Weine aus hagelgeschädigten Trauben
Eine der Folgen des Klimawandels sind stärker ausfallende Niederschläge, mithin auch mehr Hagelschläge. Macht es noch Sinn, von Hagel geschädigte Trauben zu verarbeiten? Die Agroscope Forschungsgruppe Weinbau am Weinbauzentrum Wädenswil (WBZW) ging dieser Frage nach.
Wir erinnern uns alle an die tragischen Hagelschläge 2021, die vielerorts in der Schweiz grosse Schäden angerichtet haben. Der Rebbau blieb nicht davon verschont. So auch die Region am Zürichsee. Die Reben des WBZW wurden am 21. Juni 2021 und am 24. Juli 2021 vom Hagel verwüstet. Der Schaden lag bei 90 %. In dieser Situation gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder die Trauben hängen zu lassen oder viel Zeit in die Ernte zu investieren. Die entscheidende Frage aber bleibt bestehen: Ist es abgesehen vom Arbeitsaufwand überhaupt möglich, aus hagelgeschädigten Trauben ansprechende Weine zu keltern? Welchen Einfluss hat der Hagel auf die Aromatik, vor allem bezüglich der Ausprägung auf Bitterkeit und Essig? Die Forschungsgruppe Weinbau Deutschschweiz ist dieser Frage im Herbst 2021 nachgegangen. Ein Versuch am Standort Wädenswil auf den Sorten Müller-Thurgau und Blauburgunder sollte Antworten geben.
Müller-Thurgau-Versuche
Beim Müller-Thurgau wurden vier Varianten ausprobiert. Alle Varianten, randomisiert auf zwei benachbarte Parzellen (W55, W58), wurden am gleichen Tag und von verschiedenen Winzerinnen und Winzern geerntet. Ihre Arbeitszeit pro Stock wurde bei den verschiedenen Erntemethoden erhoben (Abb. 1a) und ihr Lesegut pro m2 direkt im Feld gewogen (Abb. 1b).
Abb. 1a: Zeiterfassung bei der Ernte und Ertrag pro Stock für Müller-Thurgau. Angegeben ist die mittlere Arbeitszeit pro Stock für die vier verschiedenen Erntevarianten.
Abb. 1b: Angegeben ist die mittlere Lesegüte pro m2 für die vier verschiedenen Varianten.
Das Winzerteam benötigte für die selektive Lese der Müller-Thurgau-Trauben (Variante 4) im Jahr 2021 4.5-mal länger als für die Ernte der gesamten Trauben, einschliesslich krankheitsbefallener und gequetschter Beeren. Wenn man bedenkt, dass der Stundenlohn für die Ernte der Trauben etwa Fr. 20.– beträgt, hat die Selektion in einem Jahr mit ungesunden Trauben einen hohen Preis. Wie in Abb. 1b zu sehen ist, ist auch der Ertrag geringer bei der Selektion, was wiederum weniger Wein bedeutet.
Folgende vier Varianten wurden getestet:
- Variante 1: Trauben ohne zu söndern geerntet.
- Variante 2: Trauben ohne zu söndern geerntet, abgebeert und 4 h bei 18 °C stehen gelassen (Maischestandzeit (MSZ)).
- Variante 3: Trauben ohne zu söndern geerntet, abgebeert, 25 g/hl Granucol GE zugegeben und 4 h bei 18 °C stehen gelassen (MSZ).
- Variante 4: Trauben betriebsüblich gesöndert.
Das gesamte Lesegut pro Variante wurde zusammengepresst und eine Mostprobe entnommen. Es fällt auf, dass die Variante V4 einen niedrigeren Zuckergehalt aufweist als die nicht gesönderten Varianten (Tab. 1).
Tab. 1: Werte der Most- (30.9.2021) und Weinproben (28.2.2022) der vier Müller-Thurgau-Varianten.
