© Hans-Peter Siffert/weinweltfoto.ch

Ab in die Höhe?

Aufgrund der Klimaerwärmung liebäugeln immer mehr Winzerinnen und Winzer mit der Idee, ihre Reben in höheren Lagen zu setzen. Ihr strengster Gegner ist jedoch nicht unbedingt das Klima, sondern die Bürokratie der kantonalen Fachstellen.

Artikel von:
Markus Matzner
O+W
Diesen Artikel finden Sie in der Ausgabe 05 / 2024 , S. 10

Die Schweizerinnen und Schweizer sind ein Volk der Berge. Es ist allgemeines Volkswissen, dass die Bergsommer manchmal zwar kurz, aber in der Intensität sehr stark sein können (Stichwort: Sonnencrème). Die Klimaerwärmung hat diesen Charakter noch verstärkt. Folglich ist es denkbar geworden, auch Reben weit über dem normalen Spektrum von 400 bis 600 m ü. M. anzubauen. Hierfür gibt es durchaus Vorbilder in der Nähe. So liegt der derzeit höchste alpine Rebberg nicht etwa im Walliser Visperterminen auf 1150 m ü. M., wie es die Webseite myswitzerland.com behauptet, sondern in Südtirol. Auf 1350 m ü. M. besitzt das Benediktinerkloster Marienberg Weinberge, die es an die Familie Van den Dries verpachtet hat. Gemäss Webseite des Weinhofs Calvenschlössl werden Cabernet Cortis und Solaris biodynamisch angepflanzt und ergeben aufgrund der langsamen Reifung «markante und vielfältige Aromen». Dank des eher milden Herbstes in dieser Region und des erst spät einziehenden Winters kann mit der Ernte manchmal bis Anfang November zugewartet werden.

Up in the sky

Die Schweizer Popband «77 Bombay Street» brachte es schon 2011 auf den Punkt: «Up in the sky/You just feel fine/There is no money making crime but a lot of good wine» (Hoch im Himmel fühlst du dich gut/da gibt es keine Verbrechen, dafür viel guten Wein) – und getreu diesem Motto wittern immer mehr Winzerinnen und Winzer in der Schweiz eine Chance, weit über der «normalen» Höhe Reben anzupflanzen. Gerade Südlagen, die windgeschützt liegen und ein Abfliessen von kalter Luft ermöglichen, scheinen prädestiniert. Wie anhand der beiden Beispiele «Briinigsteinler» und «Gian Luca Vitalini» ersichtlich wird, wagen sich vor allem Hobbywinzer an diese Herausforderung. Weniger Freude daran haben jedoch teilweise die kantonalen Fachstellen. Sie verweisen auf die eidgenössische Verordnung 916.140 über den Rebbau und die Einfuhr von Wein (Weinverordnung), die klare Regeln für Neuanpflanzungen aufführt. Neben dem Lokalklima, der Hangneigung, der Boden­beschaffenheit, des Naturschutzes sowie der Wasserverhältnisse wird auch die Höhenlage als wichtiges Kriterium genannt. Ausserdem steht klipp und klar, dass jeder Standort seine Eignung zum Rebbau nachweisen muss. Wie so oft überlässt der Bund die Umsetzung und somit auch die damit verbundenen Verfahrensprobleme allerdings den Kantonen. Diese mussten nun verschiedene Anspruchsgruppen berücksichtigen und eine vor Gericht anfechtbare Praxis definieren. Gleichsam als Grundkonsens hat sich durchgesetzt, dass Weinbau über 600 m ü. M. für die Schweiz nicht vorgesehen ist. Die Verordnung des Bundes wurde 1954 lanciert und 1998 revidiert. Damals hatten nur die Wenigsten eine Klimaerwärmung vor Augen, somit war es wichtiger, Wege zu finden, dass nicht im Flachland Reben gepflanzt wurden. Die Verlockungen der Höhe schienen eher unwahrscheinlich.

