia Petignat-Keller,Agroscope


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