Dies ist nicht weiter verwunderlich, da ungesunde Trauben aufgrund eines höheren Wasserverlustes zu einer höheren Konzentration neigen. Alle Varianten wurden nach Agroscope-Standard vinifiziert, mit Reinzuchthefe W15 vergoren und im Stahltank mit BSA ausgebaut und am 23.02.22 abgefüllt. Je eine Weinprobe wurde aus dem fertigen Wein entnommen und analysiert (Tab. 1). Zwar weisen die Weine Unterschiede auf, aber liegen doch nahe beisammen. So unterscheiden sich die Rest-Zuckerwerte nur noch gering. Dafür weist Wein V4 etwas niedrigere Gesamtextraktwerte auf. Dies ist wahrscheinlich auf den allgemeinen Gesundheitszustand der Trauben im Vergleich zu den anderen Varianten zurückzuführen. Die höchsten Extraktwerte wiesen die Weine mit Maischestandzeit auf. Variante 2 hatte eine doppelt so hohe flüchtige Säure, was nicht erklärt werden kann, aber mit natürlichen Unregelmässigkeiten der Mikrovinifikation zu tun haben könnte. Dies spiegelt sich auch im Ethylacetat-Wert wider, der rund doppelt so hoch ist wie bei den anderen Weinen.
Am 31.05.22 wurden die Weine durch ein Sensorik-Panel in Changins blind verkostet und beurteilt. Die 17 Kriterien wurden auf einer Skala mit 1 als niedrigstem und 7 als höchstem Wert bewertet. Das Sensorik-Panel konnte keine signifikanten sensorischen Unterschiede zwischen den Varianten feststellen. Variante V1, alle Trauben ohne Selektion, wurde überraschenderweise leicht präferiert, während V4 im Panel leicht schlechter beurteilt wurde. Die Weine wurden auch an der Önologietagung am 31.08.22 von 28 Teilnehmerinnen und Teilnehmern blind verkostet. Sie mussten hernach zwei Fragen beantworten: «Welcher Wein hebt sich am meisten ab und welchen Wein würden Sie als Wiederverkäufer einkaufen?»
Am besten gefiel Wein V1, also die Variante, die nicht gesöndert und ohne MSZ ausgebaut wurde. Dies spricht dafür, dass man bei Hagelschlägen tatsächlich erwägen sollte, Zeit und Geld zu sparen und aus dem gesamten, verfügbaren Traubenmaterial einen Basiswein herzustellen. Die Strategie, möglichst viel Qualität herauszuholen, scheint sich für einmal nicht zu lohnen.
Blauburgunderversuche
Beim Blauburgunder wurden drei Varianten ausprobiert. Alle Varianten, randomisiert auf drei benachbarte Parzellen (W62: A, B, C), wurden am gleichen Tag und von verschiedenen Winzerinnen und Winzern geerntet. Die Winzerinnen und Winzer brauchten für die selektive Lese der Blauburgunder-Trauben (Variante C) im Jahr 2021 3.75-mal länger als für die Ernte der gesamten Traube, einschliesslich krankheitsbefallener und gequetschter Beeren. Dies ist etwas weniger als die Zeit, die für die selektive Lese von Müller-Thurgau-Trauben benötigt wurde, da der Blauburgunder nicht so empfindlich auf Krankheitsdruck reagiert (Abb. 2a).
Abb. 2a: Zeiterfassung bei der Ernte und Ertrag pro Stock für Blauburgunder. Angegeben ist die mittlere Arbeitszeit pro Stock für die drei verschiedenen Erntevarianten.
Wie in Abbildung 2b zu sehen ist, ist der Ertrag bei Variante C etwas höher.
Abb. 2b: Angegeben ist die mittlere Lesegüte pro m2 für die drei verschiedenen Varianten.
- Variante A: Trauben ohne zu söndern geerntet.
- Variante B: Trauben ohne zu söndern geerntet und nach der Gärung 4 Tage stehen gelassen (MSZ).
- Variante C: Trauben betriebsüblich gesöndert.
Das gesamte Lesegut pro Variante wurde zusammengepresst und eine Mostprobe entnommen (Tab. 2).
Tab. 2: Werte der Most- (30.9.2021) und Weinproben (28.2.2022) der drei Blauburgunder-Varianten.