Strikte Bergregionen

Was sich klimatisch seit 1998 global abspielt, braucht hier nicht wiederholt zu werden. Klar ist, der Rebbau in der Schweiz lernte sich an die neuen Verhältnisse anzupassen. Waren die Winzer angesichts des Hitzesommers von 2003 noch überfordert, wissen sie sich heutzutage zu helfen. Schattenseite der Erwärmung sind aber der gestiegene Krankheitsdruck, Wetterkapriolen, neue Schädlinge, Spätfröste und Wasserstress. Dagegen hilft manchmal kein Kraut, sodass ab und an die Idee aufkeimte, man müsse neue Lagen suchen, wo keine Schädlinge hinkommen, wo es keinen Hagel und keinen Spätfrost gibt. Die Lösung lautete nicht zufällig: Ab in die Höhe!

Graubünden

Doch wie erwähnt, das gefiel den kantonalen Fachstellen nur bedingt. Besonders strikt ist der Bergkanton Graubünden, was Aussenstehende auf den ersten Blick zu erstaunen vermag. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich tatsächlich, dass alle bekannten Reblagen der Bündner Herrschaft, des Mesox und des Puschlavs im Höhenband zwischen 400 bis 600 m liegen.

«Das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage ist in Graubünden sehr fragil.»

«Wir sind sehr restriktiv», stellt der Bündner Rebbaukommissär Walter Fromm auf Anfrage klar und beruft sich gleichsam auf den alten Spruch «wehret den Anfängen». Natürlich weiss auch Fromm, dass es im Wallis oder im benachbarten Ausland höhergelegene Weinberge gibt. Aber weil es letztlich eine politische Frage ist, was erlaubt wird und hier sogleich auch kommerzielle Aspekte eine Rolle spielen, schränkt er ein: «Das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage ist sehr fragil und wir wollen nicht, dass das Angebot die Nachfrage übersteigt», warnt Fromm. Damit spricht er an, was einige in der Branche angesichts der guten letzten Jahrgänge befürchten. Zu viel Wein in den Kellern bedeutet nicht selten grössere Konkurrenz auf dem Markt. Pikanterweise entscheidet eine Kommission aus Winzern, wo neue Lagen sinnvoll erscheinen. Dass man damit gleichsam den Bock zum Gärtner macht, weiss auch Fromm. Logischerweise herrscht bei der Höhenfrage Zurückhaltung. Dies mag aus markttechnischen Überlegungen sinnvoll erscheinen, angesichts önologischer Gegebenheiten aber nicht. Seit einigen Jahren warnen Forschende vor der Gefahr, dass der Klimawandel die ausgewiesenen Pinot-Lagen bedrohen könnte. Gerade im Kanton Graubünden beklagt man die Tatsache, dass die Trauben zu schnell reif werden und die Phase des herbstlichen Föhns (des berühmten «Traubenkochers») häufig gar nicht mehr erleben. Mit dieser Feststellung geht auch die Beobachtung einher, dass viele Rebsorten zwar hohe Öchslewerte erreichen, aber häufig die phänologische Reife nicht abgeschlossen haben. Die Folge sind plumpe und weniger haltbare Weine.

Zwischen 400 und 600 m ü. M. gibt es kaum Freiflächen in der Bündner Herrschaft. (© weinweltfoto.ch)

 

Neuenburg

Auch andere Kantone stehen vor diesem Problem. Der für Agroscope im Kanton Neuenburg forschende Pierluigi Calanca analysierte die Klimadaten seines Kantons und präsentierte sie an den Wädenswiler Weintagen 2023. Sein Fazit war unmissverständlich: «Aufgrund der Klimaerwärmung hat der Kanton Neuenburg den idealen Temperaturbereich für Pinot noir verlassen und steht nun im Bereich des Merlot» (O+W 03/23, S. 9). Wer weiss also, wann dieses Szenario auch für den Kanton Graubünden zutrifft? Sollten also die kantonalen Fesseln zu spät gelockert werden, würde wertvolle Zeit verstreichen, bis wieder Qualität in genügender Menge vorhanden wäre, was sich ebenfalls negativ auf den Absatz auswirken könnte.

