Liebe Leserin, Lieber Leser
Als wir für die Reportagereise im südlichsten Schweizer Kanton unterwegs waren, herrschten überaus regnerische und schwülwarme Bedingungen. Die Winzerinnen und Winzer, die wir besuchten, konnten sich an keine Spritzpläne halten oder ihr Schaffen einteilen. Sie mussten dann raus, wenn es die Verhältnisse erlaubten. Doch das Erstaunlichste war, dass kaum jemand ungehalten oder gestresst gewirkt hätte. Man nahm die Situation, wie sie kam – wohlwissend, dass man schon zuvor die Hausaufgaben gemacht hatte: Fast überall wurden Hagelschutznetze angebracht, mittels individueller Strategien hat man sich Konzepte, zum Beispiel beim Laubmanagement, zurechtgelegt, um punktuell und zügig reagieren zu können. Mit dieser Haltung und dank eines gewissen Fatalismus lassen sich auch bei diesen Bedingungen gute Weine machen. Besonders, wenn man auch im Keller innovativ ist.
Dass das Tessin zum eigentlichen Merlotland wurde, verdankt es dem jungen Agronomen Alderige Fantuzzi, der anfangs des 20. Jahrhunderts eine Rebsortenalayse im Kanton durchführte und sich stark für die französische Rebsorte einsetzte. Wie sehr aber auch der Bund hinter der Merlot-Bewegung stand, hat Autor Markus Hungerbühler zusammengetragen. Aus heutiger Sicht kaum zu glauben: Selbst der Bundesrat sehnte sich nach guten Rotweinen aus dem Süden der Schweiz, siehe Geschichte des Merlots.
In dieser Nummer porträtieren wir drei ganz unterschiedliche Betriebe (weitere folgen in späteren Ausgaben): Die für schweizerische Verhältnisse riesige Gialdi Vini SA, die seit zwanzig Jahren auf hohem Niveau produzierende Tenuta San Giorgio des Zürchers Mike Rudolph und die neue, von einem jungen Team geführte Cantina Blass im Malcantone. So unterschiedlich ihre Betriebsstruktur, so gemeinsam ist ihr Ziel: das Beste aus den Böden zu holen. All das sind hoffentlich inspirierende Eindrücke auch für «Nordländer».
Ihr
Markus Matzner
Chefredaktor Obst+Wein