Die Mostproben waren sehr ähnlich. Alle Varianten wurden nach Agroscope-Standard mit Maischegärung vinifiziert, mit Reinzuchthefe W15 vergoren und im Stahltank mit BSA ausgebaut und am 23.02.22 abgefüllt. Eine Weinprobe wurde aus dem fertigen Wein entnommen. Wie beim Müller-Thurgau hatte eine der nicht selektierten Blauburgunder-Varianten, in diesem Fall der Wein A, eine höhere flüchtige Säure und damit auch einen höheren Ethylacetat-Wert (nicht gezeigt). Der Blauburgunder, der vom Panel ausgewählt wurde, wies wiederum einen niedrigeren Gesamtextraktwert auf. Dies zeigte sich auch deutlich an den Farbunterschieden zwischen den Weinen. Die Weine Variante a und b hatten eine ziegelrote Farbe, während der Wein c eine rubinrote Farbe aufwies.
Auch bei den drei Varianten des Blauburgunderversuchs sind vom Experten-Panel am 31.05.22 keine signifikanten Unterschiede befunden worden (Abb. 3). Eine Bevorzugungstendenz liegt beim Gesamteindruck von Wein C, der betriebsüblich gesöndert wurde. Abb. 3 zeigt, dass bei den Variablen Tanninqualität, Weichheit und Rauchigkeit diese Variante über den anderen lag, während sie weniger Bitterkeit aufwies. An der Önologietagung am 31.08.22 haben 28 Teilnehmende diese Tendenz bestätigt. Sie haben die gesönderte Variante, also Wein C, als deutlich fruchtiger und wiederverkaufbarer beurteilt. Viele Teilnehmende kommentierten, was auch in der Literatur bekannt ist, dass nämlich die Farbe eine grosse Rolle bei der Wahrnehmung von Rotwein spielt.
Abb. 3: Ergebnisse des Sensorik-Panels bei der Changins-Degustation am 31.05.22 für die vier Müller-Thurgau-Varianten. Die Kriterien wurden auf einer Skala mit 1 als niedrigstem und 7 als höchstem Wert bewertet.
Im Gegensatz zum Müller-Thurgau zeigt das Endergebnis deutlich, dass sich beim Blauburgunder die extra eingesetzte Arbeitszeit bei der Ernte lohnen könnte. Andererseits könnte die klare Präferenz für ausgewählte Blauburgunder-Trauben geschmälert werden, wenn die Trauben stattdessen als Grundlage für Sekt oder einen Roséwein verwendet würden. Das liegt daran, dass diese Weinarten keinen so hohen Zuckergehalt bei der Ernte verlangen und auch die Farbunterschiede zwischen den Weinen geringer sind. Dies ist jedoch nicht getestet worden.
Es ist schwierig, in der Literatur verbindliche Aussagen über die Sönderung von Trauben für die Vinifikation nach schwerem Hagel zu finden. Die Auswirkungen der optischen Sortierung von Beeren durch Trennung von unreifen Beeren und Nichttraubenmaterial auf die Rotweinzusammensetzung und auf die sensorischen Eigenschaften wurden von dem Department of Viticuture and Enology, University of California, Davis, untersucht (Bruce R. C. et al. 2021). Die Effekte der verschiedenen Verfahren auf die Aromakomposition, den Ethanolgehalt und die phenolische Zusammensetzung waren nicht signifikant. Überraschend bei unserem Versuch ist die Bevorzugung der nicht gesönderten Variante beim Müller-Thurgau. Es stellt sich die Frage, ob sich der Mehraufwand für die Herstellung eines Basis-Weissweins lohnt und die Aussage «guter Wein aus gesunden Trauben» hier passend ist. Für die Rotweinvariante empfiehlt es sich bei geschädigtem Traubengut eher, auf eine rasche Verarbeitung mit wenig Maischekontaktzeit im Sinne eines Rosés zu setzen. Auch hier gelten betriebswirtschaftliche Überlegungen. Dieser Versuch wird 2022 aus nicht hagelgeschädigten Trauben wiederholt, um die Arbeitszeit und den Ernteertrag zu erfassen und auch den Gesamteindruck der Weine aus einem sehr «guten» Jahr zu überprüfen.
Literatur
Bruce R. C. et al. The impact of optical berry sorting on red wine composition and sensory properties. Foods, 10, 402, 2021.