Luzern – wieder mal pragmatischer

Auch wenn in der Zentralschweiz, namentlich im Kanton Luzern, dieselbe gesetzliche Grundlage gültig ist, zeichnet sich das Rebbaukommissariat über eine pragmatischere Auslegung der Verordnung aus. Beat Felder, der sich unermüdlich für die Förderung von Piwi-Sorten einsetzt, meint: «Unter Berücksichtigung der Klimaadaption dürfen wir nicht stur sein. Cool-Climate-Weine erreichen wir bald nur noch in Lagen, wo auch kalte Nächte für bessere Qualitäten sorgen.» Aufgrund der herrschenden klimatischen Verhältnisse resümiert er, dass die besten Pinots seines Kantons aus Lagen um die 500 m ü. M. stammen. Tendenz steigend. Als Folge einer umfassenden Standorteignungs-Analyse, die auf dem Huglin-Index beruht (siehe O+W 06/23, Kästchen auf S. 9), haben sich durchaus auch höhere Lagen ins Spiel gebracht, die für Weinbau geeignet sind. Besonders der Sonnenberg bei Kriens und die Südseite der Rigi mit ihren Ausläufern Richtung Weggis scheinen durchaus bis 700 m ü. M. geeignet zu sein. Folglich hat der Kanton Luzern zwei Pflanzungsprojekte unter folgenden Auflagen bewilligt: Erstens müssen zwingend Piwi-Sorten gepflanzt und zweitens sollen frühreife Sorten berücksichtigt werden.

Agiert eher pragmatisch: Der Luzerner Rebbaukommissär Beat Felder. (© O+W)

 

Bern

Ähnlich sieht es auch Jürg Maurer, bis Ende Juni amtierender Rebbaukommissär im Kanton Bern: «Rein agronomisch gesehen, kann man Weinbau in höheren Lagen betreiben, solange die Sommer so bleiben.» So zeitgemäss diese Aussage anmutet, auch im Kanton Bern herrscht zurzeit noch strikte Linientreue. So führte man aufgrund der Verordnung ein Punktesystem ein, um jedes Rebgesuch «objektiv» begutachten zu können. «Wir mussten ein System erschaffen, das uns auch vor Gericht Sicherheit gibt», erzählt Maurer. Es basiert auf sechs Kriterien:

  • Höhenlage
  • Hangneigung
  • Hangausrichtung
  • Lokalklima
  • Bodenbeschaffenheit
  • Wasserverhältnisse

In der Summe werden mindestens 120 von 180 möglichen Punkten benötigt, um eine Bewilligung zu erhalten. Die Höhe ist jedoch ein echtes Killerkriterium. Bei 700 m ü. M. gibt es keinen Punkt mehr. Wenn nur schon die Hangneigung nicht optimal ist oder der Huglin-Nachweis fehlt, ist es fast unmöglich, eine Bewilligung zu erhalten. Das weiss Maurer, der selbstkritisch anfügt: «Eigentlich darf es nicht sein, dass ein Kriterium alleine fast schon ausreicht, um ein Neuprojekt zu verhindern.» Aber seine Pensionierung rückt näher, ergo wird sich seine Nachfolgerin damit befassen müssen. Sein Credo ist jedoch klar: «Wegen der Klimaerwärmung ist das ganze System überholt. Jeder soll das anpflanzen, was er für richtig hält. So wird letztlich der Markt entscheiden, was er absorbieren kann.» Und hier gibt es, wie Maurer weiss, durchaus einige Weinbauprojekte in seinem Kanton, die auf Höhen über 600 m spannende Weine erzeugen können, die sich auch vermarkten lassen.

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